Erschütternd unterkomplex

Mit „1981“ legt die Juristin Eloísa Díaz einen halbgaren Kriminalroman vor

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Aufarbeitung der argentinischen Militärdiktatur, die in den Jahren 1976 bis 1983 das südamerikanische Land in ihrem eisernen Griff hatte, war lange Zeit das dominierende Thema der argentinischen Literatur und ist aufgrund des tiefsitzenden Traumas, das die Bevölkerung bis heute heimsucht, immer noch omnipräsent. Viele Arten der literarischen, filmischen oder musikalischen Verarbeitung wurden, mit unterschiedlichen Ergebnissen, ausprobiert; leider haben nur wenige dieser Kunstwerke deutsche Buchhandlungen oder Kinos erreicht. Umso trauriger, dass es gerade ein Kriminalroman wie Eloísa Díaz Debütroman 1981 sein muss, der deutschsprachigen Leser*innen ein literarisches Bild dieser bleiernen Zeit vermittelt.

Eloísa Díaz wurde als Tochter von Argentiniern in Madrid geboren, studierte in Paris und New York Jura und Creative Writing, arbeitet als Anwältin und hat sich nun überlegt, nebenbei mal einen Kriminalroman zu schreiben, der zwei zentrale Ereignisse in der jüngeren Geschichte Argentiniens in einer Art Parallelhandlung zusammenbringt: Die Militärdiktatur der Jahre 1976-83 und die sozialen Unruhen des Jahres 2001, die als Folge des Zusammenbruchs der Wirtschaft auftraten und den demokratischen Präsidenten Fernando de la Rúa das Amt kosteten. Es war die wohl größte unter den unzählbaren finanziellen Krisen, die das Land seit dem Ende der Diktatur heimgesucht haben.

Beide hier thematisierten historischen Momente hat die Hauptfigur des Romans 1981, der im Jahr 2001 kurz vor der Rente stehende Kommissar Joaquín Alzada, erlebt. Der Roman spielt parallel auf beiden Zeitebenen: 1981 und eben 2001. Offenbar, so wird gleich zu Anfang suggeriert, hat sich Alzada, wie so viele seiner Mitbürger, während der Jahre der Diktatur allzu passiv verhalten. Seine Rolle, trotz innerer Opposition gegen das Regime, hat er brav gespielt, bis ein bestimmtes Ereignis (über das die Leser*innen zunächst im Dunkeln gehalten werden) ihn im Jahr 1981, wenn auch nicht seinen Job, so doch zumindest seine Stellung innerhalb des Polizeiapparats kostete. In den letzten zwanzig Jahren verrichtet er daher langweilige Schreibtischarbeit, doch weil im Zuge der sozialen Unruhen, die Buenos Aires im Jahr 2001 heimsuchen, Personalmangel herrscht, wird er zu Beginn des Romans abkommandiert, einen Mord zu untersuchen. Eine Leiche, vermutlich eine drogensüchtige junge Frau, wurde in einer Mülltonne gefunden; gleichzeitig ist die etwa gleichaltrige Tochter einer wohlsituierten Familie verschwunden. Zwischen beiden Fällen, scheint es, welch Wunder, einen Zusammenhang zu geben.

Der Fall erinnert Alzada an das Jahr 1981; nicht weil sich die Ereignisse gleichen würden, sondern weil er in sich wieder die gleiche Passivität zu spüren beginnt – als nämlich wichtige Politiker versuchen, den Fall zu vertuschen. Und wäre nicht sein junger, idealistischer Assistent Orestes Estrático, Alzada hätte sich dem Druck gebeugt und trotz der Unterstützung der einflussreichen Familie jener Verschwundenen den Fall zu den Akten gelegt.

Nach und nach enthüllt der stellenweise durchaus spannende Roman die Wahrheit hinter der Demission und der Trägheit des Kommissars: Auch er war an diesem dunklen Kapitel argentinischer Geschichte, wie so viele seiner heutigen Kollegen, beteiligt gewesen. Man erfährt vom Verschwinden seines Bruders im Jahr 1981. Und so fasst er den Beschluss, in diesem neuen Fall doch noch aktiv zu werden.

Als Auseinandersetzung mit der argentinischen Vergangenheit ist Díaz Roman gleich in mehrerer Hinsicht misslungen. Das fängt beim historischen Setting an: Um den 20-Jahre-Zyklus zwischen dem Verschwinden des Bruders und dem der jungen Frau im Jahr 2001 (und der mit viel Pathos inszenierten Wiederkehr der Polizeigewalt,auch das eine historische Relativierung, denn auch in den 1990er Jahren war Polizeigewalt in Argentinien allgegenwärtig) zu gewährleisten, nimmt sich die Autorin die Freiheit, die schlimmste Phase der argentinischen Militärdiktatur kurzerhand von den Jahren 1976-1978 – der Zeit unter General Videla – ins Jahr 1981 zu verpflanzen. Da jedoch regierte kurzzeitig General Viola, der für eine Liberalisierung des harten Kurses stand; soziale Proteste waren 1981 durchaus wieder möglich (wenn auch nicht unbedingt sicher). Kurz darauf übernahm General Galtieri, erklärte England den Krieg und beendete damit endgültig unfreiwillig das Regime. Da diese Namen allesamt nicht vorkommen, und das Regime stets ein unsichtbarer Gegner zu sein scheint, schien das der Autorin wohl auch nicht so wichtig gewesen zu sein.

Sieht man als Krimi-Fan über solche historischen Ungenauigkeiten hinweg, so wird man leider dennoch mit einem genretechnisch unbrauchbaren Plot konfrontiert, der – was zumindest die Auflösung des Gegenwartsfalles betreffend – über keinerlei innere Logik verfügt. Mehr noch, am Ende ist die Lösung des Falles völlig egal geworden, weil sich Díaz in ihrem mittlerweile totgelaufenen Konzept der historischen Parallelisierung so hoffnungslos verheddert hat, dass es keinerlei zufriedenstellenden Ausweg mehr gibt. Schade eigentlich, denn die Szenen aus der Vergangenheit sind eindringlich geschildert, allem voran die kurz vor Schluss stattfindende Szene im Foltergefängnis ist von beeindruckender Dichte. Insgesamt aber leidet der im Übrigen im Original auf Englisch verfasste Roman – auch als Krimi, als der er wohl vorsorglich bereits auf dem Cover ausgewiesen wird – an seiner erschütternden Unterkomplexität, die gerade die in der Thematik firmen Leser*innen zur Verzweiflung treiben wird.

Titelbild

Eloisa Diaz: 1981. Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021.
320 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783455010947

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