Der vierfache Gender Gap

In ihrem Buch „Es geht nur gemeinsam!“ zeigt Jutta Allmendinger, wie Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden kann.

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Private ist nicht nur politisch. Es lässt sich, wie Jutta Allmendinger in ihrem Buch Es geht nur gemeinsam! zeigt, auch wunderbar mit sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen verbinden. Denn ihre jüngste Publikation „wurzelt“ nicht nur in ihrer Biographie, sondern „verbindet“ die „persönlichen Erfahrungen“ der Autorin mit ihren „Erkenntnissen als Sozialwissenschaftlerin“. Dabei geht sie auf die Lebensumstände der Frauen ihrer Familie über die letzten drei Generationen hinweg ein und wagt einen spekulativen Ausblick auf das mögliche Leben ihrer künftigen Enkeltochter.

Vor gut einem Jahr hatte Allmendinger in einer TV-Diskussionsrunde erklärt, die COVID-19-Pandemie werfe die Gleichberechtigung der Frauen um Jahrzehnte zurück. Sie würden aus dem Berufsleben gedrängt und längst überwunden geglaubte Geschlechterrollen nicht zuletzt in den Familien bestimmten wieder ihren Alltag. Dafür war sie von verschiedener Seite mehr oder weniger heftig kritisiert worden. Wie von einer Soziologin ihres Schlages nicht anders zu erwarten, belegt sie ihren damaligen Befund nun anhand zahlreicher Statistiken, die sie nicht selten anhand von Diagrammen veranschaulicht, die beispielsweise zeigen, wie sich „Lebensläufe von Frauen und Männern im Spiegel der Statistik“ unterscheiden.

Zugleich legt sie dar, dass „Aussagen wie ‚Frauen wollen Teilzeit erwerbstätig sein’ und ‚Sie sind qualifiziert, wollen aber keine Führungspositionen’“ zu kurz greifen, da sie außer Acht lassen, dass und wie sich das „Sozialsystem mittel- und langfristig auf die gesamte berufliche Laufbahn“ von Männern und Frauen auswirkt. Denn die „zwittrige deutsche Sozialpolitik“ habe für Frauen „hohe Einkommensbußen, flachen Karriereverläufe ohne Chancen auf Führungspositionen, niedrige Renten und häufige Altersarmut“ zur Folge. Daher stellt Allmendinger die „strukturellen, rechtlichen und familienpolitischen Bedingungen für Familien“ in den Mittelpunkt ihrer Studie. Zudem zeigt sie auf, welche Rolle „kulturelle Zuschreibungen“ spielen und inwieweit sie „die großen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen erklären können“.

Allmendinger geht zunächst einmal von einem vierfachen Gender Gap aus: den Pay Gap, den Care Gap, den Position Gap und den Pension Gap. Anschließend analysiert sie, wie sich die vier Gaps und ihr Zusammenspiel zum Nachteil von Frauen auswirken. Besonders erhellend aber ist ihr Befund, dass statt des mit Hilfe von geschlechterspezifischen Berufswahlen, Arbeitszeitunterschieden und dergleichen gerne nach Kräften heruntergerechneten Gender Pay Gap eigentlich der Gender Income Gap ins Auge zu fassen sei, „da Unterschiede im Monatseinkommen viel aussagekräftiger sind“.

Wie Allmendinger zeigt, führt die bundesdeutsche Sozialpolitik dazu, dass sich für viele Frauen „der Heiratsmarkt mehr als der Arbeitsmarkt lohnt“. Denn sowohl das Steuerrecht, wie auch „finanzielle Unterstützungsangebote“ und die „mangelnde Infrastrukturen des Staates für Kinder“ legen nach wie vor das „Modell eines männlichen Haupternährers“ nahe und drängen verheiratete Frauen nicht nur an den Herd, sondern sind auch dazu angetan, sie dauerhaft in der Ehe festzuhalten. So steht etwa das berüchtigte Ehegattensplitting, „das ungleiche Einkommen in Partnerschaften belohnt“, einer „eigenständigen Sicherung von Frauen“ im Wege.

Was den Care Gap betrifft, so wandten Frauen 2019 „durchschnittlich 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit“ auf als Männer. Dieses Missverhältnis spitzt sich drastisch zu, wenn Nachwuchs vorhanden ist: In „Paarhaushalten mit Kindern“ beträgt der Unterschied nicht weniger als 83 Prozent. Zudem „ändern“ Kinder im Berufsverlauf ihrer Mütter „alles“, während sie sich auf denjenigen der Väter so gut wie gar nicht auswirken. Kein Wunder also, dass die Arbeitszeiten dieser Paare „dauerhaft auseinander klaffen“, wofür die Frauen „spätestens im Rentenalter die Quittung“ bekommen. Die Aussage des damaligen Sozialministers Norbert Blüm, die Rente sei „der Arbeitslohn für die Lebensleistung“, nennt Allmendinger daher „bezogen auf die Leistung von Frauen fast zynisch“.

„Seit vierzig Jahren“, bekomme sie die ‚trostreichen’ Worte zu hören, „dass wir uns in einer Phase des ‚schnellen’ Übergangs befinden“. Merkwürdig nur, dass sich dann so wenig geändert hat.

In der zweiten Hälfte des Buches wendet sich die Autorin den geschlechterspezifischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie im Arbeits- und Familienbereich zu und zeigt etwa, dass die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, vor allem für junge Mütter verlockend ist und sie dazu verführt, „das Hier und Jetzt zu optimieren, die Zukunft aber aus den Augen zu verlieren“. Zudem erzeuge die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten weder „Druck, eine verlässliche und bessere öffentliche Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Ältere aufzubauen“, noch führe es dazu, „dass sich Väter stärker als bislang an der unbezahlten Care-Arbeit beteiligen“. Ebenso wenig trage es dazu bei, „dass Frauen eher in Führungspositionen gelangen“. In allen drei Hinsichten bewirke es vielmehr das Gegenteil. Nicht zuletzt führten die Maßnahmen gegen die Pandemie zudem indirekt dazu, dass Frauen und namentlich Mütter langfristig noch stärker unter Altersarmut zu leiden haben werden als ohnehin schon.

Trotz dieser düsteren Befunde bietet Allmendinger doch einen nicht ganz hoffnungslosen Ausblick, da sich „Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport“ unter Hashtags wie #ichwill und #jetztreichts zu einer „außerparlamentarischen Opposition“ zusammenschließen und etwa einfordern, dass endlich der Entwurf zum zweiten Führungspositionen-Gesetz bearbeitet wird, das den Frauenanteil in Führungspositionen sowohl im öffentlichen wie auch privaten im Sektor erhöhen soll. 

Die wichtigste Voraussetzung zur Verbesserung der Lage der Frauen in Beruf und Familie ist Allmendinger zufolge allerdings die „Umverteilung der Care-Arbeit“ und somit die „Angleichung der bezahlten und unbezahlten Arbeit von Frauen und Männern“. Dafür aber sei der „umfassende Ausbau einer qualitativ hochwertigen Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Kitas und Ganztagsschulen“ unabdingbar.

Manches von dem, was Allmendinger vorträgt, ist zwar nicht ganz neu, doch wurde es – zumindest für die breite Öffentlichkeit – bislang nicht derart gut mit Fakten und Statistiken untermauert. Und wenn im Titel davon die Rede ist, Geschlechtergerechtigkeit sei nur gemeinsam zu erreichen, sind damit nicht nur alle Frauen angesprochen, auch nicht nur Frauen und Männer, sondern ebenso Wirtschaft, Staat und Politiken.

Titelbild

Jutta Allmendinger: Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen.
Ullstein Verlag, Berlin 2021.
144 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783548064529

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