Ein Wahlkampfbeitrag aus christlich-konservativer Sicht

In „Die Kandidatin“ entwirft Constantin Schreiber ein dystopisches Bild eines künftigen Bundestagswahlkampfs

Von Martin SchönemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Schönemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Constantin Schreiber, Jahrgang 1979, Journalist und Moderator, hat sich als Kenner des Nahen Ostens und Kritiker des Islam einen Namen gemacht. Viele kennen ihn als Tagesschau-Sprecher, er moderierte aber ebenfalls schon für die Deutsche Welle wie auch für das ägyptische Fernsehen und ist darüber hinaus Autor diverser Sachbücher. Jetzt, ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, hat er einen Roman vorgelegt, der eine fiktive Bundestagswahl der Zukunft schildert, mit expliziten Bezügen auf die aktuelle Gegenwart. Insofern schließt der Roman an Schreibers vorherige Bücher an. Er will keine große Literatur sein, sondern populär und engagiert an tagespolitischen Debatten teilnehmen.

Die Geschichte ist entsprechend einfach, die Grundidee bekannt: Es gibt eine muslimische Kandidatin, Sabah Hussein, eine im Libanon geborene Tochter syrischer Eltern. Sie kandidiert für die ÖP (hinter der man unschwer die jetzige Partei der Grünen erkennt) und hat berechtigte Aussichten, die nächste Bundeskanzlerin zu werden. Aber an ihrer Kandidatur entzünden sich bürgerkriegsähnliche Unruhen. Der Leser erlebt die Kandidatin auf einer Chinareise, bei diversen Wahlkampfauftritten, sieht sie bei einem Attentatsversuch beinahe sterben und schließlich an sich selber scheitern. Während sie auf der öffentlichen Bühne immer geschickt agiert, wird ihr am Ende eine ganz persönliche Schwäche zum Verhängnis: das intime Verhältnis zu einem Imam.

Das erinnert an den Politthriller Die Wilden von Sabri Louatah, in dem ein liberaler arabischstämmiger Kandidat zum französischen Präsidenten wird, was auch ein Attentatsversuch und darauffolgende Ausschreitungen nicht verhindern können. 2015 griff Michel Houellebecq in Unterwerfung die Idee auf und spann sie weiter: Bei ihm ist der arabischstämmige Präsident ein Muslim, der die Gesellschaft nach seinen religiösen Vorstellungen umbaut. Bei Constantin Schreiber ist es noch dazu eine Frau. Wie der muslimische Kandidat in Houellebecqs Roman täuscht auch Schreibers „Kandidatin“ Liberalität nur vor, insgeheim verfolgt sie eine islamistische Agenda; ihr geheimer Berater (und Geliebter) ist ein Imam. Für die auch von ihr selbst mit großem Pathos dekretierte Geschlechtergerechtigkeit hat sie insgeheim nur Verachtung, die sozialen Ziele ihrer Partei sind ihr egal, ja teilweise nicht einmal bekannt. Kurz: Sie ist eine Betrügerin.

Um diese Grundidee herum entfaltet der Roman seine Handlung. In meist kurzen Kapiteln werden Szenen rund um Sabah Husseins Wahlkampf geschildert: ihre öffentlichen Auftritte ebenso wie kleine private Szenen, Besprechungen mit ihren Beraterinnen, aber auch Gespräche von Journalisten, die belastendes Material gegen sie sammeln; die Vertreter des politischen Gegners, der Rechten, werden ebenfalls vorgestellt. Sprachlich ist das alles sehr schlicht, oft regelrecht banal. Atmosphärisches spielt offenbar keine Rolle für den Autor, auch die Charaktere der handelnden Figuren bleiben schablonenhaft. Großes Augenmerk richtet er dagegen auf politische Aussagen und deren Formulierung, einmal wird sogar über mehrere Seiten ein Gesetzestext zitiert.

Mit großem Spaß malt Schreiber das Zerrbild einer grünen Partei der nahen Zukunft, indem er tatsächliche Forderungen der heutigen Grünen ironisch überzeichnet oder augenzwinkernd in Beziehung zu gewalttätigen Systemen der Vergangenheit stellt, etwa dem Nationalsozialismus („Wollt ihr die totale Diversität?“) oder der Inquisition: Angestellte von Universitäten müssen in einer „Peinlichen Analyse“ ihre politische Gesinnung überprüfen lassen. Und in den Reden und Interviews der Kandidatin und ihrer Parteikollegen überwiegen pathetische Leerformeln, die die Vorurteile der Sprechenden nur notdürftig kaschieren. Das hat durchaus Witz, wo der Autor floskelhafte Sprachverbeugungen oder das überangepasste Verhalten junger Politneulinge, wie Sabah Hussein, durch Überzeichnung lächerlich macht, allerdings wirkt es auf die Dauer ermüdend, da immer dieselbe Methode der Übertreibung und Polarisierung zur Anwendung kommt.

Dazu gehört auch – und das ist nun wirklich ärgerlich – dass die Aktivitäten der Rechtsextremen in jeder Hinsicht schöngeredet werden. Zwar werden deren Anführer, wie es sich für eine Dystopie gehört, als korrupt und wankelmütig geschildert, ihr Anliegen jedoch gerechtfertigt. Der Autor orientiert sich auch hier an der aktuellen bundesdeutschen Wirklichkeit, nur geht er umgekehrt vor: Während er Ungereimtheiten bei den Grünen ins Groteske überzeichnet, werden Sünden der Rechten bei ihm extrem verniedlicht. So nimmt Schreiber zum Beispiel Bezug auf aktuelle Bemühungen, rechtsextreme Umtriebe sogenannter Prepper in der Bundeswehr zu unterbinden – es geht dabei um geheime Waffenlager, entwendete Munition, Feindeslisten. In seinem Roman werden aus diesen gewaltbereiten Verschwörern harmlose Bundeswehrsoldaten, denen eine rechte Gesinnung lediglich unterstellt wird, weil sie sich unpassend verkleideten.

Und selbst die Attentäterin schließlich ist bei Schreiber eine moralisch integre Person mit christlichem Hintergrund. Sie arbeitet als Personenschützerin von Sabah Hussein und hat sich nur aufgrund der Situation zu ihrer Tat entschlossen: Sie ist die einzige aus der persönlichen Umgebung der Kandidatin, die deren islamistische Agenda erkennt und sich dann notgedrungen logistische Hilfe aus dem rechtsterroristischen Milieu holt – welch ein Kontrast zu dem Attentäter aus der Wirklichkeit, dem Mörder von Walter Lübcke, und dessen gewaltaffinen, rechtsradikalen Umfeld.

Nun könnte man annehmen, Die Kandidatin sei einfach ein Wahlkampfpamphlet der antidemokratischen Rechten – und die Beteuerungen des Autors, mit den gewalttätigen Rechtsextremen nichts tun zu haben, nur eine Schummelei, etwa in der Art, wie sie Sabah Hussein betreibt. Aber so ganz stimmt auch das nicht: Schreibers Roman klingt nicht wie ein rechter Hasstext, dafür fehlt ihm das dumpf Nationalistische, das vulgär Aggressive. Das Herz des Autors schlägt keineswegs für die Rechtsterroristen, auch wenn er sie aus wahlkampftaktischen Gründen in Schutz nimmt. (Denn für eine streng konservative Bundesregierung braucht es die Unterstützung der AfD, diese aber ist ohne ihre militant antidemokratischen Kombattanden nicht zu haben.)

Wofür Schreibers Herz schlägt, das wird bei der Beschreibung von Sabah Husseins Reise nach China deutlich. Hier muss die Kandidatin die Unterlegenheit ihres Heimatlands Deutschland erkennen, eine Unterlegenheit aufgrund von zu viel Demokratie. In China wird nicht diskutiert, es wird gehandelt: Hier ist der Umbau zur Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien weitgehend abgeschlossen, überall fahren Elektroautos, in der Provinz sind riesige Flächen von Sonnenkollektoren bedeckt. Darüber hinaus pflegen die Chinesen die Symbole einer europäisch geprägten Weltkultur: China hat die Büste der Nofretete gekauft, nachdem diese von Deutschland an das ärmere Ägypten zurückgegeben wurde; in China wird Schuberts Ave Maria gesungen, und ein deutscher Kunsthistoriker kauft für den Staat symbolträchtige Objekte deutscher Hochkultur, zum Beispiel ein Exemplar des Sachsenspiegels oder Tischbeins Gemälde Goethe in der Campagna. Seine Rechtfertigung: Auch das byzantinische Reich habe das antike Erbe bewahrt, irgendjemand müsse so etwas ja tun, und jetzt sei das China. Mit diesem Bild zeigt Schreiber, was er in der deutschen Gegenwart vermisst: ein autoritäres Reich, das notwendige technische Neuerungen von oben durchsetzen und eine europäische Elitenkultur bewahren kann, unabhängig von demokratischen Umständlichkeiten.

Es ist diese traditionell konservative Vorstellung, die den gesamten Roman grundiert: Etwas bewegen können aus seiner Sicht nur alte autoritäre Eliten – die vermeintliche Handlungsunfähigkeit und der Niedergang der aktuellen Politik basieren für ihn auf der Integration der jungen, der muslimischen, der armen Bevölkerungsschichten. Die Betrügerin Sabah Hussein verdankt ihren Erfolg der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre und dem sozialen Aufstieg muslimischer Personen in Medien und Justiz, die ihr gegebenenfalls zur Seite stehen. Auf den Punkt bringt Schreiber dieses Feindbild, indem er zwei Schulen mit ideologisiertem Namen erwähnt: die Berliner „Präsident-Erdogan-Schule” und die “Oury-Jalloh-Schule” in Recklinghausen. Die “Präsident Erdogan-Schule” befindet sich bereits in türkischer Trägerschaft, in der Recklinghauser „Oury-Jalloh-Schule“ begegnen uns Lehrer und Schüler als naive Sabah-Hussein-Verehrer, die von dieser mit Leichtigkeit auf die Vorherrschaft des Islam eingeschworen werden. Wer sich mit Oury Jalloh, dem schwarzen Opfer deutscher Polizisten, verbunden fühlt, der wird Schreibers Meinung nach auch islamistischen Vereinnahmungsversuchen nichts entgegensetzen.

In der Figur der Sabah Hussein kombiniert der Autor all diese für ihn negativen Eigenschaften, ergänzt noch um die der Weiblichkeit. Die Kandidatin ist eine migrantische Aufsteigerin aus der Unterschicht, gelehrig und geschickt im Hantieren mit Worthülsen, aber unfähig zu eigenem politischen Handeln. Sie folgt brav einer antichristlichen islamistischen Agenda, die ihr ein Imam einflüstert. Und sie ist weiblich, jung und attraktiv.

An dieser letzten, offenbar gefährlichsten Eigenschaft scheitert Hussein am Ende. So wie es ihr eine chinesische Wahrsagerin am Beginn des Romans geweissagt hat, ist es die Schlange, das alte christliche Symbol der Sünde, „die Halt gibt, mit der aber gleichzeitig der eigene Körper das Verderben fest umklammert“: Sabah Husseins sexuelle Abhängigkeit von ihrem Imam wird öffentlich.

Vor diesem Hintergrund verblasst die Wirkung der satirischen Elemente, die auf den ersten Blick einen Reiz des Romans hätten ausmachen können. Der warnende patriarchale Zeigefinger im Hintergrund, er verdirbt dem Leser das Lachen über die Albernheiten des aktuellen Politbetriebs. In politischer Hinsicht mag Schreibers Roman interessant sein: als engagierte Stellungnahme im aktuellen Bundestagswahlkampf. Bedenkenswert ist beispielsweise Schreibers Wahrnehmung, dass im Wahlkampf der Ökologischen Partei ökologische Ziele kaum eine Rolle spielen. Bedenkenswert ist dabei aber vor allem auch das Liebäugeln des bürgerlich-konservativen Autors mit der gewaltbereiten Rechten. Als Roman wiederum hat der Text gar nichts zu sagen.

Titelbild

Constantin Schreiber: Die Kandidatin.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021.
160 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455010640

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