Literaturkritik – Der Podcast
Folge 2: Die argentinische Schriftstellerin Mariana Enriquez über Folk Horror, Paganismus und die Macht der Eliten
Von Podcast Literaturkritik
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie argentinische Schriftstellerin Mariana Enriquez ist eine der wichtigsten neuen Stimmen der lateinamerikanischen Literatur. Ihre Erzählungen bewegen sich im Grenzbereich von Horror bzw. Phantastik und einem harten Realismus, der schonungslos die Situation der Unterprivilegierten in ihrer Heimatstadt Buenos Aires schildert. Ihre beiden ersten Romane Bajar es lo peor (noch nicht ins Deutsche übertragen) und Como desaparecer completamente (dt.: Verschwinden) bewegen sich noch im Spannungsfeld des ‚Dirty Realism‘, erzählen Geschichten von Strichern, Drogensüchtigen und obdachlosen Jugendlichen. Die ihren späteren Texten innewohnende Ambivalenz, die immer wieder die Möglichkeit des Übernatürlichen anvisiert, ist noch nicht besonders ausgeprägt. Mit den Erzählbänden Los peligros de fumar en la cama (ebenfalls noch nicht übersetzt) und vor allem dem internationalen Erfolgsbuch Las cosas que perdimos en el fuego (dt.: Was wir im Feuer verloren) ändert sich dies schlagartig. Enriquez bleibt meist im Millieau ihrer frühen Werke, doch tauchen verstärkt Elemente des Phantastischen, des Ambivalenten, des namenlosen Horrors auf, die man nur selten greifen kann, und welche diese Erzählungen, auch wenn selten viel passiert, so erschreckend machen.
Immer stärker wird auch ihr Interesse am Folk Horror. Für sie bedeutet das die Miteinbeziehung heidnischer Rituale in den Alltag ihrer Protagonisten, wobei im Mittelpunkt die Anbetung paganer ‚Heiliger‘ steht, die in Argentinien, so die Autorin, weit verbreitet ist, unter ihnen die populären Götzen San La Muerte, Gauchito Gil oder La Difunta Correa. Diesen Heiligen, die meist einen ländlichen Ursprung haben, die aber mit der Landflucht der armen Bevölkerungsschichten ihren Einzug in die großen Städte hielten, werden im ganzen Land Altäre gebaut, zu denen, so Enriquez, Millionen Menschen pilgern.
Die Autorin sieht in der Instensität der Verehrung dieser heidnischen Figuren auch ein stark politisches Element, das sie in ihrem neuen Roman Nuestra parte de noche (dt.: Unser Teil der Nacht, erscheint 2022 beim Tropen-Verlag) zum zentralen Thema macht. Dieser extrem intensive, aber auch sehr grausame Roman stellt eine argentinische Version des ursprünglich britischen Folk Horror dar und unterstreicht die im akademischen Diskurs oft ignorierte Globalität des Genres.
Sascha Seiler hat für die zweite Folge unseres Podcasts mit Mariana Enriquez gesprochen, das deutsche Voice-Over stammt von Gwendolin Koch.
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