Sie war ihm Lebensgefährtin, Muse, Modell, Inspiratorin, Managerin, Netzwerkerin
Tanja Pirsig-Marshall und Anna Luisa Walter stellen August und Elisabeth Macke – das wohl bekannteste Künstlerpaar des Expressionismus – vor
Von Klaus Hammer
Er war einer der Hauptvertreter und Initiatoren des Rheinischen Expressionismus. Sein Werk aus Ölbildern, Aquarellen und Zeichnungen entstand in gut sieben Jahren, zwischen 1907 und 1914. Schon wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges fiel dieser so jung vollendete Künstler mit erst 27 Jahren an der Westfront. August Macke hatte der Münchener Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ nahegestanden, ihr Mitbegründer Franz Marc schrieb in seinem Nachruf über den Freund: „Macke malte in lichteren und strahlenderen Farben als einer von uns“. Der Münchner Kreis wollte die Farbe nicht realistisch einsetzen, sondern verwandte sie zeitweise sehr frei, um starke Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Macke dagegen hatte überdies Matisse, den orphischen Kubismus Delaunays und den italienischen Futurismus zur Kenntnis genommen und in seine eigene Bildsprache übersetzt. So entstanden Bilder in harmonischer Schönheit und stiller Melancholie, mit poetischer Stimmung und von hoher Musikalität. „Bei mir ist arbeiten ein Durchfreuen der Natur“, hatte er 1910 geäußert. Die Aquarelle, die er von seiner berühmten Reise nach Tunesien 1914 mitbrachte, sind in der Intensität ihrer Farben von unübertroffener Faszination.
Etwa 400 Werke Mackes, dazu 80 Skizzenbücher, Briefe und andere Dokumente befinden sich in der Obhut des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster, das sich zu einem Macke-Forschungszentrum entwickelt hat. Mit seiner gegenwärtigen Ausstellung August und Elisabeth Macke. Der Maler und die Managerin (bis 5. September 2021 in Münster, später soll sie an das Franz-Marc-Museum in Kochel am See weitergehen) würdigt das Museum die Rolle, die Elisabeth Macke in der nur fünfjährigen Ehe (1909–1914) und nach dem frühen Kriegstod ihres Mannes als Bewahrerin und Vermittlerin seines Werkes gespielt hat. Sie war ihm Seelenverwandte und ebenbürtige Partnerin, engste Vertraute – sein „zweites Ich“ hat er sie genannt. In mehr als 200 Darstellungen hielt er sie fest, lesend, schreibend, stickend, mit Kind, als Akt, in Interieur- und Gartenszenen. Sie zählt zu den am häufigsten porträtierten Frauen des deutschen Expressionismus. Sie hat ihre Erinnerungen an ihn aufgeschrieben, seine Werke in einem ersten Verzeichnis erfasst. Sie war es auch, die ihn durch ihre ausgedehnten Verbindungen zu einem der bekanntesten deutschen Expressionisten im In- und Ausland werden ließ. Es war der Wunsch ihres Mannes vor seinem Tode gewesen, dass sie wieder heiraten sollte, seinen alten Schulfreund Lothar Erdmann, der dann 1937 seiner politischen Einstellung wegen im KZ Sachsenhausen interniert wurde und hier ums Leben kam. Elisabeths Erinnerungen an August Macke wurden 1962 ein Bestseller. 1978 starb sie in Berlin, 2009 erschienen ihre Begegnungen – und in diesem Jahr kommen ihre Tagebücher von 1905 bis 1948 heraus.
Auf der Grundlage einer gründlichen Auswertung des künstlerischen und schriftlichen Nachlasses von August und Elisabeth Macke zeigt die Ausstellung Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Stickereientwürfe, Textilien und Skulpturen von August Macke, wobei der Anteil Elisabeths beim Entstehungsprozess wie der Verbreitung der Werke nicht vergessen wird. In fünf Kapiteln arbeiten Ausstellung wie Katalog das vielfältige Beziehungsgefüge beider heraus: „Elisabeth als Muse“, hier geht es um die direkten und anonymen Bildnisse von Elisabeth, „Das Netzwerk von August und Elisabeth“, „Im Kreis des Blauen Reiter“, „Mode und Modernität“, damit ist das Thema der modernen Frau vor Schaufenstern von Hutläden und Modegeschäften gemeint, „Inspiration Orient“ – mit Mackes Tunis-Reise 1914 als Höhepunkt – und „Rezeption und künstlerisches Erbe“.
Mit Mackes Bildnissen von Elisabeth beschäftigt sich die Co-Kuratorin der Ausstellung Anna Luisa Walter. Im Unterschied zu anderen Expressionisten behielt er die Physiognomie der Porträtierten bei, zeigt sie in alltäglichen Handlungen, in ihrer privaten und häuslichen Umwelt, stets Ruhe und Harmonie ausstrahlend. Ihre Darstellungen entsprechen dem Frauenbild des frühen 20. Jahrhunderts. Momentaufnahme und kompositorische Inszenierung begegnen sich hier, mal wird Elisabeth als Frau des Künstlers und Allegorie der Fruchtbarkeit, dann aber auch wieder als Mutter seiner Kinder dargestellt – Madonna mit dem Christuskind mag ihm hier Vorbild gewesen sein. Ein solches Bild wie Frau des Künstlers mit Hut (1909) zeigt die Ausgewogenheit von Farbe und Komposition und bringt sie gleichsam zum Leuchten.
Wie beide Partner ein ganzes Netzwerk um sich spannten und wie Elisabeth es nach dem Tod ihres Mannes weiter ausbaute und ihm zu internationalem Nachruhm verhalf, untersucht Anna Luise Walter in einem weiteren Beitrag. Sowohl in der eigenen Familie als auch in der seiner Frau standen Macke Modelle zur Verfügung. Ein Onkel Elisabeths, Bernhard Koehler, selbst Sammler, förderte den jungen Künstler. Neben diesem familiären Netzwerk verfügten beide über einen stabilen Freundeskreis, so ab 1910 zu Franz Marc und dessen späterer Frau Maria, etwas distanzierter zum Kreis des Blauen Reiter, hinzu traten Beziehungen zu Galeristen und Museumsdirektoren. So gestaltete August 1913 bei Herwarth Walden den Ersten Deutschen Herbstsalon. Deren Porträts mit ihrer besonderen Art der Darstellung stehen – so die Autorin – in engem Zusammenhang mit Mackes persönlicher Beziehung zu ihnen.
Wie sich Macke neben dem Beobachten seiner Umwelt mit Vorbildern in der Kunstgeschichte und mit zeitgenössischen Strömungen in der Malerei auseinandergesetzt hat, führt die Co-Kuratorin der Ausstellung Tanja Pirsig-Marshall aus. Sein Interesse reichte von Botticelli, Michelangelo und Dürer über Böcklin und Klinger zu den französischen Impressionisten und Postimpressionisten. Vorlagen von Cézanne, Gauguin, Degas, Matisse und Delaunay haben ihn inspiriert. „Er erhielt durch die genaue Beobachtung und das Nachzeichnen, das Festhalten, wichtige Impulse, die wiederum mit in die zahlreichen Bildnisse seiner Frau einflossen“, schreibt die Autorin.
Ab 1912 hatte sich Macke mit einer Serie weitgehend abstrakter Bilder beschäftigt, die auf seinen Farbstudien beruhten. Peter Vergo erläutert, wie sich Macke und Marc 1910 über die Beziehung zwischen Malerei und Musik verständigt haben. Kann die Malerei nicht sichtbare Melodien und Harmonien erschaffen, indem sie sich ausschließlich abstrakter Mittel wie Farbe, Linie und Form bedient? Bei Robert Delaunay sah Macke das Ideal der „lebendigen Farbe“ verwirklicht. Für ihn war Farbe Stoff und Motiv des Bildes direkte Umsetzung des Lichts. Wir wissen nicht, ob Macke als Reaktion auf die Schrecken des Krieges seine eigenen Abstraktionsversuche weiterentwickelt hätte im Sinne des Satzes von Paul Klee, der 1915 schrieb, dass, je schreckensvoller diese Welt um uns herum, desto abstrakter die Kunst sich entwickeln würde.
Claudia Leonore Kreile widmet sich der Sonderrolle Elisabeth Mackes im Kreis der künstlerischen Avantgarden, besonders der Gruppe des Blauen Reiter, ihrer Freundschaft mit Maria Marc, aber auch der Begegnungen mit anderen Künstlerinnen und „Malerfrauen“. Schon 1905 führten Elisabeth und andere Mitglieder ihrer Familie Stickarbeiten nach Entwürfen von August Macke aus. Nach dessen Tod wurden auch seine Gemälde zu Stickvorlagen nicht nur für Elisabeth, sondern auch für Maria Marc, die ja gelernte Zeichnerin war. Von Gabriele Münter lernte Elisabeth die Kunst der Glasmalerei und schuf 1912 das Hinterglasbild Orientalische Szene. August und Elisabeth Macke unterhielten freundschaftliche Beziehungen zu den Künstlerpaaren Lily und Paul Klee, Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky, Adda und Heinrich Campendonk sowie Sonia und Robert Delaunay. Im Dialog zwischen Macke und Delaunay ist das Thema der modernen, eleganten Frau vor Schaufenstern von Modegeschäften ein Leitgedanke geworden. Tanja Pirsig-Marshall legt dar, wie Macke bei Delaunay das Ideal der „lebendigen Farbe“ fand und nun selbst mit Farbe, Raum und Bewegung experimentierte. So entstand das nun dominierende Thema der eleganten Frau bei der Betrachtung der Schaufenster von Modegeschäften, vor Hutauslagen oder beim Flanieren – ein charakteristisches Zeichen für Modernität.
Tatsächlich war Macke die Farbe in seinen frühen Landschaften und Porträts noch vorwiegend symbolisches Element. Dann, 1907, hatte sich ihm die Farbwelt der Impressionisten in ihrer vibrierenden Lebendigkeit erschlossen. Die Stillleben, die sich auf wenige Bildgegenstände – in der Regel Früchte – beziehen, zeichneten sich durch subtile Farbnuancierungen aus und waren in der Auffassung denen Edouard Manets vergleichbar. Dagegen geht das Stillleben Vogelbauer (1912) auf den Einfluss von Henri Matisse zurück. Auch die Aktdarstellung Badende mit Lebensbäumen (1910) mit ihrer Absicht, Licht durch die Intensität der Farbe zur Geltung zu bringen, mochte durch Matisses Reichtum, Ruhe und Begierde von 1904 angeregt worden sein.
Mackes Gartenbilder, die bereits im baden-württembergischen Kandern 1907, dann in Tegernsee und schließlich in Bonn und im schweizerischen Hilterfingen entstanden, stehen wieder in der Konzeption von Licht und Schatten dem Manet-Vorbild nahe. Macke kam nach 1907 auf die Thematik von Theater, Bühne und Zirkus zurück, die zweifellos ebenfalls durch die französische Malerei und hier vor allem durch Edgar Degas angeregt worden war. Er hat die Farbe entdeckt, ihm ist die Darstellung von Licht und Atmosphäre wichtig geworden. Noch die Bilder der von Sonnenflecken und Lichtreflexen überdeckten Spaziergänger unter Bäumen in Hilterfingen sind impressionistisch gedacht.
Im Garten am Thuner See (1913) eliminierte Macke zudem die Reste des Gegenständlichen und ging zur puren Abstraktion über. Die Balance aller bildlichen Elemente ist im Motiv des Seiltänzers von 1914, der das Gleichgewicht bewahren muss, will er nicht abstürzen, geradezu symbolisch gegeben. Türkisches Café‚ I (1914) konzentriert sich auf die Umrisse großer Formen. Farbflächen bestimmen hier den Bildaufbau, nur wenige Formen durchbrechen den Eindruck des Flüchtigen und deuten Räumlichkeit an.
Die Landschaft ist in seinen Figurenbildern von 1913/14 in farbigen Klängen aufgebaut worden, ja mitunter verselbständigte sich Farbe als abstrakte Form. Die Figuren erscheinen flächig und schattenlos. Grundfarben herrschen vor, selbst in den Brechungen zum Grün dominieren die wärmeren Gelbanteile (Dame in grüner Jacke, 1913). Die Rottöne des Hauses und der Bäume leuchten magisch (Rotes Haus im Park, 1914), das Blau erscheint als festlicher, unmaterieller Gegenklang. Atmosphärisches bestimmt in der wirkenden Kraft des Lichtes, das durch die Bäume gefiltert in Flecken auf den Boden fällt, den Bildeindruck. Es herrscht eine traumhafte Stille, ein „erfüllter Augenblick“. Tagtraum, Realität und Illusion sind hier eng miteinander verschmolzen.
Seit Oktober 1913 hatte sich Macke mit seiner Familie in der Schweiz am Thuner See aufgehalten und hier – durch die Umgebung und die glücklichen Umstände angeregt – eine intensive Arbeitsphase erlebt. Hier sind auch die mit leuchtenden Farben gemalten Aquarelle von Flaneuren und Spaziergängern entstanden, die im Zusammenhang mit Mackes Vorstellungen von einem irdischen Paradies stehen, das den Menschen in Harmonie mit seiner Umwelt zeigt (Spaziergänger mit Stadt, Gelbe Frau mit Kind, Frauen im Park, alle 1913). In einer ganzen Serie von Schaufensterbildern fand das Flaneur-Motiv seine markanteste Ausprägung. Sie war Mackes deutliche, doch unabhängige Reaktion auf das stilistische Angebot der Futuristen wie von Delaunays Fensterbildern. Macke schuf hier eine neue Variante der Straßendarstellung, indem er die Gegenstände als Bestandteil dargestellter Realität in ein nach dem Prinzip des Simultankontrastes geordnetes Flächenmosaik einsetzte (Modegeschäft im Laubengang, 1913; Eine Ladenstraße unter Lauben, 1914). Die Rückenfigur enthält das Angebot an den Betrachter, sich mit ihr zu identifizieren und in die Bildordnung einzutreten.
Als ein „Schlüsselereignis“ bezeichnet Ina Ewers-Schultz Mackes Besuch der Ausstellung von Meisterwerken mohammedanischer Kunst 1910 in München für die Entwicklung seiner eigenständigen Kunstsprache. Doch die Reise in den Süden, nach Tunesien, die Macke 1914 mit Louis Moilliet und Paul Klee unternahm, wird zwar mit Abbildungen im Katalog, nicht aber mit einem Beitrag bedacht. Macke hatte vormals ein recht traditionelles Orientbild, das Exotik und Sinnlichkeit visualisierte (Orientalisches Liebespaar, 1910). Aus einer Symbiose Europas mit dem Orient erhoffte er sich eine Erneuerung der Kunst. Seine Zeichnungen und Aquarelle in Tunesien entstanden unmittelbar vor dem Objekt oder enthalten tunesische Motive, die auf keine tatsächlich existierende Situation Bezug nehmen. Zu den spontan aquarellierten Blättern gehört Markt in Tunis I (1914).
Die ineinanderlaufende Wasserfarbe lässt die Details unberücksichtigt. Große, auf Komplementärkontrasten aufbauende Farbflächen lassen in ihren dynamischen Wechselwirkungen das Bewegte, Turbulente einer Marktszene sichtbar werden. Die Überzeugungskraft seiner Tunesien-Werke liegt in der Unmittelbarkeit, in der spontanen Wiedergabe eines überwältigenden Licht- und Farbenerlebnisses. Macke hat in Tunis auch fotografiert, um danach Zeichnungen anzulegen; er hat Zeichnungen auch aus den Motiven mehrerer Fotos kompiliert. Räumlich und zeitlich weit auseinanderliegende Eindrücke werden zusammengezogen, aus einzelnen Motiven, aus Wirklichkeitsfragmenten wird collagehaft eine neue Komposition gefügt. Nach der Reise entstanden auch Gemälde, die keine Verbindung zu den in Tunis aquarellierten und skizzierten Blättern haben, sondern aus der Erinnerung entstanden sind (so Tunesisches Hafenbild, 1914). Obwohl das Gegenständliche weitgehend zurückgenommen ist, wollte Macke noch nicht jenes Maß an Abstraktion, jene nahezu ausschließliche Dominanz der Farbe, wie sie etwa für Klees Aquarelle der Tunisreise gegeben waren.
Abschließend berichten Ulrike Gärtner über die Rezeption der Bilder Mackes und Eline van Dijk über die Macke-Erwerbungen des Westfälischen Landesmuseums Münster.
Die Publikation bringt viel Neues ein, regt zum Nach- und Weiterdenken an, vor allem aber löst sie Bewunderung sowohl für die Lebensleistung des jung verstorbenen Künstlers als auch für die ihn so inspirierende und um seinen Nachlass bemühte Lebensgefährtin aus. Mackes leuchtender Farbensinn und sein harmonisches Lebensgefühl zerbrachen angesichts der grausamen Kriegserfahrungen. Wenige Tage vor seinem Tode hatte er an seine Frau Elisabeth geschrieben: „Seit drei Tagen liegen wir hier in einem Gefecht, das sich von Paris nach Verdun hinzieht. Es ist alles so grauenhaft, dass ich Dir nichts darüber schreiben mag. Unser aller Gedanke ist Friede…Über all dem Kanonendonner schwebt eine sonnige Wolke, die Liebe zu Euch allen, Ihr Guten!“
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