Sonntagskinder der Kunst

Carl Ludwig Fernow denkt „Über die Landschaftmalerei“ nach

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor über zweihundert Jahren, nämlich 1803, rund 10 Jahre nach Immanuel Kants epochal bedeutsamen Werk Kritik der Urteilskraft, publizierte der Kunsttheoretiker Carl Ludwig Fernow im „Teutschen Merkur“ diesen konzisen Traktat zur Ästhetik in zwei Teilen. Die Abhandlung ist nun erstmals als eigenständige Schrift veröffentlicht worden und vermittelt wertvolle Einsichten in die Malerei der Klassik.

Fernow schreibt, dies sei seine „lezte Arbeit in Rom“, und er hoffe, „dass es nicht die schlechteste seyn möge“. Die von ihm vorgelegten Betrachtungen gelten der Landschaftsmalerei, die oft mit der Musik verglichen werde aufgrund der „Aehnlichkeit der Wirkungen, welche Farben und Töne, sowohl einzeln auf die Empfindung, als im harmonischen Verein aufs Gefühl, hervorbringen“. Hiervon allerdings grenzt er sich energisch, aber nicht konsequent ab, denn später nimmt er selbst die Analogie von Malerei und Musik wieder auf. Zu Beginn aber erklärt Fernow, die Künste überhaupt seien einander verwandt. Zugleich distanziert er sich von jenen Ästhetikern, die mit der „Miene mistischen Tiefsinnes“ aufträten und doch nicht mehr als schwatzhafte Fantasten seien.

Fernow schreibt, es gebe „kein Ideal einer schönen Gegend“, aber „idealische Bilder schöner Naturscenen“, die Künstler erfinden würden:

In landschaftlichen Darstellungen wird die jedesmalige Form der einzelnen Gegenstände durch die Idee des Ganzen bestimmt. Sie veranlasset und nöthiget den Künstler, sie für den einzelnen Fall gerade so und nicht anders zu bilden. […] Nur in Beziehung auf das Ganze wird jedes Einzelne bedeutend; das Willkürliche seiner Form erscheint durch ihre Zusammenstimmung mit den übrigen Formen als nothwendig und das Zufälligscheinende erhält innere Zweckmässigkeit.

Diese innere Stimmigkeit, die Fernow als ein unverzichtbares Moment der Landschaftsmalerei ansieht, spiegelt die Ästhetik seiner Zeit wider, in der eine kunstvoll gestaltete Harmonie erstrebt wird. Aus den „Dichtungen der Einbildungskraft“ entsteht eine „ästhetische Wirkung des Ganzen“:

Die Harmonie der Farben, welche über eine schöne Landschaft ausgegossen ist, macht eine ähnliche Wirkung auf das Gemüth, wie die Melodie und Harmonie in der Tonkunst.

Der „einzelne Gegenstand“ hat für sich genommen „keine ästhetische Bedeutung“. Eine „Nebenidee“ ist nie mehr als bloß unterstützend. Nahezu rigoros bestimmt Fernow:

Welchen Inhalt auch eine Landschaft haben mag; wo jene Wirkung mangelt, wo nicht ein bestimmter Gesamteindruk, wozu die Landschaft selbst den Grundton angiebt, das Gefühl in Anspruch nimt, da mangelt ihr das Wesentliche, die Poesie der Erfindung; sie ist kein Erzeugnis einer dichterisch gestimmten Einbildungskraft, kein echtes Kunstwerk.

Eine Belebung durch „Menschen, Thiere und Gebäude“ sei oft erforderlich, so wie überhaupt die „dichterische Fantasie“ des Künstlers für die wesentlichen Akzente sorge:

Die Natur ist unerschöpflich an Motiven aller Art; aber sie fodert, dass ihr eine dichterische Fantasie begegne; ein geübter Kunstsin, der sie lebendig auffasse; ein Geist, der den rohen dürftigen Stof zu einer reichen idealischen Schöpfung ausbilde.

So wie Immanuel Kant in der Kritik der Urteilskraft den Begriff und die Wirkmächtigkeit des Genies hervorhebt, so spricht Carl Ludwig Fernow von der „dichtenden Fantasie“, die dem künstlerischen „Sontagskind“ zu eigen sei:

Solche Künstler sind den Sontagskindern gleich, die, nach dem Glauen des gemeinen Mannes, Geister sehen können. Geübt, mit genialischem Blicke überal das Malerische in der Natur zu sehen, finden sie Motive zu den trefflichsten Gemälden, wo der Ungeweihte troz allem Suchen nichts findet.

Die Sonntagskinder der Malerei entdecken gewissermaßen den „blendenden Glanz des Lichts“ selbst dort, wo alle anderen bloß nachahmen und nachbilden können, was ihnen vor Augen liegt, während sie doch weiter und tiefer sehen sowie kunstvoll zu gestalten wissen, während ihre Einbildungskraft geweckt, angeregt und wie beflügelt erscheint. Wie sklavisch und schülerhaft bleiben die weniger Begabten an die Theorien gebunden, versuchen mit deren Hilfe künstlerisch tätig zu sein und sind doch unausweichlich an die Konventionen gebunden. Die „ächten Kinder der Kunst und des Genies“ sind jene, die zwar ästhetische Theorien kennen, aber eigentlich nicht nötig haben:

De genialische Künstler kümmert sich nicht um die Abtheilungen de Theoretiker. Ihm genügt die ästhetische Zwekmässigkeit; gleichviel übrigens in welcher Form sich die neuen Verbindungen seines dichterischen Erfindungsgeistes darstellen.

Das Sonntagskind der Kunst weiß auch in der Landschaftsmalerei das Kunstwerk, das es formt, gestaltet und hervorbringt, organisch von innen her zu entwickeln. Anders gesagt: Der Künstler arbeitet nicht epigonal, sondern setzt seine ästhetische Idee um:

Da in jedem Kunstwerke die ästhetische Idee der Grundkeim ist, aus dem das Ganze sich organisch entwickeln, und zur schönen Einheit gestalten sol, und da dieses nur durch ein genialisches Erfinden und zwekmässiges Anordnen der Komposizion möglich ist, so sieht man leicht, dass der Gedanke des Ganzen, und die ihn ausdrückende Komposizion das erste und wesentliche Erfordernis einer idealischen Landschaft ist. […] Zur idealischen Schönheit des Ganzen mus durchaus noch die individuelle Wahrheit des Einzelnen hinzukommen, wenn die Darstellung ein volständiges Kunstwerk seyn sol. Dem Landschaftmaler mus also das Strudium des Einzelnen eben so wichtig seyn, als das Studium des Ganzen.

Im Gegensatz zu dem nur wenig kunstsinnigen Immanuel Kant, mit dessen Schüler Karl Leonhard Reinhold der Verfasser dieser Schrift freundschaftlich verbunden war, schärft Carl Ludwig Fernow den Blick für die Ästhetik und Kunst der Weimarer Klassik. Seine Darlegung des Geniebegriffs weist bereits auf die Romantik hin, in der noch mehr der Künstler selbst in den Mittelpunkt rückt. Fernow indessen neigt nicht zur Überhöhung des Landschaftsmalers oder des Künstlers überhaupt, aber er macht darauf aufmerksam, dass dieser sich weder durch ästhetische Expertise noch durch philosophische Weisheit auszeichnet, sondern dadurch, dass er konsequent das Ganze in den Blick nimmt und so ein Kunstwerk kreiert, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Diese schmale Schrift erweist sich als ein wichtiger Mosaikstein für ein adäquates Verständnis der Ästhetik der Aufklärungszeit.

Titelbild

Carl Ludwig Fernow: Über die Landschaftmalerei.
Hg. von Andre Georgi.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2020.
112 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783865257925

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