Stadt, Land, Schloss

Björn Kerns Roman „Solikante Solo“ über das Leben in unvereinbaren Widersprüchen

Von Monika WoltingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Wolting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Seit der Trennung war Ruth vor allem eines: in Eile.“ Schon mit dem Romaneinstieg deutet der Autor Björn Kern auf das Motiv der Ruhlosigkeit hin, das sich durch den gesamten Text zieht. Von der ersten bis zur letzten Seite pendeln die Figuren zwischen Gehetztsein und versuchter, wenn nicht erzwungener Seelenruhe.

Björn Kern wurde 1978 in Lörrach/Baden geboren, mit Anfang 20 hat er seinen ersten erfolgreichen Roman (KIPPpunkt, dtv 2001) geschrieben, es folgten drei weitere in neun Jahren. In allen seinen Geschichten lassen sich immer wieder persönliche Erfahrungen finden. Und im neuen Roma handelt es sich bei Solikante, auch wenn der Leser bei dem Namen zunächst an Ferien, Sonne und ein Städtchen am Meer denken mag, um einen realen Ort im Oderbruch, in dem der Autor, selbst aus Berlin kommend, Zuflucht sucht.

In dem Roman geht es um ein ‚selbsternanntes Ehepaar‘ mit Tochter Sisal, das einen Umzug von Berlin in das Oderbruch wagt und das an dem Spagat zwischen Großstadt und Land zerbricht. Der Erzähler macht dies etwa so fest:

In der ‚Märkischen Einkehr‘ war das, was andernorts so unüberwindbare Schwierigkeiten darstellte, immer einfach gewesen. Hatte man Durst, bekam man ein Bier […]. Hatte man Hunger, bekam man Schnitzel mit Pommes. Die Frage lautete nicht: Was willst du essen? Sondern: Willst du essen? […] Wozu es führte, wenn man von früh bis spät Entscheidungen zu fällen hatte, sah man eine Stunde weiter westlich. Es war hinlänglich bekannt, dass die meisten Berliner verrückt geworden waren. Das brachte die Stadt nun einmal mit sich. Rad oder U-Bahn? Café Americano oder Espresso Macchiato? Zu Hause blebien oder ausgehen? Brot und Butter oder Bread and Butter?

Das überschaubare, ruhige, seinen Gang gehende Landleben wird in Kontrast zum urbanen, schnelllebigen, abwechslungsreichen Leben gesetzt.

Ruth und Jann hat es aus Westdeutschland nach Berlin verschlagen, hier haben sie sich kennengelernt und eine Familie gegründet. Ruth arbeitet als Psychologin auf Stundenbasis, weil sie „ein Kind großzuziehen hat“, Jann, ein ehemals erfolgreicher Besitzer einer Start-up-Brauerei für regionales Bier, kauft ein Schloss, eher eine Gutshausruine, in Solikante und versucht dort, ein Heim für seine kleine Familie zu schaffen. Die Ansprüche beider sind jedoch zu unterschiedlich, als dass das große Ziel realisiert werden könnte. Ruth braucht das pulsierende Leben der Stadt, Jann sehnt sich nach Einfachheit und Ruhe, sauberer Luft und der Weite der Landschaft. Der Kontrast wird noch deutlicher, da wegen Sanierungsarbeiten an Ruths Haus in Berlin die Fenster ihrer Wohnung mit Planen abgedeckt sind. So wird der Tag von der Nacht kaum unterscheidbar. Dafür kann Jann stundenlang durch die weite, unbegrenzte Landschaft des Oderbruchs wandern. Ruth sieht diese „Schönheit auf dem Weg zum Schloss“ ebenfalls. „Die sommerliche Weite, die Apfelallee in vergorener Süße.“ Sie lässt sich aber von dieser Art romantischer Vorstellung nicht blenden, sie sagt: „Das war kein Leben, hier draußen, das war Fake. Solikante lullte ein.“

Björn Kerns große Kunst besteht darin, mehrere Themen zu einer zusammenhängenden Erzählung zu verweben. In Solikante Solo findet der Leser eine moderne Liebesgeschichte und eine Gesellschaftsgeschichte. Hier wird das Bild der Generation Y entworfen; getrieben von Heimatlosigkeit und Unvereinbarkeit von Lebensentwürfen fordert sie grenzenlose Freiheit und zugleich Teilhabe ein. Die beiden Protagonisten scheinen in der Welt, im Alltag, in der Stadt, auf dem Lande verloren, sie besitzen keinen Fixpunkt mehr. Der Autor selbst nennt sie „Elementarteilchen“, „Einzelkämpfer“. Sie finden keinen Platz für ihre Familie; es ist weder die schillernde Stadt noch das behütete Land, wo sie bereit gewesen wären, zu leben und ihr Kind großzuziehen.

Nebenbei bezieht der Autor auch Stellung zu brandaktuellen Themen, es wird im Dorf von einem Syrer gesprochen, der Geschäfte machen will, und alle hoffen, dass er bloß kein Muslim sei. In vielen Textstellen werden beiläufig Themen wie der Umgang mit der DDR-Vergangenheit, der Einfluss der AfD in ländlichen Bezirken, asbestverseuchte Industriegebiete und Ressentiments aufgegriffen. Kerns Roman ist unruhig und gleichzeitig durchdringt ihn die Lethargie eines zu heißen und zu schwülen Sommernachmittags. Die Geschichte wirkt beklemmend und am Ende kann sich niemand als Sieger fühlen, Ruth wird regelrecht aus ihrer Berliner Wohnung verdrängt, Jann aus seinem Schloss vertrieben. Der letzte Satz des Romans lautet: „Aber umrühren müssen Sie selbst“, als Jann den Kaffee mit Becher, Milch, Zucker und Rührstäbchen bestellt hatte. Ist das eine Aufforderung zum Aktivwerden?

Titelbild

Björn Kern: Solikante Solo.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
336 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783596700899

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