Berliner Geschichten

Johannes Groschupf wirft sich mit aller Macht auf die Zeit nach Corona. „Berlin Heat“ ist großartig

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man weiß sich nicht recht zu entscheiden, ists Satire oder großartiger Realismus? Die Empörung rechtschaffener Leute, die solche Bücher natürlich nie lesen werden, ist wenigstens vorprogrammiert. Denn in Johannes Groschupfs neuem Krimi gibt es einen abgehalfterten AfD-Politiker, der seine Wahlchancen verbessern will, indem er seine eigene Entführung inszeniert und seine Befreiung gleich drauf noch als Versagen der Behörden aufpeppt.

Die Geschichte – nebenbei bemerkt – wendet sich schließlich von diesem Max Kallatzky (AfD) weg und berichtet nur noch beiläufig davon, dass sein Kalkül Früchte trägt und sein Kampf gegen Moslems, die lasche Polizei und das, was sonst in diesem Land angeblich alles falsch läuft, weiter geht.

Aber das ist nur der skandalträchtige Nebenstrang eines Romans, der es in sich hat. Und zwar, weil er einerseits so ziemlich alle Klischees, die es zum Krimi braucht, kräftig ignoriert, und sie andererseits wiederum derart überbietet, dass kein Auge trocken bleibt. Das ist große Kunst, und wenns keine große Kunst ist, dann sehr gelungenes Handwerk, das man sehr loben muss.

Ein junger, unsympathischer Mann, ein unbeherrschter, aufschneidender Spieler, gerät in die Entführungssache, die aber merkwürdig eskaliert und immer weitere Kreise dreht. Es ist der Sommer nach Corona – also nächstes Jahr–, die Stadt feiert ihre Normalität, die Touristen kommen wieder, was jenem Tom Lohoff gut in den Kram passt, denn er vermietet die Wohnungen seines Vaters an Leute auf dem Berlin-Trip, und beschafft ihnen dann auch gleich noch alles, was zu einem urbanen Vergnügungsausflug heutzutage gehört. Das bringt mächtig Kohle ein, die Lohoff aber gleich wieder in diversen Spielhöllen verballert, und noch viel mehr.

Also leiht er sich auf das Glück, das da mal wieder kommen wird, eine Menge Kohle, und rasselt immer tiefer in die Schulden. Bis dann der Tag kommt, an dem er alles zurückzahlen muss. 12 Mille bis zum Wochenende, sonst ist er dran.

Da kommen die beiden Kerle, die eine seiner Wohnungen für teures Geld mieten wollen, und das sofort, ganz recht. Auch wenn Lohoff doch recht schnell merkt, dass sie die Wohnung für einen dritten Mann brauchen, von dem kurze Zeit später ein Entführungsvideo im Fernsehen zu sehen ist.

Der Fall rollt also los, Lohoff zieht seinen Vater, einen ehemaligen DDR-Kriminalen, dazu, der nach der Wende darüber gestolpert ist, dass sich die Stasi seiner Verhörkünste gelegentlich versichert hat. Das kann nach 89 schon mal falsch verstanden werden. Immerhin reichte es seinerzeit noch dazu, dass sich Vater Lohoff einiger Immobilien aus altem Staatsbesitz versichern konnte, die ihm jetzt das Alter sichern sollen (wenn denn nicht der spielsüchtige Sohn die ganze Zeit das gute Geld verjubeln würde). Die Faxen dicke, schauen sich Vater und Sohn die Sache in ihrer Wohnung an, am Ende schnappen sie sich das vorgebliche Entführungsopfer, um es woanders zu verhören (he?) und einer der beiden „Entführer“ fliegt aus dem Fenster, was bei den höheren Stockwerken im Plattenbau fatal ist. Der andere dreht schließlich durch und macht das, was durchgedrehte Neonationale heutzutage machen, wenn sie keine Partei gründen, sie laufen Amok.

Zu diesem Zeitpunkt ist der junge Herr Lohoff bereits in die Fänge einer Berliner Polizistin – Romina heißt sie – geraten, die an dem Entführungsfall dran ist, aber vor allem groß und lauthals schwatzt. Sie sperrt ihn ein und lässt ihn wieder laufen, sie horcht ihn aus und nutzt ihn als Lockvogel, sie treibts mit ihm und lässt ihn nicht mehr aus den Fängen, und Lohoff – der zwar alle Eigenschaften des abgesunkenen Krimiermittlers hat, aber nie zum Ermitteln kommt (er kommt nicht mal dazu, seine Version der Geschichte zu erzählen, quasi die vom harmlosen Tramper, der in das alles nur hineingeraten ist) – kriegt seinen großen Auftritt, als er den Amok laufenden, Lersch-Verse abwandelnden zweiten Entführer (Ronny heißt er, wie man eben so heißt) in die Arme fällt. Das hat unfreiwillige Größe, und das muss man honorieren.

Berlin Heat ist, was seine Qualität ausmacht, sehr schnell geschrieben und treibt alles, was es anfasst, ins Extreme. Das muss man können, und Groschupf bekommt das in der Tat hin. Mit Berlin Prepper  hat er vor zwei Jahren schon einen sehr erfolgreichen und hoch gelobten Roman vorgelegt, damals über einen Helden aus der Prepper-Szene, die sich auf den Untergang vorbereitet. In Berlin Heat hält er den Untergang etwas auf Distanz, und zeigt dabei noch mehr von dem, was er kann. Es wäre schön, wenn er da weitermachen würde und nicht erschöpft aufhörte. Aber das Problem mit dem Überbieten ist, dass es sich doch irgendwann totläuft. Aber bis dahin eben viel Vergnügen.

Titelbild

Johannes Groschupf: Berlin Heat. Thriller.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
254 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518471395

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch