Schwertzeit mit Frustrations-Faktor

Rudolf Simek stellt in drei umfangreichen Bänden nordische „Sagas aus der Vorzeit“ vor

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt ja Attribuierungen, die trotz ihres positiven Grundklangs mittlerweile einen merkwürdigen Beigeschmack aufzuweisen scheinen und somit die vermeintlich positive Aussage in ihr Gegenbild verkehren. Dass dabei oft lediglich ein Konnotationswandel, bedingt durch sprach- oder wortgeschichtliche Entwicklungen, vorliegt (ein Klassiker wäre die veränderte Auffassung des Wortes ‚Weib‘ im Sinne einer Abwertung), sei dahingestellt. Oft genug ist es aber tatsächlich so, dass ‚altväterlicher‘ Sprachgebrauch nicht nur aus der Zeit gefallen zu sein scheint, sondern tendenziell als Medium der camouflierten Desavouierung herangezogen wird. Eine dieser Begrifflichkeiten ist das Wort ‚umtriebig‘, das heutzutage zumindest als fragwürdige, wenn nicht gleich negative Wertung verstanden wird. Wenn jetzt also der Spiritus Rector dieser drei Bände, Rudolf Simek, mit diesem Attribut versehen wird, könnte ein falscher Eindruck entstehen. Die hier gemeinte Umtriebigkeit steht sinnbildlich für die beeindruckende Rastlosigkeit seiner wissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten, die – verbunden mit einem gerade im Kontext der Wissenschaft nicht immer gegebenen pädagogischen Geschick – ein Kennzeichen des Vorgehens Rudolf Simeks darstellt.

Dementsprechend ist der Österreicher ebenfalls einem an Dokumentationen interessierten Fernsehpublikum ein Begriff, hat er doch auch in diesem Medium bereits nordische Sagen und Mythen thematisiert sowie in TV-Dokumentationen rund um den Komplex ‚Wikinger‘ mitgewirkt. Die vorliegenden dreibändigen Sagas aus der Vorzeit sind einerseits gewissermaßen die Papiervariante von derlei Fernsehproduktionen, in die überdies eine ganze Reihe von fortgeschrittenen Studierenden sowie graduierten Angehörigen der Skandinavistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn eingebunden wurde. Andererseits lassen sich Längsverbindungen bis ins 19. Jahrhundert ziehen, in dem nicht nur Gustav Schwab die Sagenwelt des klassischen Altertums breiteren, wenngleich in erster Linie bildungsbürgerlich orientierten Kreisen zugänglich machte, sondern etwa auch Friedrich Heinrich von der Hagen sich der Motive und Stoffe der ‚deutschen Vorzeit‘, die nach damaliger Lesart auch die germanischen Überlieferungen des skandinavischen Nordens umfassten, annahm.

Die altskandinavischen Textausgaben, angeregt durch und hervorgegangen aus Seminarveranstaltungen in der Abteilung für Skandinavistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und zum größeren Teil (mit-)übersetzt von dortigen Masterstudierenden und Promovierenden, ist – vermutlich ein ganz ausgefuchster PR-Coup (?) – mittels wikingerzeitlicher Schwertsymbole nummeriert. Sie umfassen im ersten Band Heldensagas, im zweiten werden Wikingersagas in den Blick genommen, während Band drei der Welt der Trollsagas vorbehalten ist. Im Untertitel der Reihe (Von Wikingern, Berserkern, Untoten und Trollen) scheint dabei eine irritierende Inkonsequenz auf, indem Helden, Wikinger und Trolle explizit als ‚Themenband‘ erscheinen, Berserker und Untote allerdings nicht. Das ist kein schwerwiegender Einwand, aber zumindest erwähnenswert, deutet es doch darauf hin, dass im Lektorat und/oder Marketing vielleicht anderes priorisiert worden sein könnte.

Das Interessante am ersten Band dieser Trilogie, den Heldensagas, ist, dass sich hier zumindest grundsätzlich Motive aufgreifen ließen, die im Kern auf Überlieferungen aus den heroic ages des germanisch bewegten Frühmittelalters aufbauen und somit kein skandinavisches Spezifikum darstellen, sondern im erweiterten Sinne Zeugnis für eine europaweite oder doch zumindest überregionale Kulturtradition ablegen. Allerdings hat der Herausgeber darauf verzichtet, folgen die drei Bände doch der Ende des 19. Jahrhunderts erschienenen Saga-Edition von Valdimar Ásmundarson, in der ein spezifisch isländischer Fokus zum Tragen kam. Dementsprechend sind etwa die Thidrekssaga, Kudrun oder andere Stoffe gemeingermanischer und damit gewissermaßen transeuropäischer Dimension nicht aufgenommen. Eine Ausnahme bildet hier allerdings die Völsungen-Saga, die mit dem mittelhochdeutschen Nibelungenlied korrespondiert.

Dennoch wird gerade an den Heldensagenstoffen immer wieder deutlich, inwieweit sich die Aspekte des Heldenbildes beziehungsweise die Vorstellung von den Eigenschaften und Verhaltensweisen des Helden seit der Völkerwanderungszeit und dem Mittelalter geändert haben: Helden (und selbstverständlich auch Heldinnen) sind zumindest in der jüngeren Vergangenheit an den Erfolg gebunden, obwohl das – mitunter sogar totale – Scheitern den Vorstellungen jener Zeit viel eher entspricht. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Sicht auf die Gesellschaft verändert hat. Der ‚alte‘ Held weist zumindest in vielen Fällen eine Schnittmenge zum Berserkertum auf, sprengt somit die als ideal gedachte Gesellschaft und ist letztlich auf Dauer sozial nicht kompatibel. Die Helden unserer Zeit reparieren im Idealfall ein vielleicht im Grundsatz noch funktionales, in der Lebenswirklichkeit jedoch aus dem Takt gekommenes gesellschaftliches Ganzes.

Dass mitunter auch Könige tragisch scheitern, das damit verbundene Ende einer Dynastie im Rahmen eines quasi metaphysischen Transferprozesses so jedoch gewissermaßen aufgefangen werden kann, dafür bietet die von Claire Graf übersetzte Saga von Hrolf Kraki, des letzten dänischen Skjöldungenkönigs, und seinen Getreuen ein erstes Beispiel. Bemerkenswert ist hier auch ein zumindest die Nordsee umspannender Aspekt, denn bestimmte Motive sind der altenglischen Beowulf-Überlieferung entnommen, die ihrerseits wiederum im Dänischen lokalisiert ist.

Ebenfalls im dänischen Raum verortet ist die Saga von Ragnar Lodbrok und seinen Söhnen (Ulrike Strerath-Bolz). Dass dieser Text hinter der Völsungen-Saga (Sarah Onkels) platziert wurde, ist insofern folgerichtig, als Ragnar Lodbrok die Tochter Sigurds zur Frau nimmt und damit gewissermaßen den ‚nordischen Nibelungen‘ angesippt wird. Dazu passt auch, dass die namensgebende Figur offenbar fiktional ist. Die Söhne des Ragnar hingegen lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als Wikingerhäuptlinge in Dänemark und auch Britannien nachweisen, und mit dem Verweis auf Harald Schönhaar wird eine definitiv historische Persönlichkeit in diesem Text erwähnt. Damit wird aber auch implizit der Blick auf die Heldendichtung als ein zumindest im weiteren Sinne auch historiographisches Mediums gelenkt – ein Ansatz, der für die mitteleuropäisch-germanische Heldendichtung nach starker Betonung in der älteren, ‚national‘ geprägten Forschung zugunsten einer reinen Textimmanenz bereits weitgehend aufgegeben wurde. Das sich anschließende Gedicht der Kraka (Jonas Zeit-Alpeter, Rudolf Simek) gehört ebenfalls in den Lodbrok-Kontext, und womöglich wurde es ob seiner definitiven Ahistorizität gewissermaßen als eine Art ‚Abkühlung‘ aufgenommen, wobei einführende respektive kommentierende Zeilen hier nicht gegeben werden.

Die Geschichte von Norna Gest (Tanja Möller) wiederum, die sich an die beiden Lodbrok-Texte anschließt, ist eine fiktionale Biographie, die – verortet in der Zeit des norwegischen Königs Olaf Tryggvason – zwar historische, aber eben auch ‚sagenhafte‘ Querbezüge aufweist. Diese verbinden die kurze Geschichte insbesondere mit dem Völsungen-Kreis, sodass hier drei Ebenen greifbar sind. Da wäre zum einen die in die frühe Christianisierungszeit Norwegens, die sagenhafte Ebene im nordnibelungischen Kontext und dann die gewissermaßen synthetisierende, die beide Elemente zusammenbringt – sei es, um die Wahrhaftigkeit zweiterer oder aber die Kunstfertigkeit mit Blick auf ein texterfahrenes Publikum zu beweisen.

Rein mythologisch bezogen ist die Geschichte von Sörli (Tanja Möller), die einen knapp eineinhalb Jahrhunderte andauernden Kampf beschreibt, der in abgewandelter Form auch schon bei Saxo Grammaticus und Snorri Sturluson als Motiv auftaucht. Es geht letztlich um den Kampf zwischen Högni und Hedin, der nicht nur Hild, die Tochter Högnis, geraubt hatte, sondern dabei auch deren Mutter tötete. Die Dauer des Kampfes geht nicht allein auf die Tatsache zurück, dass das Geschehen im Kreise Asgards verortet ist, sondern vor allem darauf, dass Hild aus Liebe zu Hedin in jeder Nacht die Gefallenen wiederbelebt. Anklänge an den Mabinogi-Zyklus sind hier sicherlich nicht rein zufällig. In der vorliegenden Geschichte ist es jedoch anders als in den prominenteren Bearbeitungen so, dass der christliche Norwegerkönig Olaf von Hedin um Erlösung von diesem immerwährenden Kampf gebeten wird. Diese erfolgt denn auch – allerdings auf makabre Weise, denn nur die Tötung der beiden, Hedin und Högni, beendet dieses ewige Blutvergießen.

Definitiv historisch wird es wieder mit der Saga von Hervör und König Heidrek (Rudolf Simek), die im Kern auf die Überlieferungen um die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern und damit in die kontinentaleuropäische Spätantike zurückgeht, aber in den Norden verlegt wurde. So werden etwa die Hunnen und Goten zwar erwähnt, spielen allerdings keine erkennbare Rolle im Text, der von teils vorzeitlich-sagenhaften dynastischen Auseinandersetzungen im skandinavischen Norden handelt und in dem insbesondere die Motive von Treue, Rache und Tapferkeit tragend sind. Bestimmte Verlaufsmuster erinnern an die mittelhochdeutsche Dietrichepik, sodass hier neben dem historischen auch ein literarisch-formaler Bezug in den südgermanischen Bereich hinein erkennbar ist. Mit der Saga von Half und seinen Helden (Rudolf Simek) wird ebenfalls teils historischer Boden betreten, führt doch das tragische Scheitern des Protagonisten zur Auswanderung seiner Nachkommen nach Island – und damit in eine noch weiter entfernte Exklave germanischer Überlieferungstraditionen, die neben der Entwicklung eigenständiger Motive gleichwohl gemeingermanisches Material weitertradieren wird.

Dieser erste Band ist wie die folgenden nach der Abbildung einer zeitgenössischen Landkarte durch ein ansprechendes und hilfreiches Glossar, umfangreiche Namens- und Ortsregister sowie ein Register für Tiere, Gegenstände und Schiffe abgerundet, dem ein bibliographisches Verzeichnis der Sagatexte folgt. Damit sind über den Lesegenuss hinaus zumindest erste Zugangswege geebnet, die der weitergehenden Beschäftigung mit altnordischen Texten mehr als dienlich sein können.

Der zweite Band ist, wie der Name bereits verrät, thematisch wie zeitlich enger auf den wikingischen Kontext hin ausgerichtet. Der Kernaspekt von Ehre und den daraus folgenden Rachemotiven ist in nahezu allen der vorgestellten Sagas greifbar und lässt sich bereits prominent in der Saga von Thorstein, Vikings Sohn (Rudolf Simek) fassen. Auch wenn sich keine verifizierbaren historischen Ereignisse mit dieser Sage verbinden lassen, weist sie neben dem quasi auf der Metaebene installierten Kodex von Verhaltenserwartungen und -mustern auf die Kleinteiligkeit der diversen Herrschaftsgebiete im norwegischen und schwedischen Skandinavien der Wikingerzeit hin. Somit ist dieser Text zumindest im weitesten Sinn ebenfalls als historische Quelle zu lesen und als solche wohl auch gelesen beziehungsweise gehört worden.

Durch den angehängten Stammbaum wird die genealogische Verbindung zum Protagonisten der Saga von Fritjof, dem Kühnen (Jonas Zeit-Altpeter) visualisiert. Diese ist auch von der Lokalisierung her (Kernraum ist der norwegische Sognefjord) an die Thorstein-Saga angeknüpft, allerdings ist sie insofern gebrochener, als die Liebesgeschichte zwischen der Prinzessin Ingibjörg und dem Protagonisten Fritjof von den Brüdern der Adeligen allein schon deshalb hintertrieben wird, weil dieser ein Bauernsohn ist. Nach vielen Abenteuern des Helden, der auf Wikingerfahrt bis zu den Orkneys und weiter kommt, eskaliert das Ganze in einer entscheidenden Schlacht, in deren Verlauf Helgi, einer der Brüder Ingibjörgs, durch die Hand Fritjofs fällt, sodass der Sieg in ganzer Linie auf Seiten des Protagonisten liegt. Die Geschichte ist bemerkenswert, da gerade dieses Ende – Fritjof stürmt ungestüm vor und lässt seine Kämpfer weit hinter sich zurück – in der Regel ein klares Formulierungszeichen dafür ist, dass der Angreifer einen heldenhaften Tod sterben muss. Dies ist nicht der Fall: Fritjof überlebt, heiratet Ingibjörg und stirbt hochbetagt. Die kurze Erzählung stellt sich also als faszinierende Verknüpfung von Heldensagenmotiven, bäuerlichen Sagaelementen und höfischen Elementen dar, die damit gewissermaßen aus allen Rahmen fällt.

Gleichwohl steht Fritjof in einer Linie, die mit der Saga von Gautrek oder Saga von Gaben-Ref (Mark Jungbluth) auch in diesem Band fortgeführt wird. Eigentlich sind es drei Sagas, deren Inhalt zum Teil bereits bei Saxo Grammaticus (Gesta Danorum) zu Beginn des 13. Jahrhunderts erzählt wird. Der (Titel-)Held Gautrek ist das Verbindende in diesem Triple und der erste Teil dieser Komposition zumindest bedingt historisch greifbar, während der im zweiten Teil als Hauptprotagonist ausgewiesene, von Thor verfluchte Riese Starkad als Wesen aus der mythologischen Welt daherkommt. Hier hat allenfalls die Opferung Köngs Vikars, des Schwurbruders Starkads, an Odin insofern einen historischen Bezug, als Königsopfer für den ‚Walvater‘ ja für Alt-Uppsala bezeugt sind.

Auch die schwankhafte Geschichte um den Bauernsohn Ref gliedert sich nur locker an und lässt sich zumindest aus heutiger Sicht wohl vor allem als eine Art Puffer für die sich anschließende Saga von Hrolf, Gautreks Sohn (Lukas Orfgen, Maike Hanneck) interpretieren – wobei nicht auszuschließen ist, dass das zeitgenössische Publikum ähnlich dachte. Diese Saga ist zumindest auf den ersten Blick als eine Zusammenstellung von vier Brautwerbegeschichten zu sehen, in denen der Titelheld immer wieder als ein Retter aus ausweglosen Situationen auf den Plan tritt. Bemerkenswert ist hier vor allen Dingen die deutlich emanzipierte Darstellung der handelnden Frauen, die sich ihren männlichen Gegenspielern gegenüber als ebenbürtig erweisen. Interessant überdies ist der geographische Faktor. Die Brautwerbe- beziehungsweise Ruhmerwerbsfahrten umfassen nahezu den gesamten wikingisch-warägischen Wirkungsraum. Neben Schweden, England und Irland wird auch der russische Raum befahren, sodass hier eine Art der Reiseerzählung greifbar ist, die sowohl von Intensität und Dichte als auch von der Dramaturgie her den genauso betitelten Romanen eines erfolgreich fabulierenden Sachsen vorzuziehen ist. Und der (anonyme) Verfasser hat – in positivem Gegensatz zu eben jenem Sachsen – auch vorgebaut. In seinem, in dieser Weise keineswegs üblichen, Nachwort heißt es in der vorliegenden Übersetzung: „Ob wahr oder nicht: Möge sich derjenige unterhalten fühlen, der es zulässt; die anderen sollen nach anderer Unterhaltung suchen, die ihnen besser gefällt.“ Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Die bereits mehrfach angeklungene Zusammenstellung bestimmter Sagas zu einem genealogischen Ganzen setzt sich auch mit der Saga von Ketil Lachs (Valerie Broustin) fort, der ähnlich wie Fritjof der Stammvater einer ganzen Reihe von Saga-Helden ist. Verortet ist diese Saga in Nordnorwegen, gekennzeichnet durch die Beschreibung märchenhaft anmutender Abenteuer des großbäuerlichen Protagonisten. Dies gilt auch für die Spross-Saga von Grimm Zottelwange (Valerie Broustin), die Abenteuer und Ereignisse aus dem Leben dieses Sohnes von Ketil Lachs berichtet. Spannend ist zum einen der untypische soziale Status beider Protagonisten, die sich aufgrund ihrer bäuerlichen Herkunft von den ansonsten in vergleichbaren Texten dominierenden Adeligen abheben. Zum anderen ist es der vermutlich gerade aus diesem Umstand resultierende Aspekt, dass die Nachfahren Ketils – ob authentisch oder nicht, ist kaum zu verifizieren – zu den führenden Angehörigen der ersten isländischen Landnahmegeneration gezählt werden, die sich ja bewusst aus dem sozialen Rahmen der norwegischen Gesellschaft gelöst und von diesem distanziert hatte.

In diese genealogische Reihe gehört auch die Saga von Pfeile-Odd (Jonas Zeit-Altpeter), dem Enkel Ketils, deren Inhalt ebenfalls bereits in den Gesta Danorum auftaucht. Inwieweit der Saga-Verfasser des 14. Jahrhunderts aus Saxos Vorlage schöpft oder ob es eine unbekannte Vorlage gibt, aus der beide Texte ihren Inhalt bezogen, dürfte kaum nachprüfbar sein. Der Rahmen der sehr umfangreichen Sage spannt sich von der Voraussage des Todes dieses Helden bis zur Erfüllung jener Prophezeiung. Der unterhaltsame Kern ist den abenteuerlichen, sehr märchenhaft ausgeschmückten Beschreibungen der Fahrten Pfeile-Odds gewidmet, die ihn zum einen weit nach Westen, aber auch nach Osten bis etwa Nowgorod oder sogar Griechenland führen. Es ist nicht auszuschließen, dass diesem Protagonisten sogar eine wirkliche Person als Vorbild diente, deren Historizität jedoch in dieser Sage hinter der Beschreibung märchenhafter Abenteuer zurücktritt. Den Abschluss dieser genealogischen Saga-Reihe um die Männer von Hrafnista bildet die Saga von An Bogenbieger (Rudolf Simek), die weitgehend ohne das märchenhafte Kompositionselement der vorausgehenden Sagas auskommt. Der Titelheld ist widerständig bis hin zur Ächtung, wird mitunter als plump und tölpelhaft agierend dargestellt – und lacht schließlich doch als Letzter.

Ein hingegen irritierend anmutender Text ist die Saga von Hromund, Greips Sohn (Maike Hanneck). Diese in vorliegender Form wohl erst Mitte des 17. Jahrhunderts entstandene Geschichte geht sicherlich auf eine ältere Version zurück, was unter anderem an dem archaischen Motiv der Grabhügelberaubung erkennbar scheint. Getränkt von magischen Elementen, Racheaspekten und letztendlichem Heldenruhm werden hier einerseits Wertvorstellungen der Wikingerzeit verdeutlicht, andererseits aber auch das Vergnügen an bisweilen absonderlicher Unterhaltung. Zumindest was den Rückgriff auf eine ältere Version betrifft, liegt der Fall bei der Saga von Asmund Heldentöter (Jonas Zeit-Altpeter) ähnlich. Im 13. oder 14. Jahrhundert niedergeschrieben, weist sie Ähnlichkeiten mit einer bei Saxo nachweisbaren Überlieferung auf. Höhepunkt ist der für Asmund siegreiche Kampf gegen Hildibrand Hunnenkämpfer, der unschwer mit dem Hiltibrant/Hildebrand des althochdeutschen Hildebrandsliedes in Verbindung zu bringen ist. Hier schließt sich der Kreis dergestalt, dass der Rezensent es im Gegensatz zum Herausgeber und/oder Übersetzer für sinnvoll hält, diesen Text trotz der für die Wikingersagas kennzeichnenden Handlungselemente stattdessen besser den Heldensagas zuzugesellen.

Der dritte Band ist den Trollsagas gewidmet, in denen allerdings auch andere Fabelwesen vorkommen und die in ihrer Gestaltung sowie ihren handlungstragenden Aspekten durchaus mit den Wikingersagas korrelieren. Dies gilt insbesondere für die Saga von Sturlaug dem Vielgeplagten (Lukas Orfgen), die einerseits dem typischen Trollsaga-Schema entspricht, dabei aber auch abenteuerlich-heldenhafte Aspekte erkennen lässt. Überdies weist die angehängte genealogische Tafel nach, dass Sturalug mit Hromund, dem Grabräuber aus Band zwei dieser Reihe zumindest versippt ist; überdies ist er der Vater des kampfkräftigen Hrolf.

Mit der sehr umfangreichen Saga von Göngu-Hrolf (Rudolf Simek, Sarah Onkels, Lukas Orfgen, Valerie Broustin, Maike Hanneck und Jonas Zeit-Altpeter) wird dann gleich das gesamte Spektrum des Unterhaltsam-Übernatürlichen aufgeboten. Dem gutaussehenden Helden Hrolf, der aber bedauerlicherweise so schwer ist, dass kein Pferd ihn längere Zeit tragen kann (daher sein Beiname ‚der Gänger‘), stellen sich Albenfrauen, Gestaltwandler, Wiedergänger und giftspeiende Zauberer entgegen, derer er sich jedoch mit Hilfe einer Zauberlanze, eines heilkundigen Zwerges sowie des sprechenden Pferdes Dulcifal in den Auseinandersetzungen auf seinen Reisen von Norwegen nach Nowgorod erfolgreich zu erwehren weiß.

Ähnlich märchenhaft, allerdings deutlich kürzer gehalten ist die Saga von Bosi und Herraud (Sarah Onkels), in der eine absonderliche Bündnisgemeinschaft von Bauernsohn und Prinz sich daran macht, die Ehre und gesellschaftliche Stellung des Ersteren wiederherzustellen. Dabei begegnen beide Abenteuern, in denen diesseitige, aber auch zaubermächtig-überirdische Kontrahenten überwunden werden müssen. Das Ende – und hier liegt der Unterschied zur oft großen Tragik der Helden- und Wikingersagas – ist dabei mehr als versöhnlich: So schwingt sich etwa der Bauernsohn zum König auf, und auch der Adelige gewinnt einen noch größeren Herrschaftsbereich. Übrigens tritt hier mit Ragnar Lodbrok auch ein bereits aus Band eins bekannter Protagonist der Heldensagas auf den Plan.

Die Saga vom einhändigen Egil und dem Berserkertöter Asmund (Rudolf Simek) ist ebenfalls durch das Zusammenspiel eines Heldenduos geprägt, das sich in diversen Abenteuern bewähren muss und mit dem Protagonisten Asmund überdies ein reichlich brachiales Moment des gesellschaftlichen Ausgleichs einbringt, sind Berserker doch im wahrsten Wortsinne eine zweischneidige Angelegenheit und außerhalb ihrer ‚Kernkompetenz‘, dem Töten, nicht nur unnütz, sondern sogar gefährlich, da sich ihre Gewalttätigkeit auch gegen die eigene Gesellschaft richten kann. Die Fahrten der beiden Helden sind von Abenteuern wunderlichster Art geprägt, wobei ein äußerst interessanter Aspekt darin liegt, dass die Trollwelt in all ihrer Komplexität geschildert wird und sich als gesellschaftliche Parallele mit Unruhen, dynastischen Streitigkeiten und dergleichen mehr darstellt. Während allerdings Egil das Schicksal eines zufriedenen Lebens als König zuteilwird, erlangt Asmund in andauernden Kämpfen weiteren Ruhm und fällt der – vom Verfasser zumindest implizit in Zweifel gezogenen – Überlieferung nach schließlich durch die Hand des Göttervaters Odin.

Die sich hier anschließende Saga von Sörli dem Starken (Vanessa Werner) schließt zum einen an die in Band eins der vorliegenden Trilogie aufgenommene Sörli-Geschichte an, zum anderen, und das mag eben mit dieser Anbindung zusammenhängen, sind hier die tragischen Elemente deutlicher ausgestaltet als in anderen Trollsagas. Gleichwohl geht die Auseinandersetzung zwischen Sörli, der die Macht Norwegens personifiziert, und Högni, der das Gleiche für Schweden tut, insofern heldensagen-untypisch aus, als beide schlussendlich in ihre Heimat zurückkehren können und dort als Herrscher erfolgreich sind.

Auch die Saga von Hjalmther und Ölver (Anja Wahnig) ist als ‚Doppel‘ angelegt und wird von der Freundschaft zwischen dem Königssohn Hjalmther und dem Jarlssohn Ölver getragen. Neben allgemein märchenhaften und von diversen zauberischen Fähigkeiten geprägten Handlung wird hier das Motiv der bösen und zauberkundigen Stiefmutter tragend, das sich allerdings auch in anderen Vorzeitsagas finden lässt. Das positive Ende mochte das mittelalterliche Publikum mit den geschilderten Fährnissen und Rückschlägen versöhnt haben – und tut es sicherlich auch heute noch.

Von tiefer Magie geprägt ist zudem die Saga von Halfdan, Eysteins Sohn (Rudolf Simek), die den Abenteuern der beiden namengebenden Protagonisten gewidmet ist, an denen der Gefolgsmann Ulfkel zunächst positiven Anteil hat, bis er später zum erbitterten Kontrahenten wird. Wesentlicher aber ist das Element des Gestaltwandels, sodass mitunter nicht mehr klar erkennbar ist, wer hier in Wirklichkeit eigentlich wer ist. Immerhin ist dieses Verwirrspiel kompakter und damit letztlich unterhaltsamer als der ganze Verwirrmarathon von Game of Thrones, auch wenn diese Anmerkung so manchen Unmut hervorrufen dürfte.

Der mit Halfdan Eysteinsson nicht verwandte Protagonist der Saga von Halfdan, dem Schützling der Brana (Rudolf Simek) durchlebt als verwaister dänischer Königssohn eine Reihe von Abenteuern, von denen er die meisten ohne die Hilfe von Brana, einer Trollin, nicht bestehen könnte. Dass sich in diesem Zusammenhang romantische Gefühle einstellen, ist eigentlich naheliegend, aber insofern nicht ganz so abwegig, als Brana eigentlich eine verwunschene Prinzessin ist, der bestimmte abstoßende Eigenschaften wie etwa das Verspeisen von Menschen fremd sind. Bemerkenswert, und damit ein indirekter historischer Beleg, ist die Nennung von „Helluland“, das unter Einbeziehung anderer Quellen als Baffin Island identifiziert werden kann – und damit das wikingische Amerika erkennen lässt.

Demgegenüber agieren die Protagonisten der Saga von Illudi, dem Schützling der Grid (Jonas Zeit-Altpeter) im eher regionalen Rahmen. Nicht uninteressant ist der Umstand, dass der Held dieser Saga gewissermaßen nur eine Nebenrolle einnimmt, da die Geschichte über weite Strecken hinweg das Duell zweier weiblicher Protagonistinnen ist. Illudi wird zum Spielball des märchenhaft inszenierten Schicksals, als er den feindlich-negativen Kräften der Hexe Grimhild ausgesetzt ist, denen er ohne Unterstützung der menschenfreundlichen Trollfrau Grid hoffnungslos unterliegen würde. Da dies jedoch nicht geschieht, geht die Saga ihrem versöhnlichen Ende entgegen.

Zwei Weltkundige sind die Helden der abschließenden beiden Texte, zum einen die Saga von Yngvar, dem Weitgereisten, zum anderen die Saga von Eirek, dem Weitgereisten (Rudolf Simek). Der Titelheld der ersten Saga ist offenbar eine historische Person: Der in der Mitte des 11. Jahrhunderts lebende Schwede Yngvar scheint eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen zu sein, der nach ersten Vorstößen in die Mündungsgebiete russischer Flüsse schließlich weit nach Osten gelangte, wenngleich er – anders als in der Saga behauptet – kaum das Rote Meer erreicht haben dürfte. Um die in vieler Hinsicht erweiterte und transponierte historische Kernerzählung ranken sich mystische, wenngleich nicht immer ‚abgehobene‘ Elemente, weshalb sich der Eindruck aufdrängt, der offensichtlich gelehrte Verfasser habe diese seine Bildung bewusst darstellen und etwa mit der Erwähnung der altägyptisch-hellenistischen Stadt Heliopolis untermauern wollen.

Auch der Verfasser des Eirek war gebildet, allerdings sind die Reisen seines Helden wohl eher bar jedes historischen Kerns. Zwar wird geschildert, wie der Königssohn Eirek auf Geheiß seines Vaters in die Welt zieht, um das Land der Unsterblichen zu finden, doch die Elemente, die die anderen Sagas kennzeichnen, fehlen weitgehend. Stattdessen findet sich der Heide Eirek in einem philosophisch-religiösen Dialog mit dem griechischen König – gemeint ist der byzantinische Kaiser – wieder, der ihn vom Wert des christlichen Glaubens überzeugt, sodass Eirek sich taufen lässt. Geprägt ist dieser Text von eher visionären Bildern, und die spektakulärste Fahrt des Protagonisten ist eine Jenseitsreise, die mit dem Sprung in das Maul eines Wals beginnt und in paradiesischen Gefilden ihren Höhepunkt findet, in denen der Held von Engeln belehrt wird. Belehrend ist dementsprechend auch der Schluss des Textes, in dem auf das ewig andauernde Heil bei Gott verwiesen wird.

Die Sagas aus der Vorzeit sind genau das, was der Titel besagt, eben Sagas aus der (altnordischen) Vorzeit. Die von den Studierenden beziehungsweise graduierten Angehörigen der Universität erstellten Übertragungen dieser skandinavischen Texte sind ansprechend und lassen sich deutlich flüssiger lesen, als etwa die Textpassagen, die der Rezensent noch zu Zeiten skandinavistischer Studien angefertigt hatte. Glossare, Register sowie die Auflistung der Vorzeitsagas fügen sich gut in die Bände ein, und es ist auch schön, im letzten Band auch das farbige Faksimile der ansonsten vereinfacht und lediglich schwarz-weiß wiedergegebenen Karte zu finden, aber es hätte doch gerne noch etwas mehr an Beigaben sein dürfen.

Selbstverständlich kann, zumal für diesen günstigen Preis, keine ‚kritische Ausgabe‘ erwartet werden, dennoch hätte mehr als nur die knappe Einleitung zu Anfang jedes Bandes der Sache gut angestanden. Und wenn schon nicht zu jedem Themenband die entsprechenden literaturgeschichtlichen Informationen geliefert werden sollten und/oder konnten, wäre zumindest zum Abschluss ein entsprechendes Kapitel eigentlich nicht nur wünschenswert, sondern notwendig gewesen. Falls das aus Gründen des Umfangs oder der Preisgestaltung nicht gewünscht oder realisierbar war, hätte zumindest eine weiterreichende Bibliographie die Basis für weiterführende Literaturrecherchen liefern können.

So bleiben drei ansprechend gestaltete Lektürebände, die – das sei noch einmal positiv hervorgehoben – dem wissenschaftlichen Nachwuchs der Bonner Skandinavistik die Chance geboten haben, erste Meriten zu erwerben. Das allein ist ein Pluspunkt. Dazu passt auch der für drei fest gebundene Bücher ansprechende Preis, der in gewisser Hinsicht natürlich auch der lesepublikumsfreundlichen Linie des Kröner-Verlages zu verdanken ist. Das Ergebnis ist die Möglichkeit unterhaltsamer Lesereisen, die mit ihrem hübschen Layout durchaus auch als Geschenkidee taugen, um in die abenteuerliche Welt der Vorzeitsagas einzusteigen – aber eben dann doch leider nicht für mehr.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Rudolf Simek (Hg.): Sagas aus der Vorzeit – Band 1: Heldensagas. Von Wikingern, Berserkern, Untoten und Trollen.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2020.
355 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783520613011

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Rudolf Simek (Hg.): Sagas aus der Vorzeit – Band 2: Wikingersagas. Von Wikingern, Berserkern, Untoten und Trollen.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2020.
320 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783520614018

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Rudolf Simek (Hg.): Sagas aus der Vorzeit – Band 3: Trollsagas. Von Wikingern, Berserkern, Untoten und Trollen.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2020.
432 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783520615015

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