Ein Hauptvertreter der „galanten Literatur“ des Spätbarock

Zum 300. Todestag von Christian Friedrich Hunold genannt Menantes

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Christian Friedrich Hunold, bekannt unter dem Pseudonym Menantes, war mit seinen galanten Romanen einer der meistgelesenen Autoren des Spätbarocks. Obwohl er insgesamt nur vier Romane geschrieben hat, fieberten seine Leser regelrecht jedem seiner neuen Bücher entgegen. Allerdings war diesem Romantypus, in dem es um pikante Liebesabenteuer weltgewandter Kavaliere ging, keine lange Wirkungsdauer gewährt. Er wurde abgelöst durch den bürgerlich-aufklärerischen Sittenbild-Roman, der andere Leserschichten ansprach. So geriet Menantes in den darauffolgenden Jahrhunderten mehr und mehr in Vergessenheit.

Christian Friedrich Hunold kam am 29. September 1680 als Sohn eines Pacht- und Amtmannes in dem thüringischen Dorf Wandersleben bei Gotha zur Welt. Bereits im Alter von zehn Jahren verlor der Junge kurz hintereinander beide Elternteile. Sie hinterließen ihren insgesamt vier Kindern, die einen verwandtschaftlichen Vormund erhielten, ein Erbteil, das deren Erziehung gewährleisten sollte.

Zunächst besuchte der junge Christian Friedrich die Stadt- und Lateinschule in Arnstadt und danach das „Gymnasium illustre Augusteum“ in Weißenfels, eine der berühmtesten akademischen Schulen im protestantischen deutschsprachigen Raum. Das Gymnasium war in einem ehemaligen Kloster untergebracht: mit großem Garten, Kirche, Buchdruckerei, Mensa, Professorenwohnungen und „Studentenzellen“.

Damals war Weißenfels Residenzstadt des Nebenherzogtums Sachsen-Weißenfels, deren Herrscher das Barockschloss Neu-Augustusburg als ihr repräsentatives Domizil errichtet hatten. Hier wandelte die höfische Gesellschaft und feierte prunkvolle Feste. Besonders Singspiele und Opernaufführungen nach französischem Vorbild waren sehr beliebt. Neben Braunschweig und Hamburg war die Stadt an der Saale das Zentrum der deutschsprachigen Oper. Die Weißenfelser Herzöge wollten dem kurfürstlich-sächsischen Hof in Dresden in Glanz und Prachtentfaltung kaum nachstehen.

Die Weißenfelser Residenz war nicht nur ein politisches und administratives Zentrum, sondern mit seiner Hofkultur auch ein Anziehungspunkt für Gebildete und Talentierte vor allem aus der bürgerlichen Schicht. Angezogen durch Hof und Gymnasium wirkten hier über viele Jahre zahlreiche nicht unbedeutende Schriftsteller der damaligen Zeit – allen voran der Schriftsteller und Pädagoge Christian Weise (1642–1708), der von 1670 bis 1678 eine Professur für Politik, Eloquenz und Poesie am „Gymnasium illustre Augusteum“ innehatte.

Für den jugendlichen Hunold war der Weißenfelser Hofstaat die Aufstiegschance, denn neben einer charmanten Erscheinung verfügte er über musikalische und poetische Talente. Schnell fand er Anschluss an einen literarisch-musikalischen Kreis und war bald mit den Sitten und Gepflogenheiten des Fürstenhofes vertraut. Auch die Eheschließung mit der Tochter einer angesehenen Familie bahnte sich an. Es fehlte nur noch ein Studienabschluss und so nahm der strebsame Hunold im Sommer 1698 ein Studium der Jurisprudenz an der Universität Jena auf – damals eine der meistbesuchten Universitäten Deutschlands. Hier war er Schüler des Juristen und Schriftstellers August Bohse (1661–1742), der unter dem Namen „Talander“ zum Teil sehr auflagenstarke Romane wie das Liebescabinet der Damen (1685) oder die Amazoninnen aus dem Kloster (1698) verfasst hatte und damit zum Wegbereiter des literarischen Genres des galanten Romans wurde. Häufig auch als „literarisches Rokoko“ bezeichnet, setzte der galante Roman die Traditionen des höfisch-historischen Romans fort, indem er heroische Abenteuer mit pikanten Liebesgeschichten verknüpfte. Der Kontakt mit Bohse und seinem Werk sollte für Hunolds spätere literarische Ausrichtung prägend sein.

Doch Ende 1699 erhielt er von seinem Vormund die bestürzende Nachricht, dass durch sein unbekümmertes Studentenleben das geerbte Vermögen bis auf einen geringfügigen Rest aufgebraucht sei. Der 19jährige verließ Freunde, Gläubiger und die Braut in Weißenfels und flüchtete völlig mittellos und Hals über Kopf nach Hamburg. Sicher nicht zufällig, denn die reiche Handels- und Kaufmannsstadt war eine Zeitungsmetropole und besaß die erste deutsche Bürgeroper. Hier musste sich Hunold jedoch erst einmal Geldquellen erschließen, zunächst als Schreiber bei einem Winkeladvokaten. Außerdem erteilte er an Gymnasiasten Unterricht in Dichtkunst und Rhetorik. Wie sein Lehrer Bohse wollte er sich als freier Schriftsteller etablieren. Da kam ihm der Gedanke, sein Insiderwissen über die Weißenfelser Hofgesellschaft literarisch zu verwerten. 1700 erschien sein Roman Die verliebte und galante Welt mit erotischen und sensationellen Tratsch- und Klatschhistörchen der Weißenfelser Hofgesellschaft. Zum ersten Mal verwendete er dabei das griechische Pseudonym „Menantes“. Um sich vor Verfolgungsmaßnahmen zu schützen, war es Anfang des 18. Jahrhunderts durchaus üblich, Texte unter einem Pseudonym zu veröffentlichen.

Das pikante Buch über höfische Liebesspiele wurde schnell ein Bestseller und erlebte bereits nach einem halben Jahr eine zweite Auflage. Hunold war bald ein bekannter und gefürchteter Autor, der rege Kontakte mit Künstlern und Poeten pflegte; er verfasste galante und satyrische Gedichte und war als Librettist für die Hamburger Oper tätig. Sein Liebesverhältnis („mariage sans conscience“) zu einer Opernsängerin wurde schnell zum Stadtgespräch.

Durch den Erfolg seines Erstlings verlangten die Buchhändler weitere literarische Arbeiten und so ließ Hunold 1702 mit Die liebenswürdige Adalie den nächsten Roman folgen, der der frühen Rokoko-Dichtung zuzurechnen ist. Die „annehmliche und wahrhafftige Liebes-Geschichte zu vergönnter Gemüths-Ergetzung“ – so der Untertitel – war eine Aschenputtel-Saga einer Kaufmannstochter, die bis in die höchsten Kreise vordringen kann und sogar Gemahlin eines Herzogs wird. Der Stoff ging auf den Roman L’illustre Parisienne (1679) des französischen Unterhaltungsschriftstellers Jean de Préchac (1647?–1720) zurück. Eine solche „anstößige Verbindung“ (Herbert Singer: Der galante Roman, Metzler 1966) war in der deutschen Literatur bis dahin kein Thema gewesen, doch seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Standesgrenzen durchlässig.

Nach der Veröffentlichung seines satirischen Lustspiels Der thörichte Pritschenmeister (1704) kam es zu einer vehementen Auseinandersetzung mit dem Dichter und Diplomaten Christian Wernicke (1661–1725), der bereits die Position der Aufklärung vertrat und im Gegensatz zu Hunold, dem Hamburger Opernlibrettisten Christian Heinrich Postel (1658–1705) und anderen Barockdichtern in seinen oft scharfzüngigen Epigrammen eine Abkehr von der höfischen Poesie und eine Hinwendung zu bürgerlichem Bewusstsein forderte. Die poetische Fehde, begleitet von Schmähschriften und Anzeigen wegen Majestätsbeleidigung und Gotteslästerung, ging als „Hamburger Stilstreit“ oder als „erste Fehde der deutschen Literatur“ in die Literaturgeschichte ein. Trotz der gegenseitigen, teilweise verletzenden Angriffe hatte dieser Streit auch etwas Positives: er war ein erster Schritt zur Einführung der Literaturkritik in Deutschland.

1705 erschien der Roman Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte, in dem Hunold Affären aus verschiedenen europäischen Hofgesellschaften – zwar verschlüsselt – schilderte, die den Lesern bisher nur gerüchtehalber bekannt waren. Jetzt konnte man die skandalös pikanten Details schwarz auf weiß nachlesen, wobei es sich wie bereits in Die verliebte und galante Welt um ein Agglomerat von wahren und erdichteten Geschichten handelte. Gewissermaßen eine barocke „Regenbogenpresse“, die dem Geschmack eines adligen und patrizisch-bürgerlichen Publikums entgegenkam, das sich mit erotischen Geschichten aus der Sphäre der Höfe unterhalten wollte. Ein Roman wurde damals nicht als literarische Einheit verstanden, sondern als Sammlung von Geschichten, die selbst für sich eine Einheit bildeten.

Der vierundzwanzigjährige Hunold war auf dem Höhepunkt seiner literarischen Karriere angelangt; er gehörte zu den ersten Autoren in Deutschland. Als er jedoch 1706 seinen Satyrischen Roman, in dem er Hamburger Skandalgeschichten, insbesondere aus dem Umkreis der Oper, preisgab, veröffentlichte, löste er damit einen Skandal aus. Hunolds Freund und Verleger Benjamin Wedel (1673–1736) schrieb: „Es ist nicht zu sagen / was dieser Roman für einen Alarm machte / und wie ein jedweder diesem oder jenem darinnen eine Historie zueignete“. Die unverkauften Restexemplare wurden konfisziert. Hunold hatte mehrere angesehene Bürger der Hansestadt mit kompromittierenden Einzelheiten der Lächerlichkeit preisgegeben und sich damit in der Stadt verhasst gemacht. Mit einer Mischung aus Abenteuerroman, Galanterie und Klatschbericht hatte er jedoch den Geschmack seiner Leserschaft getroffen; der Roman wurde so populär, dass er im 18. Jahrhundert insgesamt elfmal aufgelegt wurde. Trotzdem hatte Hunold in Hamburg den Bogen überspannt und entging nur durch Flucht der Verhaftung. Durch die skandalöse Wirkung seines Romans derart gebrandmarkt, fand er aber weder am Fürstenhof in Wolfenbüttel noch in Rudolstadt, Arnstadt oder in Braunschweig eine Anstellung.

Nach einem kurzen Aufenthalt in seinem Heimatort Wandersleben kam Hunold schließlich 1708 nach Halle, wo 1694 die Friedrichs-Universität eröffnet worden war. Die als Reform-Hochschule konzipierte Alma mater zog viele Studenten und junge Gelehrte in die damals sächsische Stadt an der Saale. Sie entwickelte sich schnell zu einem Zentrum der Frühaufklärung und des Pietismus, wo berühmte Philosophen und Rechtsgelehrte wie Christian Thomasius (1655–1728) oder Christian Wolff (1679–1754) lehrten.

Zudem hatte der Theologe und Pädagoge August Hermann Francke (1663–1727) 1698 hier das Hallesche Waisenhaus gegründet, aus dem sich eine Schulstadt, die berühmten Franckeschen Stiftungen entwickelten, in denen man nach einer christlich inspirierten Weltanschauung lebte und arbeitete. So war Hunold also vom sinnesfrohen Hamburg in das gelehrsame, ja prüde Halle gekommen; es war die einschneidendste Zäsur in seinem Leben. Man kann sich wohl kaum einen größeren Unterschied in der Geisteshaltung vorstellen als zwischen dem skandalumwitterten Poeten Hunold und dem pietistischen Pfarrer Francke.

Jedenfalls hat der Heimgekehrte in Halle keine erotischen Geschichten mehr verfasst, vielmehr war er um ein bürgerlich-ehrbares Leben bemüht. Der einst so Übermütige passte sich den neuen Verhältnissen an. Selbstkritisch und demonstrativ bedauerte er seine früheren Entgleisungen, so schrieb er in seiner Einleitung zur teutschen Oratorie (1709):

In meinen vor acht Jahren heraus gegebenen Briefen […] so sind zu jener unglücklichen Zeit allerhand unanständige und wider die Tugend laufende Einfälle und Redens-Arten von meinen brausenden Begierden in dieser Sorte ausgeworfen worden.

Daher milderte er in einer Neuauflage seines Satyrischen Romans verschiedene Passagen ab und setzte darin seine eigene Lebensgeschichte fort. Diese entschärfte Ausgabe veranlasste jedoch den Erstverleger Wedel, den Originaltext wieder aufzulegen.

Inwieweit Hunolds Wandel vom Wunsch nach einer gesicherten Existenz oder von der pietistischen Umgebung geprägt war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Diese geistige Neuausrichtung von praller Lebenslust zu vertiefter Frömmigkeit repräsentierte aber zugleich den Umbruch von barocker Pracht und Fülle zur Enthaltsamkeit der beginnenden Aufklärung. Ein pietistischer Frömmler war Hunold wahrscheinlich nicht geworden wie er sich in einem Brief (1709) an Wedel äußerte:

Denn ob ich wohl kein Pietist bin und nur Gott bitte, dass er mich einen Christen lässet werden, so habe (ich) doch eine rechte Purgation gegen die Satyren eingenommen. Die Erfahrung, die Jahre und die Vernunft sind hierbey der Medicus gewesen.

Um eine finanzielle Grundlage für den Lebensunterhalt zu schaffen, hielt Hunold Vorlesungen über „Moral, teutsche Oratorie, Poesie und Stylum“. Seine Vorlesungen und Privatseminare waren stets gut besucht, denn in Studentenkreisen war er immer noch ein gefeierter Autor. Von Halle aus arbeitete er auch mit verschiedenen Komponisten seiner Zeit zusammen wie Johann Sebastian Bach, Reinhard Keiser, Georg Philipp Telemann und Johann Friedrich Fasch, die ihn als Textschreiber und Wortschöpfer achteten.

1714 erwarb Hunold den akademischen Titel als Doktor der Rechte an der Universität. Im selben Jahr heiratete Hunold Elisabeth Zindel (oder Zündel), die Tochter eines „Hochfürstlichen Anhalt-Bernburgischen Commisarius und Gerichts-Directors“. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Die Familie bezog ein Haus in der Märkerstraße, in der zahlreiche Professoren und Gelehrte der Universität wohnten. Am 16. August 1721 starb Hunold 41jährig nach einem Blutsturz an Tuberkulose und wurde als vielbetrauerter und hochgeachteter Bürger auf dem Friedhof der St. Ulrich-Gemeinde bestattet.

Christian Friedrich Hunold, alias Menantes, geriet bald in Vergessenheit. Als Mitte des 18. Jahrhunderts Johann Christoph Gottsched (1700–1766), der ihn noch für seine „ungeziemende Schreibart“ gelobt hatte, und Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) die deutsche Literaturgeschichte begründeten, fand die galante Poesie keine Beachtung. Außerdem ließ Hunold sich schlecht in die neuen Literaturepochen einordnen – er war ein Grenzgänger zwischen Barock, Rokoko und Aufklärung. Erst in den 1960er Jahren geriet Hunold wieder ins Blickfeld der deutschen Literaturgeschichte. Seit einigen Jahren bemüht sich ein Freundeskreis in Wandersleben um sein Erbe und seit 2013 wird ein „Menantes-Preis für erotische Dichtung“ vergeben.