Die Bügelfalte als Lebensprinzip oder das Behagen in der Kultur

Rüdiger Görner und Kaltërina Latifi legen mit „Thomas Mann. Ein Schriftsteller setzt sich in Szene“ einen Fotoband zur Selbstinszenierung Thomas Manns vor

Von Rolf FüllmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Füllmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Anspruch einer bildnerischen „Komposition“ präsentiert der Band zunächst sehr gestellte, aber damals übliche Studioaufnahmen von wilhelminischen ‚Lichtbildnern‘. Dann werden in Zeitfolge teils private, teils fotojournalistische Arbeiten des von der Gründerzeit im Jahre 1875 bis zum Atomzeitalter im Jahre 1955 reichenden Lebens des Nobelpreisträgers Thomas Mann dargeboten. Hierbei werden auch viele bislang unveröffentlichte Aufnahmen präsentiert. Daher zeigt der vorliegende Bildband mit seltenen Fotodokumenten das ganze Spektrum der Selbstinszenierung Thomas Manns, der sich stets bewusst war, dass er mit jeder Äußerung und mit jeder Geste seinem Eigenanspruch als Kulturträger verpflichtet war. Selbst der private Thomas Mann ist nur scheinbar privat, denn selbstverständlich wusste er auch um die Wirkung der Aufnahmen aus seinem persönlichen Umfeld – stets hatte er den zentralen Repräsentanten des geistigen Deutschlands abzugeben. Erst der Thomas Mann der Tagebücher mit ihren „heiteren Entdeckungen“, teilweise homoerotischer Natur, erlaubt einen unverstellten Blick auf die Persönlichkeit, den die Kamera nie einfangen konnte.

Auffällig ist auf den ersten Blick eine oberflächliche Unauffälligkeit des Abgebildeten. Wie in vielen deutschen Familienalben begegnen wir im Bildband einem stets korrekten Herrn gehobener, indes nicht abgehobener Herkunft. Fast immer ist er „gut, aber nicht sehr gut gekleidet“, wie Hilde Kahn, seine Sekretärin im US-Exil, bemerkte. In seinem nicht eben von christlicher Pietät geprägten Nachruf Zum Verschwinden von Thomas Mann schrieb der engagierte Konvertit und nunmehr neukatholische Schriftsteller Alfred Döblin 1955 dem soeben Verstorbenen die „Bügelfalte als Kunstprinzip“ zu. Was der Ausdruck genau bedeuten sollte, ließ der Expressionist und Mit-Exilant Döblin offen. Zweifellos verwirklichte die Person Thomas Mann jedoch im Alltag die ‚Bügelfalte als Lebensprinzip‘ und lebte als wohltemperierter Genießer allen Gefährdungen und vernichtungswilligen Anfeindungen, etwa des deutschen Faschismus, zum Trotz ein gewisses Behagen in der Kultur. Dies meinte mithin Genuss von Literatur, Musik und Kulinarik sowie auch allgemein eine gemessene wie gesellige Lebensart. Im Zeitalter der Extreme mit ihren peinlichen Uniformen inszeniert sich der Zivilist Thomas Mann als Personifikation einer Welt-Zivilisation mit loderndem Einstecktuch als einer „weißen Flamme“ der Vernunft.

Wie kaum ein zweiter Schriftsteller des 20. Jahrhunderts war Thomas Mann um eine Rolle als kultureller Repräsentant bemüht, auch um neben dem literarischen Werk den „bleibenden Charakter“ seines Lebens zu festigen. Zwar gehört die Selbstinszenierung insbesondere in der fotografischen Darstellung nach Gunter E. Grimm zum Standardrepertoire der Schriftsteller der Zeit Thomas Manns, aber bei ihm erkennt man brennglasartig die wesentlichen Aspekte einer solchen Selbsttechnik. Der Kniff der Bügelfalte mit „schneidende(r) Schärfe“ liegt im Falle von Thomas Mann gleichsam in einer weltläufigen hanseatischen Zurückhaltung. Laut dem Vorwort des Bildbands von Görner und Latifi orientiert sich Thomas Mann am Konzept des „Bürgerkünstlers“ in einer „Republik der Künste“. Während sich etwa der Lyriker Stefan George als gestrenger Priester eines verschworenen Männerbundes so ostentativ konstruierte, dass man ihn auf Privatfotografien, die ihn heiter-rheinisch in Hemdsärmeln am Küchentisch zeigen, gar nicht wiedererkennt, weiß Thomas Mann stets, wie weit er gehen kann. So ist die im Vorwort zum Bildband zu findende Behauptung, Thomas Mann sei „dieses durch und durch narzisstisch veranlagte Phänomen unter den Weltautoren der Moderne“, doch stark zu relativieren. Nicht nur der (ältere) Oscar Wilde oder der von Thomas Mann durchaus hochgeschätzte (jüngere) Jean Cocteau waren in ihrer narzisstischen Zurschaustellung bei weitem provokativer. Auch der andere Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann gab als wiedergeborener Olympier mit wallendem weißen Haar und Goethegehrock eine bei weitem barockere Figur ab als der wie ein Bankdirektor einherschreitende Lübecker Senatorensohn Mann, der Hauptmann in seinem Roman Der Zauberberg (1924) als Peeperkorn karikierte. Der Bürgersohn Bertolt Brecht sprach mit seinem Proletarierwams dagegen eine andere, aber nicht weniger gekünstelte Sprache. Thomas Mann, von Brecht als „Lohnschreiber der Bourgeoisie“ abgetan, passte als Avantgardist der Entspannung im Kalten Krieg dagegen gut ins sozialistische Protokoll recht gediegener bürgerlich-humanistischer Weimarer Festveranstaltungen zu Ehren Goethes und Schillers in den Jahren 1949 und 1955.

Thomas Mann fühlte sich schon vor seiner Exilzeit zum Repräsentanten geboren: Aus bürgerlichen Kaufmannselternhaus stammend, musste Thomas Mann seine scheinbar ungeordnete Künstlerexistenz quasi durch den Repräsentantenstatus eines bürgerlichen Schriftstellers kompensieren, mithin als personifizierte contradictio in adiecto. Er tat dies in aller Offenheit, etwa in seinem politischen Essay Pariser Rechenschaft (1926), wo er neben den deutsch-französischen Kulturbeziehungen auch einen Mangel an gestärkten Smoking-Hemden in seinem Reisekoffer thematisiert. Dem Wunsch nach äußerer Form folgte seine Selbstinszenierung in auffälliger Weise, wie der Fotoband von Görner und Latifi eindrücklich dokumentiert. Diese Haltung Thomas Manns verschärft sich während der Zeit des Exils, in der er sich zum Repräsentanten des eigentlichen geistigen Deutschlands berufen fühlte. Kalkulierte hemdsärmelige Brüche im Bild des bürgerlichen Autors sind hierzu kein Widerspruch, sondern Zeichen wohlkalkulierter Zurückhaltung.  

Welchem Zweck könnte der Fotoband von Rüdiger Görner und Kaltrina Latifi jenseits der Literaturgeschichte dienen? Vielleicht lässt sich diese Frage mit einem abgewandelten Zitat Thomas Manns zur Kompositionstechnik Richard Wagners beantworten. Wenn der Dichter über den Musiker sagt: „So sollte man es auch machen!“, so könnten hierzulande Männer sich im Alltag vornehmen, stilistisch dem gepflegten Vorbild Thomas Manns zu folgen, damit das Peinliche nicht überwiegt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Rüdiger Görner / Kaltërina Latifi (Hg.): Thomas Mann. Ein Schriftsteller setzt sich in Szene.
wbg Theiss, Darmstadt 2021.
272 Seiten, 60 EUR.
ISBN-13: 9783806242478

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