Von der zerstörenden Macht der Liebe …?

Rosa Liksom schildert in „Die Frau des Obersts“ die Biografie einer Frau zwischen Gewaltexzessen und historischen Umbrüchen

Von Sophie HennrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sophie Hennrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frau des Obersts ist kein typischer Kriegsroman, der von nationalsozialistischen Gräueltaten oder heldenhaften Widerstandsbewegungen berichtet. Zwischen Porno-Kitsch und Psychothriller behandelt es auf obszön morbide Weise die verstörenden Tiefen von Gewalt und missbräuchlicher Liebe. Doch wer dabei auf eine kathartische Erlösung hofft, bleibt entsetzt zurück. 

Während Rosa Liksom, deren künstlerische Tätigkeit nicht allein auf das Schreiben beschränkt ist, hierzulande gerade erst an Bekanntheit zu gewinnen scheint, wurde sie in ihrer Heimat Finnland bereits mehrfach mit renommierten Literaturpreisen geehrt. Unter ihren prämierten Werken befindet sich auch Die Frau des Obersts, das nun – drei Jahre nach seiner Erstveröffentlichung – von Stefan Morst ins Deutsche übersetzt wurde.

Der Roman erzählt von den tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Konflikten Finnlands im 20. Jahrhundert – vom Finnischen Bürgerkrieg nach der neuerrungenen Unabhängigkeit von Russland und dem anschließenden Winterkrieg gegen die erstarkende Sowjetunion, während dessen einige Finnen hofften, in Hitlers Naziregime rettende Unterstützung zu finden.

Es ist dieser historische Kontext, in den die Geschichte der namenlosen Ich-Erzählerin eingebettet ist. Untrennbar werden ihre Schilderungen mit den historischen Ereignissen verwoben, sowie auch sie zunächst von den großfinnischen Träumen ihres Vaters und schließlich der nationalsozialistischen Ideologie ihres Ehemannes, des Obersts, eingenommen wird. Eine Distanz zwischen jenen Gesinnungen und dem Erzählten wird dabei an keiner Stelle spürbar, da sie es selbst ist, die ihre Lebensgeschichte mit dem Lesenden teilt. Sie, die auch am Ende ihrer Tage weder ihr Dasein als „Tochter des weißen Finnlands“, noch als Nationalsozialistin bereut.

Ihre Erinnerungen sind geprägt von schonungslos nüchtern dargestellten Gewaltexzessen, die ihr schon als Kind durch die Hand ihrer streng religiösen Mutter widerfahren. Nur wenn der Schmerz auch im Gehirn ankommt, so ihre Überzeugung, dringt die Lektion zu ihren Töchtern durch, die sie zu tugendhaften, gehorsamen, aufopfernden Frauen Gottes erziehen will.

Angestochen von dem Wunsch, sich aus diesem Elternhaus zu befreien und gegen den Willen ihrer Mutter zu rebellieren, beginnt die Ich-Erzählerin bereits als Kind, für den Oberst, einen Freund ihres Vaters, der fast 30 Jahre älter ist als sie, zu schwärmen. Und auch Jahre später, als alle sie vor seinem Jähzorn warnen, von anderen Frauen berichten, die der Oberst zerstört zurückgelassen hat, lässt sie sich nicht davon abbringen, seinen Verlobungsantrag anzunehmen. 

Was darauf folgt, sind einige leidenschaftliche Jahre zu zweit, die in ihrer animalisch dargestellten Gefühlswelt, ihrer nicht durchdringbaren Logik, ihrer obszönen Groteske das Publikum in einen Fiebertraum versetzen. Dabei bedient sich Liksom immer wieder brutaler Stilbrüche, die den Leser in jenen unangenehmen Spannungszustand zwischen Zärtlichkeit und Gewalt versetzen, den auch die Ich-Erzählerin erlebt. Doch erst mit dem Ende des Krieges erreicht diese Brutalität ihren Höhepunkt, der die Ich-Erzählerin aus ihrem morbidem, widerwärtigen Paradis vertreibt und sie dem unbeschreiblichen Schrecken eines Monsters, des Obersts, überlässt. Wer bis zu diesem Umbruch der Handlung durchgehalten hat, wird belohnt mit einer anderen Sicht auf die bisher so unnahbare Ich-Erzählerin, die sie jedoch kaum in eine menschlichere Perspektive rückt. 

Die Frau des Obersts bietet seinem Publikum keine Erklärung oder erlösende Katharsis. Es schockiert in jener nüchternen Beschreibung von immer mehr ausufernden Gewaltorgien, die in menschliche Psychen hinabsteigen, deren Inneres sich so marode und zertrümmert zeigt, dass es den Lesenden nur verstört zurücklassen kann. Und es ist eben jenes traumatische Gefühl des Ekels und der Fassungslosigkeit, der Hilflosigkeit im Angesicht der moralischen Entkernung des Menschen, das nachhallenden Eindruck hinterlässt. Was allerdings bleibt, wenn diese eindrücklichen Leseerfahrungen wieder abklingen, ist die Frage nach dem Sinngehalt, ein simples: ‚Wozu?‘

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2021 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2021 erscheinen.

Titelbild

Rosa Liksom: Die Frau des Obersts.
Aus dem Finnischen von Stefan Moster.
Penguin Verlag, München 2020.
224 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783328600961

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