Abgründe in seichten Gewässern

Richard Roper schreibt in seinem Roman „Das Beste kommt noch“ über Abschied und Neuanfang

Von Nele HonigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nele Honig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist wohl eine allgemein bekannte Tatsache, dass der Tod zu gegebener Zeit den Lebensfaden eines jeden Menschen durchtrennt. Über den Abgründen seiner selbst baumelnd wähnt sich so ein jeder in Sicherheit, ehe der eigene Fall besiegelt wird. Zurück bleibt dann, im Regelfall, nur Sarg oder Urne, eine natürliche Todesursache – und jede Menge Papierkram. An dieser Stelle treten zumeist die Angehörigen zutage, die bei der Aufklärung jener bürokratischen Angelegenheiten aushelfen. Im Fall der Nichtexistenz jener zu Rate zu ziehenden Personengruppe liegt es in der Verantwortung der Stadtverwaltung, Antworten auf alle weiteren Fragen zu finden.

In dem Roman Das Beste kommt noch ist es Andrew, der als Nachlass-Verwalter die Wohnungen einsamer und alleinstehender Menschen inspiziert und mögliche Verwandte ausfindig macht. Das 2020 im Wunderlich Verlag erschienene Debüt des britischen Autors Richard Roper verspricht, trotz Cover in Jugendbuch-Anmutung und Thematik à la Coming-of-Age für Erwachsene, einen Plot über einen sich nahe an der Midlife-Crisis befindlichen Eigenbrötler. 

Der Anfang des Romans ist gelungen. Während Leser*innen treudoof dem narrativen Strang folgen, lässt sie der Erzähler im Ungewissen, indem er Stellen gekonnt auslässt und Informationen verschweigt. Er überzeugt, ähnlich wie der Protagonist Andrew seine gesamte Kollegschaft, die Leser*innen von dessen Leben in eintöniger Perfektion. So entpuppt sich erst im Verlaufe des Romans Andrews schönes Stadthaus als kahle Wohnung, seine ständig Überstunden schiebende Frau Diane als Ella Fitzgerald auf Schallplatte und seine beiden Kinder als eine mindestens genauso kostspielige Eisenbahnsammlung.

Dem Aufbau einer Matroschka ähnelnd kommen bei fortschreitendem Handlungsverlauf immer neue Einblicke in Andrews Vergangenheit ans Licht, die Beziehungsgeflechte greifbarer machen und die gesamte Erzählung plastischer gestalten. So ertappt man sich nicht selten dabei, mit hoffnungsvollem Blick auf das Unbekannte neugierig den nächsten Absatz zu mustern. Roper schafft es, einen narrativen Strom zu erzeugen, der trotz oder gerade wegen mangelnder Informationsgabe mitreißt.

Für den Fortgang der Handlung verantwortlich ist schließlich Peggy, die als neue Arbeitskollegin in Andrews Leben tritt. In ihr findet er eine Verbündete, die sich an Lästereien über Kolleg*innen beteiligt und ihm gleichzeitig vor Augen führt, wie sehr er sich nach Wahrhaftigkeit, nach etwas Echtem sehnt. 

Es ist der gleiche Wunsch, der auch beim Lesepublikum spätestens in der Mitte des Romans aufkommt und sich auch nicht mehr verflüchtigt. Was eine Geschichte über bestärkende Freundschaft erhoffen lässt, entpuppt sich im weiteren Verlauf doch als Liebesgeschichte, die weder Tiefgründiges noch Ungeschöntes zulässt. Die glatte Oberfläche eines effektheischenden und klaren Spannungsbogens kommt zutage. Ob diese Begebenheit auf kommerziellen Umtrieben im Sinne hoher Verkaufszahlen fußt oder den dramaturgischen Zwängen des belletristischen Romans unterliegt, bleibt hierbei unklar. Es werden nicht selten oberflächliche Gefühlsduseleien anstelle innerer Zwiespälte dargestellt, obgleich diese, betrachtet man die Erzählebenen, nicht unbeträchtlich sein würden.

Trotz dieser implizierten Annahme einer unzurechnungsfähigen Leser*innenschaft verläuft sich der Plot in einer biografischen Schnitzeljagd, die mit absurd tragischen Momenten Topoi wie Einsamkeit und Tod herausstellt. So heftet den Wohnungen der Verstorbenen, die von Andrew und Peggy begutachtet werden, stets der Geruch eines bereits fortgeschrittenen Verwesungsprozesses an, auf den Tod der eigenen Schwester folgen Drohanrufe des empörten Ehemannes und Erinnerungsfetzen an Andrews traurige Kindheit dienen vielmehr zur Aufklärung einiger Sachverhalte als zur Besprechung seiner tiefsitzenden Traumata. Mit viel trockenem Humor entsteht so eine Dichte von Erzählsträngen, die schließlich in Andrews endgültigem Zusammenbruch münden.

Trotz dieser positiv hervorzuhebenden Vielschichtigkeit bleibt die Erzählung an der Oberfläche dessen, was der eigentliche Plot hergeben würde. Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen sowie einzelne Gedankengänge bleiben im Verborgenen und auch der Fall des Andrew´schen Lügengebildes wird, getreu des Duktus‘ des Romans, eher hinreichend als weitreichend beschrieben.  

So schwimmt Richard Ropers Roman Das Beste kommt noch trotz einiger Tiefgänge in seichten Gewässern und die Frage bleibt bestehen: Ist das lesbares light entertainment oder die Suche nach einer Leserschaft, die zwischen den Zeilen abtauchen kann? 

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2021 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2021 erscheinen.

Titelbild

Richard Roper: Das Beste kommt noch.
Aus dem Englischen von Katharina Naumann.
Wunderlich Verlag, Reinbek 2020.
416 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783805200448

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