Der vierfache Körper der Frau

Manon Garcias Buch „Wir werden nicht unterwürfig geboren“ rekonstruiert Simone de Beauvoirs Theorie über die Ursache weiblicher Unterwerfung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir werden nicht unterwürfig geboren – wie unschwer zu erkennen ist, spielt der Titel des Buches von Manon Garcia auf die wohl bekannteste Sentenz aus dem umfangreichen Œuvre Simone de Beauvoirs an: „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“. Mit diesem Satz beginnt das zweite Buch ihres einflussreichen Werkes Das andere Geschlecht.

Die Allusion ist kein Zufall, denn de Beauvoirs feministischer Klassiker ist die zentrale Referenz für Garcias philosophisches Buch über die Unterwürfigkeit von Frauen. Im Text selbst wird die Bezugnahme auf de Beauvoirs Ausspruch sogar fast schon überdeutlich, wenn Garcia formuliert: „Eine Frau ist eine Person, die nicht unterwürfig zur Welt kommt, sondern unterwürfig wird“. Der Topos ist so zentral für ihre Argumentation, dass er an einer anderen Stelle noch einmal als paraphrasierte „Grundthese Beauvoirs“ wiederholt wird: „Frau kommt nicht unterwürfig zur Welt, sie wird es.“ 

Tatsächlich beschränkt sich Garcia weitgehend darauf, de Beauvoirs in Das andere Geschlecht entwickeltes Theorem, weshalb Frauen sich patriarchalen An- und Zumutungen unterwerfen, zu rekonstruieren. Denn „die Unterwerfung der Frau“ lasse sich „am besten mit dem Denken Beauvoirs verstehen“, da deren Ansatz „sowohl die Klippe des Essentialismus als auch die Klippe des Konstruktivismus umgeht“. Damit steigt vor dem inneren Auge sogleich das Bild auf, wie geschickte Seeleute einstens ihr Schiff durch die Meerenge von Messina manövrierten; wobei sie allerdings sechs der ihren an eines der beiden dort hausenden Ungeheuer verloren. Von entsprechenden Verlusten des Ansatzes der existenzialistischen Geschlechtertheoretikerin weiß die Autorin allerdings nichts zu berichten.

Über de Beauvoir hinausgehende eigene Überlegungen Garcias sind eher rar. Dafür aber legt sie deren Gedankengänge zumeist klar und leicht verständlich dar. Wie unkompliziert Garcia etwas zu erklären versteht, zeigt schon ihre Definition des Feminismus zu Beginn ihres Buches. Dieser sei

ein theoretisches Unternehmen und ein politisches Programm zur Verteidigung der Frauen, das darauf abzielt, eine gewisse Form von Gleichheit zwischen Männern und Frauen zu fördern – egal ob man diese Gleichheit in Form der Differenz oder in Form der Ähnlichkeit denkt

wobei die „erste Komponente“ des Feminismus eine „Voraussetzung für die zweite“ sei. Die zentrale Frage des Buches, warum Frauen unterwürfig sind, beziehungsweise wie sie es werden, sei von Interesse, weil sich „[s]elbst die unabhängigsten und feministischsten Frauen“ dabei „ertappen“, „dass sie den ihnen zugeworfenen eroberungslustigen Blick der Männer mögen, dass sie sich wünschen, in den Armen ihres Partners ein unterwürfiges Objekt zu sein, oder dass sie Arbeiten im Haushalt […] Tätigkeiten vorziehen, die mutmaßlich erfüllender sind.“ Der Mühe, diesen Befund zu belegen, unterzieht sich Garcia allerdings nicht.

Trotz des „allgemeinen und nahezu universellen Charakter[s] der weiblichen Unterwerfung“, unternimmt es die Autorin, mit de Beauvoir, eine philosophische Theorie zu entfalten, die nicht davon ausgeht, „dass es in dieser Unterwerfung etwas gibt, was typisch und natürlich weiblich ist“. Vielmehr gelte es herauszuarbeiten, wie es der „männlichen Dominanz“ gelingt, die „Entscheidungen und Wünsche“ von Frauen zu „konfigurier[en]“ und – was noch wichtiger sei – wie diese Dominanz von den Frauen erlebt wird. Es seien dies Fragen, welche die „klassische Philosophie in ihrem methodologischen Sexismus nicht erfassen“ könne. Daher unternähme de Beauvoir ihre Beantwortung, indem sie die „Unterwerfung der Frauen innerhalb der interindividuellen Beziehungen zwischen Männern und Frauen“ untersucht, wobei sie sich auf „westlichen Gesellschaften“ beschränkt. Indem de Beauvoir den Fokus auf die „heterosexuelle Beziehung“ richtet, nehme sie den „Paradeort der Unterdrückung der Frauen durch die Männer“ in den Blick.  Denn die Herrschaftsform zwischen den Geschlechtern sei zwar „zum Teil gesellschaftlich“, doch manifestiere sie sich insbesondere „in interindividuellen Beziehungen“. Der Grund hierfür sei, dass Frauen sich mit Männern nicht „in Herrschaftsbeziehungen von Klasse zu Klasse, sondern von Individuum zu Individuum“ befänden.

Die kurze Antwort auf die Frage nach den Ursachen weiblicher Unterdrückung lautet, „dass die Welt, in die die menschlichen Wesen weiblichen Geschlechts geboren werden, immer schon durch eine Norm der Weiblichkeit strukturiert ist, die eine Norm der Unterwerfung ist“. Die nähere Erörterung zeige sodann, dass der „Mechanismus“, „durch den die Frauen dazu kommen, sich zu unterwerfen“, über einen „Entfremdungsprozess“ wirkt, der als „Objektivierungsprozess“ zu analysieren sei. Da Frauen in einer Welt leben, in der sie von Männern „als Objekte betrachtet“ werden, nähmen auch sie „sich selbst immer schon als Objekt“ wahr. Dies führe dazu, dass sie sich unterwerfen. Zugleich bestehe allerdings ein Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis der „Versuchung der Unterwerfung“ nachzugeben, und dem von de Beauvoir konstatierten offenbar vorrationalen „Reflex der Ablehnung und Verurteilung der Unterwerfung“. Die Erkenntnis dieses Spannungsverhältnisses ermögliche es der Autorin der Memoiren einer Tochter aus gutem Hause, „die Unterwerfung in ihrer Komplexität erscheinen zu lassen“.

Des Weiteren zeige de Beauvoir, „dass der Körper der Frau vier Dimensionen“ besitze: er sei zugleich ein „physiologischer“, ein „erlebter“, ein „akzidentiell objektivierter“ und ein „strukturell objektiviert erlebter Körper“. Diese Tetrade des weiblichen Körpers sei eine „Folge der Geschlechterordnung“ des Patriarchats. Es sei nun der physiologische Körper, der dazu führe, „dass Frauen sich selbst dazu bestimmt betrachten, passives und unterwürfiges Fleisch zu sein“. Die Erfahrungen der Menstruation, der Schwangerschaft und des Stillens spielten ebenfalls eine fatale Rolle. Die Menstruation vermittele Frauen den „Eindruck, dass sich in ihrem Körper etwas abspielt, […] auf das sie keinen Zugriff hat“. Eine solche Erfahrung, so ließe sich einwenden, machen nicht nur Frauen, sondern Menschen jeden Geschlechts mit zahlreichen körperlichen Funktionen. Eine Schwangerschaft wiederum werde von Frauen sowohl als „Bereicherung“ wie auch als „Verstümmelung“ erfahren und Stillen als „schmerzhafter, ‚kräftezehrender Dienst’“. Wichtiger aber sei noch, „dass die Unterwerfung in den Körpern der Frauen so sehr fleischgeworden“ sei, „dass sie sich von ihrer Erotik nicht trennen“ lasse. Daher werde „Unterwerfung nicht immer als ein Verzicht auf die Freiheit erlebt, sondern erscheint zuweilen als ein Weg zu unendlichen Wonnen“. Doch nicht nur die im Körper fleischgewordene Erotik, auch ihre Liebe mache die Frau zur „Sklavin“ des Mannes.

Hier aber komme nun eine entscheidende Dialektik ins Spiel. Denn „[i]ndem sie sich zur Sklavin macht, übernimmt die Frau eine Art von Macht über den Mann; sie glaubt, dass ihr Opfer dem Mann Pflichten auferlegt“. So sei sie es, die ihm „Ketten an[legt]“. Mit dieser dialektischen Wendung mache de Beauvoir „verständlich“, „dass es eine Einwilligung der Frau in ihre Unterwerfung gibt, dass diese Einwilligung aber nicht sinnlos ist, da sie der Frau tatsächlich erlaubt, nicht bloß ein Schicksal hinnehmen zu müssen, das ihr aufgezwungen wird“. Mehr noch, sich zu unterwerfen sei „offenbar die einzige Strategie, über die die Frau verfügt, um souverän zu werden und eine Art Herrschaft über sich und die Welt zu erlangen“.

Garcia zufolge „entkräftet“ de Beauvoir mit ihrer Beantwortung der Frage, „wie und warum die Frauen in ihre Unterwerfung einwilligen“, „jede Verwendung dieser Einwilligung, um den Frauen die Schuld an der Unterwerfung zuzuweisen“. Zugleich zeige sie, „dass die Unterwerfung kein unvermeidliches Schicksal ist“. Das von de Beauvoirs entwickelte Theorem der weiblichen Selbstunterwerfung, lasse sich vielmehr dafür in Dienst stellen, „die Emanzipation zu denken“.

Wie gesehen geht die vorliegende Untersuchung weiblicher Unterwerfung von der Erfahrung der Frauen aus. Somit präferiert sie eine „Bottom-up-Analyse der Macht“. Denn wie der Feminismus vom Marxismus gelernt habe, seien Unterdrückte hinsichtlich ihrer Erkenntnismöglichkeit gegenüber den Unterdrückenden privilegiert. Dieser Standpunktepistemologie zufolge lässt sich „durch die Betrachtung der Machtbeziehungen aus der Sicht derer, die unterworfen sind, nicht nur eine zusätzliche und komplementäre Sicht der Machtverhältnisse [erhalten], sondern auch eine qualitativ bessere Erkenntnis der sozialen Welt [erwerben]“, da die so gewonnen Erkenntnisse „nicht das Ergebnis einer Herrschaftsstrategie sind“. Wenn „man nicht mehr den Blick des Herrschenden, sondern den des Unterworfenen auf die Macht“ einnehme und nach dessen „Erfahrung“ frage, lasse sich also zu einer „besseren Erkenntnis der Herrschaft“ gelangen. Eine zumindest in dieser Allgemeinheit nicht ganz überzeugende Argumentation.

Sollten beispielsweise die Erkenntnisse über das Gefängnissystem, zu denen eine zeitlebens an eine Zellenmauer gekettete Gefangene aufgrund ihrer Erfahrungen gelangt, tatsächlich „besser“ sein als diejenigen eines Gremium, das aus den ArchitektInnen des Gebäudes, der Leitung des Gefängnisses, VertreterInnen der Legislative, der Exekutive und der Judikative, und anderen Herrschenden bestünde? Mit diesen Zweifeln soll keineswegs gesagt sein, dass die Perspektive der Unterdrückten unwichtig sei. Das Gegenteil ist der Fall, aber sie ist – für die Analyse der Herrschaftsverhältnisse und -strukturen (!) – eben nicht alles. Davon abgesehen bleiben standpunkttheoretische Ansätze innerhalb der feministischen Erkenntnistheorien keineswegs unwidersprochen.

So unterscheidet sich das in dem vorliegenden Band vertretene erkenntnistheoretische Konzept etwa grundlegend von der feministischen Erkenntnistheorie, die von PhilosophInnen wie Waltraud Ernst vertreten wird, der zufolge nicht ein besonderer Standpunkt zu einer besseren Erkenntnis führt, aber das Erkenntnisinteresse einen bestimmten wissenschaftlichen Ansatz privilegieren kann, im Falle von Ernst ist dies der feministische.

Wenig nachvollziehbar ist zudem Garcias Überzeugung, dass sich die „Unterordnung der Frauen durch die Männer […] ganz wesentlich von der Unterwerfung der Schwarzen, Juden und Proletarier [unterscheidet]“, da sie „schon immer da war“. Nun unterscheidet sich die patriarchale Unterdrückung zwar tatsächlich grundsätzlich von den anderen dreien, aber nicht aus dem von Garcia angeführten Grund, denn die Unterdrückung der Frauen war keineswegs ‚schon immer’ da, sondern ist im Laufe der Urgeschichte entstanden. Wie dies vor sich ging, darüber gibt es verschiedene Theorien. Zu den plausibelsten zählt die von Helke Sander in ihrem Buch Die Entstehung der Geschlechterhierarchie vertretene.

Auch Garcias apodiktische Feststellung, dass „[e]ine Frau […] die Männer nicht einmal im Traum ausrotten“ könne, ist offensichtlich unzutreffend, wie etwa Helene Druskowitz’ Philosophie, die Frauengesellschaft in Charlotte Perkins Gilmans Herland-Utopie oder Valerie Solanas’ Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer zeigen.

Garcia verfolgt mit ihrem Buch zwei Ziele. Zum einen möchte sie deutlich machen, „dass die Unterwerfung von Frauen sowohl für den Feminismus als auch für die Philosophie ein wichtiges Thema ist“. Das dürfte, sofern es den Feminismus betrifft, auch zuvor schon unbestritten gewesen sein. Zum anderen möchte sie zweigen, dass „Beauvoirs Denken höchst originelle und sachdienliche Wege aufzeigt“, um die Unterwerfung der Frauen zu verstehen. Originell ist deren Analyse der weiblichen Unterwerfung zweifellos. Aber auch ‚sachdienlich’? Jedenfalls sind alle, die sich für eine Rekonstruktion von de Beauvoirs Theorie der Unterwerfung der Frau interessieren, mit dem vorliegenden Band bestens bedient.

Titelbild

Manon Garcia: Wir werden nicht unterwürfig geboren. Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
234 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783518587614

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