Das Ende der Pressefreiheit?

In „Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung“ von Nils Melzer und Oliver Kobold thematisiert der UNO-Sonderberichterstatter außerdem die Machtlosigkeit seines Mandates.

Von Christine EickenboomRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Eickenboom

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon die Widmung, die Nils Melzer seinem Werk voranstellt, macht deutlich, welche Stoßrichtung das Buch verfolgt: „Allen, die unerschrocken für die Wahrheit kämpfen“ – deutlicher dürfte sich die Aufforderung an Menschen wie Julian Assange, auf ihrem Weg der Aufdeckung und Veröffentlichung von staatlichem Machtmissbrauch weiterzugehen, kaum formulieren lassen. Wahrscheinlich bezieht sich der Autor auch selbst in diesen Kreis mit ein, denn mit seinem über Jahre andauernden Bemühen, der Öffentlichkeit seine Einschätzung des Falls Julian Assange als rechtlich unhaltbar und klaren Verstoß gegen internationale Vereinbarungen und Konventionen darzustellen, zieht er weltweit Aufmerksamkeit auf sich. 

Dass das tatsächlich ein Kampf ist, wird deutlich, wenn man sich die aktuelle Lage in diesem Fall vergegenwärtigt: Julian Assange ist trotz Melzers Enthüllungen und weltweiter Proteste nach wie vor inhaftiert, an den Bedingungen hat sich nichts geändert. Aus dem selbstbewusst auftretenden Gründer von WikiLeaks ist ein psychisch schwer angeschlagener Mann geworden. Der UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer sieht als Ursache systematische Folter und Nichtachtung grundlegender Rechte des Angeklagten und sein Buch als einzigen Weg, die Ausmaße der Unrechtmäßigkeit einer breiten Öffentlichkeit aufzuzeigen. Zu diesem Zweck schildert er den ‚Fall Julian Assange‘, seine Aufgabe als UNO-Sonderberichterstatter, und präsentiert seine Arbeit. 

Die Geschichte einer Verfolgung gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil gibt Melzer einen Überblick über das Geschehen. Er beschreibt, wie Vorbehalte ihn zunächst davon abgehalten haben, sich des Falles anzunehmen, was ihn letztendlich aber dann doch überzeugt hat, und stellt über seine Expertise und bisherige Tätigkeiten klar, weshalb er in der Lage ist, die Machenschaften, die er hinter der Verfolgung Julian Assanges sieht, zu bewerten. Seine Analyse der 18-minütigen Videoaufnahme mit dem Titel Collateral Murder, die dank WikiLeaks 2010 um die Welt ging und aufzeigte, was die Welt nicht sehen sollte, dass nämlich der militärische Einsatz im Irakkrieg mit schlimmen Kriegsverbrechen von Seiten der westlichen Streitkräfte verbunden war, ist von der Empörung Melzers geprägt. Man spürt sie in der zitierten Unterhaltung der amerikanischen Soldaten, in den abgehackten Sätzen, in den nicht endenden Gegenüberstellungen zu den Fragen, was rechtlich korrekt gewesen wäre und was passiert ist. Diese Empörung begleitet die Leserschaft durch das gesamte Buch.

Im zweiten Teil will Nils Melzer aufzeigen, wie die Reaktionen und Vorgehensweisen der involvierten Staaten Schweden, die USA, Ecuador und Großbritannien miteinander verknüpft sind und zusammenwirken, um durch konstruierte Vorwürfe und rechtlich nicht abgedeckte Vorgehensweisen eine Hetzjagd auf einen Mann zu führen, die einzig dem Zweck diene, die journalistische Aufdeckung von Kriegsverbrechen zu unterbinden und das hohe Gut der Pressefreiheit damit mindestens in Frage zu stellen, wenn nicht sogar in erheblichem Maße einzuschränken. Auch hier ist Empörung greifbar: der Verweis auf die Fragwürdigkeit des schwedischen Verfahrens zum Vorwurf der Vergewaltigung, der in allen Einzelheiten aufbereitet wird und nach Ansicht des Autors einzig zu dem Zweck, justiziablen Zugriff auf die Person Assange aufrecht zu erhalten, nie gerichtlich verhandelt worden ist, kehrt immer wieder.

Im dritten Teil schließlich beschreibt Melzer seine erfolglosen Bemühungen darum, Assange dadurch, dass er die anklagenden Staaten zur Einhaltung straf- und menschenrechtlicher Grundlagen ermahnt, zu fairen Haftbedingungen und einem angemessenen Verfahren zu verhelfen. Der UNO-Sonderberichterstatter schildert, wie er stattdessen mit Ignoranz und Respektlosigkeit seinem Amt gegenüber konfrontiert wird. Wiedergabe und bereits frühere Veröffentlichungen seiner Anschreiben und der daraufhin ergehenden Antworten bzw. der Hinweis auf ausbleibende Reaktionen, untermauern seine Einschätzung. Gleichzeitig werden aber auch in diesem Teil erneut die Vorwürfe Schwedens, mit denen das begann, was Melzer als Hetzjagd gegen Assange entlarven will, mehrfach wieder aufgegriffen, als wolle der Autor sichergehen, dass die Leserschaft nie aus den Augen verliert, wie konstruiert und eingefädelt diese Hetzjagd von Beginn an war.

Dadurch behält die Schilderung des ‚Falls Julian Assange‘ über das gesamte Werk eine Emotionalität, die die Fakten, die Melzer ja unzweifelhaft zur Hand hat und präsentiert, in ihrer Sachlichkeit zurücktreten lassen und an der auch die am Ende befindliche Auflistung der Pressemitteilungen und offiziellen Interventionen wenig ändert. Melzer verbindet mit dieser Emotionalität seinen Appell an Presse und allgemeine Öffentlichkeit, zu dem, was Assange angetan wird, nicht zu schweigen und den beteiligten Staaten, zu denen er mindestens aufgrund ihrer Passivität auch Australien und Deutschland rechnet, deutlich zu zeigen, dass die Aufdeckung der Wahrheit im unbedingten Interesse auch der Freiheitsrechte geschehen sollte. Dabei stellt sich die Frage, ob nicht eine zumindest im dritten Teil rein sachlich orientierte Argumentation gerade die Stimmen, die in Assange nach wie vor einen Spion und Cyberterrorist sehen, stärker vom unrechtmäßigen Vorgehen gegen ihn und von den Gefahren, die von staatlichen Machtinteressen und damit verbundenem Machtmissbrauch ausgehen, überzeugen würde.

Melzers Buch ist eine Chronik seiner Bemühungen um die glaubhafte Ausübung seines Mandates, die mit eigenen Zweifeln und einsetzendem Umdenken angesichts der Grausamkeit der von WikiLeaks öffentlich gemachten staatlichen Kriegsverbrechen beginnt, aber nicht im Erfolg endet. Gleichzeitig ist es die Offenlegung einer Hilflosigkeit, in der eine Institution wie die UNO für die westlichen Staaten nicht mehr zu sein scheint, als die bloße Behauptung einer rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Politikausübung. Seine Warnung vor den Folgen ist eindringlich. Ob sie Gehör findet, wird sich zeigen müssen.

Titelbild

Nils Melzer: Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung.
Piper Verlag, München 2021.
240 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492070768

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