Ein Interview über die Liebe

In „Roman d’amour“ erzählt Sylvie Schenk von dem Übergang der Zweisamkeit in Einsamkeit und der Realität in Fiktion

Von Leonie HerholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Leonie Herholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman, der sich selbst als Roman der Liebe betitelt, interpretiert die Liebesgeschichte eines Ehebruchs. Schenk entwirft die Autorin Charlotte Moire, die von einer Journalistin, Frau Sittich, zu ihrem neu erschienenen und preisgekrönten Roman Roman d’amour interviewt wird. Es handelt sich um einen autofiktionalen Roman im Roman. Während Charlotte aus der Ich-Perspektive von ihren Erinnerungen an die Affäre erzählt, begegnet man in den Auszügen ihres Romans ihrem Alter Ego, der fiktiven Klara, als Du-Erzählerin. In dem Interview streitet Charlotte zunächst jeden autobiografischen Bezug ab, aber in ihrem Gedankenkarussell um die Vergangenheit drängt sie den Lesenden die Verbindung förmlich auf: „Klara und ich standen in einem ständigen Dialog mit Ludo/Lew, in inszenierten Gesprächen, inszenierten Handlungen, begleitenden Küssen und Liebkosungen.“

Durch Kommentare, Korrekturen und Fragen werden die Lesenden zwar in den Text gezogen, aber es gelingt nicht, sie dort für sich einzunehmen. Weder spannend noch emotional berührend vermittelt dieser Text vielmehr Erkenntnis über die Liebe und das Schreiben darüber. Die Geschichten selbst sind gut miteinander verwoben, aber die Handlungen wirken schablonenhaft – trotz des untypischerweise jüngeren Liebhabers. Charlotte, eine geschiedene, einsame Schriftstellerin, lernt ihren jüngeren Liebhaber Ludo bei einer Universitätsfeier kennen und nimmt ihn Jahre später als Vorbild für die Romanfigur Lew. Lew wiederum ist gelangweilt von seinem Familienleben und beginnt eine Affäre mit der älteren, geschiedenen und einsamen Schuldirektorin Klara. Beide Frauen, Charlotte und ihre Figur, durchleben die Liebe auf den ersten Blick, das Auffliegen der Affäre, eine letzte gemeinsame romantische Reise und die Entscheidung des verheirateten Liebhabers gegen sie, was für beide kaum zu verkraften ist. Dabei driftet der Roman immer wieder in unglaubwürdige Szenarien ab, wenn etwa Lews Arbeitskollegin zu seiner Ehefrau fährt, um ihr von der Affäre zu erzählen, oder wenn über die Journalistin angedeutet wird, sie sei Ludos verschwundene Ehefrau. Überzeugen können hingegen die selbstreflexiven Interpretationen, die beide Geschichten und deren Verbindungen kommentieren:

Jeder verändert sich. Eine Liebe, die an den ersten Projektionen haften bleibt, schwindet nach und nach. Sie haben recht, wenn sie sagen, dass Klara sich zu der Frau wandelt, die sie vielleicht immer war, lebenshungrig und liebesgierig. Lews Gefühle aber waren in dem Bild verankert, das Klara nach ihrer Scheidung von sich entworfen hatte.

Aufzählungen, Adjektive und bildhafte Sprache finden die Lesenden in diesem Roman eher zu viel als zu wenig vor, wodurch teilweise eine Melodramatik erzeugt wird. In einigen Textstellen gelingt es Sylvie Schenk mit diesem Stil, Beschreibungen von Gefühlszuständen einzufangen, für die es kein einzelnes Wort gibt; an anderen Textstellen verliert die Geschichte weiter an Authentizität:

Noch ist das Meer ruhig und willig und repetitiv. Es wellt sich ins Unendliche. Du kraulst dem Ende der Gezeiten entgegen. Bist nicht mehr allein. Gott ist in deiner Nähe: ein lachender Seehund. Und dann, kurz danach: bleiern, hart, eiskalt, zuerst ein kaum wahrnehmbarer Kinnhaken, dann eine Watsche, ein Faustschlag, der Kampf beginnt gegen aufgetürmte Wellen, die sich hoch und frostig über deinen Kopf erheben […].

Eine Gemeinsamkeit verbindet auch die Autorin mit ihrer Protagonistin Charlotte: Französisch als Erstsprache. Sylvie Schenk wurde 1944 in Frankreich geboren und lebt seit 1966 in Deutschland. Ihre Romane und Kurzgeschichten schreibt sie seit 1992 in deutscher Sprache. Zuletzt ausgezeichnet wurde sie 2018 für den Roman Schnell, dein Leben (2016) auf der Buchmesse HomBuch. Roman d’amour ist ihr zehnter Roman.

Die Interpretation der Geschichte durch den Roman im Roman selbst zum Gegenstand zu machen, ist originell; die Umsetzung wird dieser Idee jedoch nicht unbedingt gerecht. Dem entgegen steht die Rezension in der Süddeutschen Zeitung von Jörg Magenau, der Roman d’amour als raffiniert gebautes, unaufdringliches und weises Buch lobt. Weise Einsichten findet man wohl, aber man nimmt dafür eine teils aufdringliche Sprache und eine teils künstlich gebaute Handlung in Kauf. Wer aufgrund des Titels eine berührende Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht. Vieles, was man bei einer berührenden Liebesgeschichte womöglich selbst entschlüsseln könnte, wird hier vorweggenommen, so dass Roman d’amour nur für Leser*innen zu empfehlen ist, die reflexive Ansichten über das Schreiben und die Liebe lesen möchten. „Die Liebe ist ernst und schweigsam. Sie duldet keine Zerstreuung, kein Hin und Her der Pupillen: Ich erfahre dich.“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Sylvie Schenk: Roman d‘amour.
Hanser Berlin, Berlin 2021.
128 Seiten, 18 EUR.
ISBN-13: 9783446269224

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