Harmlos fängt es immer an

Im dritten Fall für Paul Hirschhausen, „Barrier Highway“, wird Garry Dishers ins südaustralische Buschland strafversetzter Ermittler zum Stalking-Opfer

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es herrscht Winter rund um die Kleinstadt Tiverton im Süden Australiens. Der einst erfolgreiche Ermittler Paul „Hirsch“ Hirschhausen, nach einer Korruptionsaffäre ins Outback abgeschoben, um als Constable der South Australia Police für Ruhe und Ordnung im einsamen Buschland zu sorgen, geht seiner gewohnten Arbeit nach. Ein „Schlüpferdieb“ ist unterwegs und will gestellt werden. Falsche Dachdecker sorgen für Unruhe. Illegale Rodungen sind zu unterbinden. Ein vernachlässigtes elfjähriges Mädchen benötigt Hilfe. Alles Alltag für einen Mann, der sich in anderthalb Jahren Streifendienst, der ihn zweimal die Woche auch ins Umland von Tiverton und zu den weit voneinander entfernt auf ihren kargen Böden lebenden Farmern führt, bereits einen Namen gemacht hat. Routinearbeit hauptsächlich, bei der Streit mit Worten geschlichtet werden kann und Zuhören meist mehr bringt als Härte zeigen.

Allein wie in den beiden Vorgängerromanen um seinen stillen Helden – Bitter Wash Road (2013, deutsch 2016) und Peace (2019, deutsch 2020 unter dem Titel Hope Hill Drive) – braucht es auch in Barrier Highway nicht lange, bis die Dinge zu eskalieren beginnen. Ein geplatzter Scheck genügt, um den Farmer Leon Ayliffe und seinen Sohn Joshua auf die Barrikaden zu treiben. Weil die beiden bei ihrer wütenden Gegenwehr gegen die Fallen, die ihnen das Leben – diesmal in Gestalt der örtlichen Bank und ihres Direktors im Verbund mit einem betrügerischen Unternehmer – stellt, auf einen unbedarften Umweltschutzbeauftragten schießen und Hirschhausens Vorgesetzte, Sergeant Hilary Brandl, bei der Aktion sozusagen den Kollateralschaden darstellt, übernimmt Dishers Held nicht nur alsbald ein zweites Polizeirevier, sondern hat auch noch hochnäsige Ermittler aus übergeordneten Behörden am Hals. An die ist er freilich bereits von früheren Fällen her gewöhnt und weiß, dass er sich im Ernstfall besser auf sein eigenes kriminalistisches Gespür verlässt.

Raffiniert wie immer hat Garry Disher auch in seinem dritten Paul-Hirschhausen-Roman die einzelnen Handlungsfäden verwoben. Alles was in und um Tiverton und die benachbarte Kleinstadt Redruth geschieht – so ephemer es auch manchmal zu sein scheint –, hängt miteinander zusammen. Und verändert sich etwas an einem Punkt dieser kleinen Welt, so hat das fast immer auch Auswirkungen auf anderes. Hier das Gleichgewicht zwischen Güte und Strenge in seinem auf die Durchsetzung von Ordnung in dem Gemeinwesen angelegten Job aufrechtzuerhalten, versteht Paul Hirschhausen als seine vorrangige Aufgabe. Dass das nicht immer zu seiner Zufriedenheit gelingen will – etwa wenn er sich der zunehmenden Aufdringlichkeiten einer Lehrerkollegin seiner Freundin Wendy Street zu erwehren hat –, ärgert ihn dabei selbst am meisten, lässt diese ruhigste Figur im Kosmos der Romanwelten Garry Dishers aber zugleich als eine seiner sympathischsten und menschlichsten Schöpfungen erscheinen.

Dass sich die einzelnen Fälle, mit denen Hirschhausen beschäftigt ist, am Ende – und oft ebenso überraschend für den Polizisten wie für den Leser – lösen, ist bei Disher keine Frage. „823 Schlüpfer, 488 BHs, einen fadenscheinigen Strumpfhalter und eine Handvoll Leibchen“ findet man bei einem örtlichen Prominenten. Die beiden Amok laufenden Ayliffes erweisen sich bei Weitem nicht als so gefährlich wie ein anerkannter Bürger Tivertons, der selbst vor Morden nicht zurückschreckt, wenn es gilt, seine Betrügereien zu tarnen. Und irgendwann hört auch Paul Hirschhausens Handy auf, ihn mit Nachrichten einer an ihrer Einsamkeit verzweifelnden Frau zu malträtieren.

Mit Barrier Highway beweist der heute 72 Jahre alte Garry Disher ein weiteres Mal, dass er weltweit zu den Besten seines Faches zählt. Erneut kongenial übersetzt von Peter Torberg, braucht dieser Roman nicht die großen Actionszenen, um seine Leser zu fesseln. Unaufdringlich erzählt er vom schwierigen ländlichen Leben durchschnittlicher Menschen inmitten einer Natur, die es ihnen nie leicht macht. Menschen, für die Sympathien zu erwecken zu Dishers schriftstellerischen Stärken zählt. Und es sind meistens nicht die ärmeren Leute, die in den Romanen des Australiers den größten Dreck am Stecken haben, sondern jene, die glauben es sich leisten zu können aufgrund ihrer gesellschaftlich herausgehobenen Stellung.        

Consolation heißt der vorliegende Roman übrigens im Original, Trost. Den haben viele der Figuren, auf deren harte Existenzkämpfe das Buch Schlaglichter wirft, tatsächlich nötig: Einsame, vom Leben Gebeutelte, Betrogene, die sich oft nicht anders zu wehren wissen als durch Gewalt. Und dass tröstender Zuspruch den einen – manchmal sind das auch just die falschen – zuteilwird, während andere vergeblich darauf hoffen, ist eine Tatsache des Lebens, die nicht nur im südaustralischen Outback gilt. Nach Peace und Consolation wäre Justice vielleicht kein schlechter Titel für den nächsten Roman der Paul-Hirschhausen-Reihe. Aber auch dem Unionsverlag, in dem Dishers Romane auf Deutsch erscheinen, sollten die Straßennamen in und um Tiverton nicht so schnell ausgehen.

Titelbild

Garry Disher: Barrier Highway. Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Unionsverlag, Zürich 2021.
352 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005723

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