B wie Buch, klar und deutlich

Silvia Werfel gibt in „Buchgestaltung in Deutschland“ Einblick in die Berufsszene und präsentiert prämierte Buchentwürfe zusammen mit den Gestalter*innen

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Cover eine serifenlose Majuskel B, gefolgt von starkem Punkt. Die Typen prangen nicht, sondern sind in einem Netz aus feinen roten Linien konstruiert: das Gitternetz als Ornament und Projektionsbehelf, ein bißchen wie das karierte Velum, das die Perspektivmaler zwischen sich und ihr Sujet aufspannten, um ihr Motiv auf die Malfläche zu übertragen. 

Jedes Buch hat einen inhaltlichen Anspruch, es sollte aber auch ästhetisch überzeugen. Das ist es Autor*in und Leser*in schuldig. Hinzu kommen die typographisch beeinflussten wahrnehmungsphysiologischen Aspekte des Lesens. Der Doppelaufgabe von Text-Vervielfältigung und buchgestalterischer Angemessenheit fühlte sich die Schwarze Kunst von Anfang an verpflichtet, allerdings medienhistorisch eigenwillig, wie die Herausgeberin Silvia Werfel weiß (s.u.). Diese Verpflichtung gilt jedenfalls auch noch heute, im 570. Jahr nach Gutenberg  – trostlos die Bücher ohne Anmutung. Nur werden ästhetische Qualität und typographisches Raffinement auf dem digitalmedial doppelt herausgeforderten Buchmarkt zunehmend auf die Probe gestellt, ganz zu schweigen vom zwar kontrovers diskutierten, aber plausiblen Rückgang der Lesebereitschaft und -fähigkeit textlastiger Druckwerke. 

40 Jahre nach der letzten Bestandsaufnahme des typographischen state of art in Deutschland von 1951 bis 1991 (Hans Peter Willberg: 40 Jahre Buchkunst, 1991) unternimmt Silvia Werfel einen neuen Anlauf, prämierte Buchgestalter*innen vorzustellen. Es interessieren Erzeugnisse aus dem Bereich „handelsübliches Verlagsprodukt Buch“, nicht etwa experimentelle Buchkunst-Unikate oder bibliophile limitierte Druckwerke. Das Ergebnis sind 15 Kurzporträts von Freischaffenden, 3 Damen und 12 Herren: Iris Farnschläder, Judith Schalansky und Lisa Neuhalfen, Günter Karl Bose, Klaus Detjen, Markus Dreßen, Friedrich Forssman, Rudolf Paulus Gorbach, Rainer Groothuis, Matthias Gubig, Gaston Isoz, Ralf de Jong, Bernd Kuchenbeiser, Rainer Leippold und Hagen Verleger. Die Genannten erhalten eine Berufsbiografie (eine Seite), inkl. Selbstaussagen zu persönlichen Maximen und Prägeeinflüssen. Anschließend sind jeweils drei Arbeitsproben zu sehen (Schuber-, Einband- und/oder Seitengestaltungen). Die Auswahl der Personen ist sicher nicht repräsentativ für die gesamte Branche, weil es mehr Verlage und Akteure gibt. Aber es wird Beispielhaftes sichtbar, und es lassen sich die gestalterischen Einfälle und Umsetzungen durch das Nebeneinander in der kleinen, feinen Werkschau des Bandes gut vergleichen. 

Der Essay der Herausgeberin ist prägnant (kurze Sinnabschnitte), durchmisst das Gutenberg-Zeitalter in Siebenmeilenstiefeln und ist doch angemessen, weil das Wesentliche klug identifizierend. Werfel markiert die für das Thema (der immerwährende Wettbewerb um schöne Bücher) markanten Wegmarken und kontextualisiert sie stichpunktartig. Platz steht ohnehin nur begrenzt zur Verfügung, gerade einmal 18 Seiten in Oktav, sprich A5. Aber die reichen aus, um in diesem Modus die Folgen des Mauerfalls für die Branche in Ost und West in wenigen Worten anzusprechen, die erwähnte Branchenstudie und -statistik von Willberg zu resümieren und auch noch drei wirkmächtige Buchgestalter-Persönlichkeiten vorzustellen, die bis in die 1990er Jahre tätig waren: Juergen Seuss, geb. 1935; Albert Kapr, 1918–1995 und Hans Peter Willberg, 1930–2003. 

Auf je einer Seite wird der technische und stilistische Wandel in der Druckgeschichte thematisiert. Dabei ist bemerkenswert, wie Werfel die gestalterische Sorgfalt Gutenbergs relativiert und den Sinn der jungen Zunft für die Anmutung ihrer Erzeugnisse einschätzt. Der Mainzer Prototypograph habe 

es sich leicht gemacht, indem er für seine Druckprodukte die Konventionen des Handschriftenzeit übernahm. Er beschränkte sich auf den Satz der Textkolumne, also auf den Mengen- bzw. Werksatz, und ließ nach dem Druck alles Weitere von Hand ausführen (Rubrizieren, Lombarden, Initialen etc.). 

Einverstanden, Gutenberg ging es bei seiner Innovation zunächst um Produktionsbeschleunigung, bestenfalls um Arbeitserleichterung, nicht aber um eine Qualitätsverbesserung. Dennoch hatte er die gestalterische Aufmachung seiner Produkte allzeit im Blick und war sich des Doppelcharakters des Buches als Informationsträger und ästhetisches Objekt bewusst. Das neue Medium usurpierte und simulierte, emulierte schließlich das alte, so wie es sich bei jedem Medienwechsel verhält. Den Abschnitt „Qualität“ treibt die Frage an, wie funktionsgerechte, zeitgemäße Typographie denn aussehe (wieder plurale Meinungen, Anregungen, Ideen der Branche und Herausgeberin), „Konventionen“ und „Differenzen“ kümmern sich um ihre Probleme (klassischer Blocksatz vs. luftiger Flattersatz; wer liest wann wie und wozu?), die sämtlich zu berücksichtigen sind, wenn es um treffliche Buchgestaltung geht. 

Die Herausgeberin vergisst auch nicht, das womöglich (gesellschaftlich) abnehmende Lesen und die Lesehäufigkeit zumindest von umfangreichen gedruckten Büchern zu problematisieren. Mit Bezug auf die offensichtlich in Konkurrenz zueinander stehenden Berufsgruppen der Buchgestalter*innen und Grafikdesigner*innen hypostasiert sie zugespitzt, aber keinesfalls ohne Quellenrückhalt: 

Bücher lesende Buchgestalter machen Bücher für Leser, mit viel Text und dezent differenzierender Typografie. Nicht lesende Grafikdesigner machen Bücher für nicht lesende Grafikdesigner, mit stark strukturierter, kontrastreicher Textgestaltung, unterstützt von Bildern und anderen grafischen Elementen. 

Und die Verlage nimmt Werfel in den Blick (welche Verlage heimsen die meisten Auszeichnungen für gut gemachte Bücher ein, wo sind die Horte buchkünstlerischer Kreativität), ferner Trends und die allenthalben immer notwendigere Kompetenz des Auswählens. Am Schluss absolviert sie in „Zukunft“ noch eine Stippvisite bei den namhaften Ausbildungsstätten in Leipzig, Halle, Mainz, Kiel, Düsseldorf und Potsdam, wo über die Zukunft der Buchgestaltung (mit)entschieden wird. 

Der Band ist die 14. Nummer der Reihe Ästhetik des Buches. Deren Augenmerk richtet sich auf die Optik, Haptik und Formgebung sowie die Funktionen und Wirkungen des gedruckten Buches, um dessen sinnliche und lesetechnische Qualitäten auszuloten und wertzuschätzen. Mithin stehen die „Buchform“ ebenso wie das „Buch als Form“ im Mittelpunkt. Die vorliegende Ausgabe schätzen alle, die – überzeugt, dass Bücher Passagen sind oder initiieren – einen konzisen Überblick über Trends und Trendsetter*innen in der Buchgestalterszene suchen. Allerdings werden keine opulenten farbigen Reproduktionen der Arbeitsproben geboten, sondern reduzierte Schwarz/Weiß-Abzüge. Dieses Manko ist dem Format der Reihe geschuldet, lässt sich aber ins Positive wenden: Es geht um keine originalgetreue Dokumentation eleganter Buchgestaltungen, sondern um einen Streifzug. Die Erscheinungskontexte und Websites der vorgestellten Gestalter*innen sind angegeben, ein Nachvollzug ist jederzeit bequem möglich. Aus der mikrotypographischen Zusammenschau dieser erlesenen und prämierten Bücher ist ein handliches und informatives Bändchen eigener Qualität hervorgegangen – was will man mehr.

Titelbild

Silvia Werfel: Buchgestaltung in Deutschland.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
88 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783835339286

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