Ein Sommermonat in den Hamptons

In Peter Richters Roman „August“ gerät der gemeinsame Urlaub zweier Paare nach und nach zur alles in Frage stellenden Lebenskrise

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätsommer in den Hamptons. Zwei Paare verbringen den August außerhalb von New York. Immobilienmakler Richard Mauler hat die Klines, Alec und Vera, eingeladen, einen ganzen Monat lang gemeinsam mit ihm, seiner Frau Stefanie und den beiden Kindern der Paare, Sarah und Scott, in seinem kleinen Bungalow auf Long Island zu „sommern“. Die Männer kennen sich aus Berlin, wo man Anfang der 90er des letzten Jahrhunderts wilde Zeiten miteinander verbrachte. Inzwischen freilich haben sich ihre Lebens- und Karrierewege auseinanderbewegt. Man ist älter geworden, gesetzter, der eine hat scheinbar Erfolg, der andere wartet noch auf ihn. Warum also die alten Zeiten nicht noch einmal für vier kurze Wochen wiederaufleben lassen?

Peter Richter (Jahrgang 1973) hat von 2012 bis 2017 als Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in New York gelebt. August ist – nach 89/90 (2015) – der zweite Roman des promovierten Kunstgeschichtlers und späteren Sachbuchautors und Journalisten. Natürlich sind in ihn vor allem seine USA-Erfahrungen eingeflossen. Sogar die Idee zu dem Buch kam Richter, wie er in einem Gespräch mit Andrea Gerk für den Deutschlandfunk Kultur bekannte, zu Beginn seiner Zeit in New York, als er zufällig in einer Zeitung las, dass Angestellte auf den Hamptons sich über das Verhalten mancher Sommergäste beschweren würden und er das als „eine wunderbare Metapher für das Leben als solches, aber auch für Gesellschaften“ empfand.

Andererseits hat der gebürtige Dresdener mit der im sächsischen Chemnitz geborenen Ärztin Vera eine Figur erfunden, mit der er noch einmal zu seinen bereits in dem bemerkenswerten, biografisch inspirierten Ost-West-Buch Blühende Landschaften (2004) gemachten Überlegungen zur deutschen Wiedervereinigung rückkoppeln konnte. Und nicht zuletzt verweisen auch die Gedanken, die sich Alec Kline in Bezug auf ein Buchprojekt über alternative Formen menschlichen Zusammenlebens macht, auf jene ebenso kurze wie utopienschwangere Übergangszeit nach dem sang- und klanglosen Verschwinden des ostdeutschen Staatssozialismus, wie sie in 89/90 beschrieben wurde.

Im, dem US-amerikanischen Mies-van-der-Rohe-Kollegen Philip Johnson als Nebenwerk zugerechneten, Sommerhaus laufen die Dinge jedenfalls von Anfang an nicht so, wie Richard es sich vorgestellt hatte. Der Geist der alten Zeiten will sich partout nicht einstellen und auch die Gegenwart wird zunehmend von Gereiztheit und dem Gefühl dominiert, mit der Situation immer weniger zurechtzukommen.

Unermüdlich stellt der Hausherr seine Macherqualitäten heraus, um den Klines klarzumachen, dass sie monetär schon lange nicht mehr in seiner Liga spielen. Alec hechelt einem uferlosen Buchprojekt hinterher, Stefanie den gerade gängigen Esoterik-Moden. Und Vera vernimmt bei jedem In-sich-Hineinhorchen „das Ächzen alternder Zellen […] und sehnte sich danach, zur Ablenkung wieder in anderer Leute Leben und Leiden schauen zu dürfen“. Alles in allem fühlt man sich „mit der Zeit sonderbar festgesetzt, durch den Leerlauf der Tage zum Stocken gebracht.“

Es erinnert ein wenig an Thematiken, wie sie einst Max Frisch nicht müde wurde durchzuexerzieren, und selbst der Schauplatz – man denke an Frischs Spätwerk Montauk (1975) – lässt an das Werk des Schweizer Autors denken. Auch bei Richter begegnet man Paaren, die sich im Alltag mit- und aneinander aufgerieben haben. Empfindsamkeit statt Empathie wird demonstriert, Rechthaberei statt Diskussion gelebt, Rollenspiel statt Bei-sich-Sein bevorzugt. Allerdings kommt in August etwas hinzu, wozu Frisch nicht immer in der Lage war: Humor. Nicht jener der Protagonisten freilich, denn die haben ihren, sollten sie denn je welchen besessen haben, längst verloren, sondern ein Humor des Blicks, mit welchem die Dilemmata des agierenden Personals ins Licht gerückt werden. Und das versteht Richter ganz vorzüglich über eine Sprache zu verdeutlichen, die von vielen – teilweise auch kommentierten – englischsprachigen Einschüben, mit denen man unter Beweis stellen will, dass man in ist, über Situationskomik bis zur Grimmigkeit reicht.

Als Stefanie eines Tages einen österreichischen Yoga-Lehrer, der sich an der Küste der Reichen mit Wohlfühlkursen, Achtsamkeits-Seminaren und „Runentänzen“ eine goldene Nase verdient, in die kleine Gesellschaft einführt und Alec sich auf eine unbedachte Affäre mit der um Jahrzehnte jüngeren und von Richard als Kindermädchen engagierten Schweizerin Charlotte einlässt, beginnen die Dinge schließlich komplett aus dem Ruder zu laufen. Und langsam kommt hinter dem schönen Schein die weitaus weniger schöne Wahrheit über jede der vier Figuren ans Licht. Richard Maulers Sommerresidenz ist nur gemietet und seine Geschäfte laufen momentan so schlecht, dass er kaum mehr den Mietpreis aufbringen kann. Alecs Flucht in eine Affäre kaschiert sein Versagen als Buchautor nur für kurze Zeit. Stefanies Begeisterung für esoterische Alternativen zeigt, dass sie mit ihrer Vergangenheit als prominente Moderatorin eines Musiksenders alles andere als abgeschlossen hat. Und Veras Sich-Klammern an die Arbeit im Krankenhaus kann nicht verdecken, dass sie von Alec mehr erwartet als nur gescheites Daherreden.

Am Ende dieses Sommers in den Hamptons liegt ein toter Mann im Pool. Ein Paar ist zusammengeblieben, eines hat sich offenbar getrennt. Eine Affäre war genauso schnell vorbei, wie sie begann. Ob die Ratschläge des österreichischen Gurus bezüglich „mindfulness“ und „non-judgement“ bei seinen mehr amüsierten denn interessierten Schülern angekommen sind – man bezweifelt es. Nur eines weiß man: Auch Zivilisationskritik muss man sich erst einmal leisten können. Sie ist, laut Peter Richter und einer seiner Figuren, nichts als ein „Wohlstandsphänomen“.         

Titelbild

Peter Richter: August.
Carl Hanser Verlag, München 2021.
256 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446267633

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