Dichterliebe und Freundestreue

Der Briefverkehr zwischen Rainer Brambach und Günter Eich in der Edition von Roland Berbig

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang war es wohl grenzenlose Bewunderung und zugleich ein schüchterner Versuch des deutsch-schweizerischen (Arbeiter-)Dichters Rainer Brambach (1917–1983), sich dem Schriftsteller Günter Eich (1907–1972) zu nähern. Erhalten geblieben scheinen jedoch die frühen Brambach-Briefe nicht zu sein, wie der Herausgeber Roland Berbig mitteilt. Dafür aber 293 andere Briefe, Telegramme, Ansichts- und Postkarten zwischen 1950 und 1973 sowie drei weitere Sendungen mit Widmungsexemplaren – ein Konvolut, das hier aus dem Nachlass von Günter Eich im Deutschen Literaturarchiv Marbach erstmals in seiner Gesamtheit publiziert wird. Berbig hat in Zusammenarbeit mit einer studentischen (sic!) Arbeitsgruppe diese vorbildliche Edition veranstaltet, die mit vielen Fotos und Abbildungen von Manu- und Typoskripten aufwartet und mit einer gelungenen (insgesamt maßvollen) Kommentierung samt (ebenfalls kommentiertem) Personenregister einen Lektüreschlüssel für den reichen Briefwechsel zwischen zwei so unterschiedlichen und dabei doch – oder gerade deshalb – einander besonders zugewandten Künstlerpersönlichkeiten vermittelt.

Was mit der Verehrung eines bewunderten Schriftstellers beginnt, verwandelt sich nach kurzer Zeit bereits in Freundschaft, die bis zu Eichs Tod anhalten wird und auch auf die jeweiligen Partnerinnen, Eichs Frau Ilse Aichinger und die verschiedenen Partnerinnen Brambachs, übergeht. Da ist auf der einen Seite der bereits als junger Mensch reüssierende Lyriker Eich, der nach dem zweiten Weltkrieg einen kometenhaften Aufstieg als Künstler erlebt, den Preis der Gruppe 47 und den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden erhält und der schließlich zum berühmten Eich-Maß erklärt wird; auf der anderen Seite der aus kleinbürgerlich-proletarischen Verhältnissen stammende Brambach, lebenslang von argen Existenznöten geplagt und zur Arbeit im Gartenbau gezwungen, dabei unbändig im Drang, sich selbst literarisch auszudrücken. Berbig weist in seiner informativen Einleitung auf ein Spiegel-Porträt Eichs aus dem Jahr 1950 hin, worin Eich sich im Gespräch mit einem Journalisten als einen Menschen zeichnet,

der in der Sprache lebt, dem Gedichte existentielles Bedürfnis sind. Dabei sagte er Dinge, die auf Einspruch angelegt waren, aber einen unprofessionellen Versschreiber wie Brambach, dem Poesie gleichsam widerfuhr, unbedingt faszinieren mussten. ‚Die Korrespondenz eines Doppelkonsonanten in der ersten Zeile eines Gedichtes mit einem in der zweiten Zeile kann entscheidender sein als der Gefühls- oder Gedankeninhalt.‘ Das Gewöhnliche neben dem Ungewöhnlichen, das Durchschnittliche neben dem Außerordentlichen, das Ländliche neben dem Großstädtischen – diese Mischzeichnung prägte das Spiegel-Eich-Bild. Für Brambach, noch einmal, sympathiestiftend.

Also ein weiteres Initial für Brambach, den Kontakt zu suchen. Und es entwickelt sich eine überaus intensive Dichterfreundschaft, bei der die beiden einander teilhaben lassen an der Entstehung der jeweiligen Produktion – ja, Brambach spricht ausdrücklich von der gemeinsamen Arbeit an Texten –, Änderungsvorschläge diskutieren und auch Selbstzweifel und Ängste artikulieren. Endlich kommen intime persönlich-existentielle Dinge ebenso wie das gemeinsame große Laster – ein enormer Alkoholkonsum – zur Sprache.

Spannend ist darüber hinaus auch der Briefwechsel mit Blick auf das ‚literarische Feld‘ der jungen Bundesrepublik, denn es ist immer wieder die Rede von öffentlichen Auftritten und Lesungen, von Treffen der Gruppe 47, von Eichs ausgedehnten Reisen, von Förderern und Mäzenen, von literarischen Preisen, von der Entwicklung des literarischen Marktes (von Zeitschriftengründungen wie den Akzenten oder Sprache im technischen Zeitalter sowie von Literaturstrategen wie Hans Bender oder Walter Höllerer), auffallend wenig dagegen von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen und Erschütterungen. Da mögen wohl auf beiden Seiten die „Dichterliebe und Freundestreue“, wie es Berbig ausdrückt, die Feder diktiert haben: Eich, für Brambach „der große Zauberer“ – „nichts kann dich ersetzen“ –, Brambach, dessen Lyrikband Tagwerk für Eich und Aichinger zugleich „wie eine Sternenlampe aus den Regalen“ der Bücherschränke leuchten müsste. „Lieber Rainer, Montag, höre ich, sei dein Geburtstag. Ich glaubs nicht, du wirst nicht älter. Nur die Zahl der leeren Flaschen wächst hinter uns ins Alpine. Aber wir blicken nur vorwärts, wo uns noch manches erwartet.“ (Eich an Brambach, 19. Januar 1962)

Dieser Briefwechsel zwischen Brambach und Eich ist wunderbarer Lesestoff, die Edition vorbildlich, Gestaltung und Aufmachung des Nimbus-Verlags sind hervorragend gelungen, ein optisch und haptisch beeindruckendes Buch.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Roland Berbig (Hg.) / Günter Eich / Rainer Brambach: «Nichts und niemand kann dich ersetzen». Rainer Brambach – Günter Eich. Der Briefwechsel.
Nimbus. Kunst und Bücher, Wädenswil 2021.
544 Seiten, 44 EUR.
ISBN-13: 9783038500698

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