Revolten in Gelb und Grün

In „Rosa und Hannah. Das Blatt wenden“ inspiriert Joke J. Hermsen für Krisenzeiten

Von Christina LammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Lammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die niederländische Philosophin Joke J. Hermsen bringt in ihrem Essay Rosa Luxemburg und Hannah Arendt zusammen. Die deutsche Übersetzung kommt passend im klassischen roten Leineneinband der Reihe Salto des Wagenbach-Verlags daher. Darin erschöpft sich Hermsens inhaltlicher Anspruch jedoch nicht. Denn die Philosophin hat sich zum Ziel gesetzt, in acht Kapiteln auch die Relevanz der Gelbwesten-Bewegung und Fridays for Future vor dem Hintergrund des Denkens von Luxemburg und Arendt zu erklären. Ausgangspunkt ist der Begriff der Hoffnung. 

Vorweg sei gesagt, dass der Begriff der Hoffnung in dem Essay wenig Raum einnimmt und dass sich die Autorin manchmal in pathetischen Formulierungen darüber verliert. So schließt der Text mit dem folgenden Gedanken ab: 

Rosa Luxemburg und Hannah Arendt können uns Hoffnung spenden, weil sich durch sie die Zeit, in der wir heute leben, aufhellt. Sie sind die Stimmen aus der Vergangenheit, die ihrer Zeit weit voraus waren, weil sie aus dem nunc stans heraus dachten und schrieben – dem ewig dauernden Augenblick –, der eine Brücke zwischen einer Vergangenheit schlägt, die vorbei ist und einer Zukunft, die noch nicht gekommen ist. Sie können uns bleibend inspirieren, weil die ursprüngliche und menschliche Kraft ihres Denkens uns zu berühren weiß und somit in Bewegung setzt.

Dieser letzte Absatz illustriert die Argumentation Hermsens, die sich aus ihrem langjährigen Interesse an Rosa Luxemburgs Texten entwickelt, die sie ihrerseits über eine Lektüre Arendts kennenlernte. Hermsen nutzt vor allem Luxemburgs Leben und Arbeit wie einen Filter, durch den sie während ihrer mehrmonatigen Aufenthalte in Frankreich das Anwachsen der Gelbwesten-Bewegung sowie deren mediale Darstellung betrachtet. Arendt kommt dabei die Rolle der Vermittlerin Luxemburgs Denken zu. Hermsen misst Arendts Schreiben über Politik und Luxemburgs politisches Potenzial jedoch eine kleinere Rolle zu. So wirkt die im Essay gemachten Zeitsprünge zunächst zu groß. Sie ermöglichen es Hermsen doch, die zeitgenössische Auseinandersetzung der Linken mit der verarmten Bevölkerung Frankreichs zu erklären. Die Einbettung des französischen Autors Édouard Louis zeigt beispielhaft, wie Hermsens Essay davon lebt, Luxemburg und Arendt in die Gegenwart zu holen. Laut Hermsen bereiten Autoren des 19. Jahrhundert den Weg für Schriftsteller wie Louis. Dessen Texte beschreiben die zerstörerischen Effekte des Kapitalismus, insbesondere die Mechanismen der Unterdrückung, denen vor allem ärmere Bevölkerungsgruppen noch heute nicht entkommen können. Dass diese von Louis beschriebenen Unterdrückten sich in Zusammenschlüssen wie der Gelbwesten-Bewegung gegen die Zerstörung stellen, ließe sich schließlich mit Luxemburgs und Arendts Aussagen zu revolutionären Bewegungen erklären.

Hermsen nimmt gekonnt in den Blick, was die in Frankreich in Misskredit geratene Gelbwesten-Bewegung auf die Straße gebracht hat. Dabei scheut sie es nicht, den Gelbwesten positiv zu begegnen, indem sie ihre Forderungen nachvollziehbar erklärt. Sie sieht sie auf einer Ebene mit anderen politischen Protesten, die medial zumindest neutralere Reaktionen hervorriefen, denn es 

gingen die Menschen in dem Jahr [2018] in großer Zahl auf die Straße, um gegen wirtschaftliches Unrecht, sexuelle Gewalt, oder, unter der überraschenden Führung der schwedischen Schülerin Greta Thunberg, gegen die Klimakrise zu protestieren. Sogar in meinem Land, den Niederlanden, das eher für sein ‚Poldermodell‘ der Suche nach politischen Kompromissen als für seinen revolutionären Elan bekannt ist, markierte das Jahr 2018 den Beginn einer eindrucksvollen Reihe von Demonstrationen unter anderem gegen die Sparmaßnahmen im Gesundheits- und Bildungswesen – erstmals in der Geschichte marschierten Professoren Arm in Arm mit Studierenden –, gegen die rassistische Folklore des Zwarte Piet und gegen den Klimawandel. 

So bietet Harmsen zwar neue Perspektiven auf die Gelbwesten, indem sie die sozialen Forderungen der heterogenen Bewegung in den Vordergrund rückt und daraus ein Plädoyer für mehr Demokratie durch Volksbefragungen ableitet. Jedoch unterschlägt sie dabei das gefährliche Potenzial einer Bewegung, die durchaus auch antisemitischen oder anders diskriminierenden Personen Raum gibt.

Revolutionen, so erklärt Hermsen nach Luxemburg, entstehen plötzlich und abseits einer Elite, müssen aber immer auch durch Wissen gefüttert werden. Passend dazu wird der knapp achtzig Seiten zählende Essay von einigen berühmten Briefen Luxemburgs aus dem Gefängnis ergänzt. Aus den Briefen spricht Luxemburgs Liebe für Kultur und Natur. Außerdem geht daraus hervor, wie Luxemburg ihre Bekannten durchaus auch provozierend herausforderte, politisch eine klare Haltung einzunehmen. Im Positiven engagiert zu sein hieß für Luxemburg, Widerstände aufzuspüren und zu beseitigen: Es gibt keine Revolution ohne die Chance, in individuellen Lernprozessen Überzeugungen zu ändern. Und genau das macht Hermsen am Beispiel der Gelbwesten deutlich.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Joke J. Hermsen: Rosa und Hannah. Das Blatt wenden.
Aus dem Niederländischen von Gerd Busse.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021.
144 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113580

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