Dichtung und Recherche

Die Staatsbibliothek zu Berlin widmet Dante Alighieri die virtuelle Ausstellung „Eine Reise durch zehn Himmelssphären“

Von Ulrike ReuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Reuter

Wo er wohl gelandet ist? Der größte italienische Dichter, der vor 700 Jahren, wohl am 14. September 1321, die Grenze vom Diesseits zum Jenseits überschritt. Einige seiner Kritiker hätten ihn vielleicht gerne in der ersten Station seiner literarischen Reise durch Hölle, Läuterungsberg und Paradies verortet – zum Beispiel jene Verantwortlichen der katholischen Kirche, die seine Schrift über die Monarchie jahrhundertelang auf den Index setzten. Dort, in der Hölle, hätte er dann zumindest die Päpste seiner Zeit wiedergetroffen, die er keck und kühn eigenhändig literarisch dorthin befördert hatte. Wenn das kein spannender Stoff ist!

Nicht umsonst zählt Dante Alighieri zu den meistgelesenen und -rezipierten Autoren des europäischen Mittelalters. Seine Göttliche Komödie hat ihn in den Kanon der Weltliteratur katapultiert, wobei der Titel irritiert: Erst seine Bewunderer bezeichneten das Werk später als „göttlich“. Und wer eine Komödie nach heutigem Verständnis erwartet, sieht sich – zumindest im ersten Teil, der Hölle – verstörenden, fast sadomasochistisch wirkenden Schreckensbildern gegenüber. Die Commedia entstand, nachdem der Florentiner mit politischen Ambitionen in das Mächtespiel zwischen Guelfen und Ghibellinen, also Papst- und Kaisertreuen, geraten und während einer Reise nach Rom als Mitglied einer Gesandtschaft zum Papst in Abwesenheit ins Exil verbannt worden war. Fast zwanzig Jahre reiste der Vogelfreie daraufhin unstet durch Norditalien, war immer wieder Gast in adligen Häusern und verbrachte die letzten Lebensjahre in Ravenna.

Wohl ab 1307 schrieb Dante an der Göttlichen Komödie und vollendete sie kurz vor seinem Tod 1321. In ihr rechnet er ab, vor allem mit den Florentinern, seinen Landsleuten, die ihm verwehrt hatten, seine Heimatstadt zu Lebzeiten noch einmal zu betreten. Und doch ist es nicht eine gedichtete Rache, sondern vielmehr eine moralisierende Ordnung gerade nicht des Jenseits, sondern der gegenwärtigen Welt, für die sich Dante Frieden und den Verzicht auf Habgier, Machtlust und Gewalt wünscht. Dantes Ansinnen sind gespeist aus einer tiefen Kenntnis philosophischer, theologischer und wissenschaftlicher Fragestellungen seit der Antike. Sein Wunsch war, dass möglichst viele Nicht-Studierte von diesen Ideen profitieren konnten – deshalb schrieb er die Göttliche Komödie in der Volkssprache: einem Italienischen, das noch gar nicht in den Kanon einer Literatursprache gelangt war.

Zu seinen Lebzeiten und auch noch über 150 Jahre danach gab es noch keinen Buchdruck. Wer Dantes Werk lesen wollte, musste sich eine Abschrift besorgen, entweder selbst angefertigt oder bei einem professionellen Kopisten in Auftrag gegeben. Wie groß der Wunsch nach solchen Handschriften war, zeigt die Anzahl der nachweisbaren Codices: Über 830 lassen sich heute noch in Bibliotheken ausmachen. Und auch nachdem der Buchdruck aus der Taufe gehoben worden war, ist die Zahl der frühen Drucke beachtlich. Bis 1500 findet man 15 Ausgaben der Göttlichen Komödie. An diesem Schlenker zur hand- und buchgeschichtlichen Überlieferung lässt sich bereits erkennen: Es geht hier auch um Bibliotheken, speziell um die Sammlungen der seit 1661 bestehenden Churfürstlichen und Königlichen Bibliothek und heutigen Staatsbibliothek zu Berlin.

Unser Haus, die besagte Staatsbibliothek zu Berlin, verfügt über bedeutende Dante-Bestände und präsentiert davon einen Teil in einer virtuellen Ausstellung. Und da wir nicht nur finden, dass Dante als der Begründer der italienischen Literatursprache, als erster Romanist und Mittler zwischen Antike, Mittelalter und Neuzeit selbstverständlich einen Platz im Empyreum verdient hat, sondern weil wir ganz unbescheiden und subjektiv sowohl die Dante-Bestände der Staatsbibliothek als auch unsere Recherchemöglichkeiten einfach paradiesisch finden, heißen wir alle Interessierten mit einem Augenzwinkern auf einer Reise durch zehn Himmelssphären herzlich willkommen.

Hier erfährt man unter anderem, wie Dante-Porträts simpel recherchiert werden können, warum Dante bis hin zur Zwei-Euro-Münze so grimmig dreinschaut, wie viele Schafe oder Ziegen für unsere wertvollen Handschriften ihr Leben lassen mussten und welch tragischen Tod einer der Kopisten erlitt. Und wer glaubt, die Deutschen zog es erst seit Goethe oder gar mit der Toskana-Fraktion ins Land, wo die Zitronen blühen, der wird erstaunt sein, dass 1472 die erste italienische Dante-Ausgabe in Foligno von einem aus Mainz stammenden deutschen Drucker hergestellt wurde.

Die virtuelle Ausstellung klärt auch darüber auf, warum die Medici keinen geringeren als Sandro Botticelli mit der Wiedergutmachung der Florentiner Schmach beauftragten und was Dante und Sebastian Brants Narrenschiff verbindet. Anschaulich wird präsentiert, wie in drei Millionen Bänden historischen Altbestands anhand einer komfortablen Online-Systematik gezielt nach speziellen Forschungsthemen gesucht werden kann und wie eine internationale Dante-Datenbank zur modernen Forschungsliteratur funktioniert. Es ist eine Reise für alle Sinne – fürs Auge gibt es ferner unsere eindrucksvollsten Illustrationen und für die Augen und Ohren die von Franz Liszt handgeschriebene Partitur seiner Dante-Sinfonie, samt Teufelston und Engelschor. In unseren digitalisierten Sammlungen warten nicht nur Claudio Abbados handschriftliche Notizen zu Verdis dantesken Kompositionen, sondern auch kriegerische Dante-Vereinnahmungen in Schützengrabenzeitungen des Ersten Weltkriegs darauf, kostenlos eingesehen und heruntergeladen zu werden. Und wir nähern uns der Frage: Wie bringen heutige Kinder- und Jugendbuchautoren den schwierigen Stoff an junge Fußballbegeisterte, die sich sonst in Sphären fernab der klassischen Literatur bewegen?

Lassen Sie sich also in zahlreichen Videos, Bildstrecken und Screencasts mitnehmen auf eine Spurensuche in unseren Sammlungen – von Porträts, Handschriften, Inkunabeln, Rara und anderen historischen Drucken bis hin zu Musikhandschriften und modernen Kinder-/Jugendbüchern von und über den „somma poeta“. Und nehmen Sie gerne den einen oder anderen Recherchetipp von dieser Reise mit – nicht nur, wenn Sie Dante-Spezialistin oder Kenner der Göttlichen Komödie sind. Die virtuelle Ausstellung richtet sich an ein breites Publikum und bietet gleichzeitig Hinweise zu Recherchemöglichkeiten in den Sammlungen der Berliner Staatsbibliothek und darüber hinaus.

Herzlich Willkommen an Bord!

Die Ausstellung ist zugänglich unter: https://blog.sbb.berlin/dante-2021/

 

 

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg