Ein vergessener Wiener Expressionist

Wilfried Ihrig legt ausgewählte Feuilletons von Heinrich Nowak vor

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl der österreichische Schriftsteller und Journalist Heinrich Nowak nur einen Gedichtband Die tragische Gebärde (1913) und eine Erzählung Die Sonnenseuche (1920) veröffentlicht hat, gehört er neben Robert Müller (1887-1924) zu den wichtigsten Vertretern des Wiener Expressionismus.

Am 26. Januar 1890 wurde Heinrich Vinzenz Nowak als Sohn eines Messerschmiedmeisters geboren. In der Donaumetropole besuchte er Volksschule und Gymnasium und legte 1911 die Matura ab. Nachdem er als untauglich ausgemustert und zurückgestellt wurde, immatrikulierte er sich an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, wo er (mit Unterbrechungen) bis zum Sommersemester 1918 studierte und Lehrveranstaltungen zu Literatur, Philologie, Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte belegte. 

Bis 1913 arbeitete Nowak im „Akademischen Verband für Literatur und Musik“ mit, zunächst als Schriftführer, später als literarischer Leiter. Dadurch hatte er Bekanntschaft u.a. mit Oskar Kokoschka, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Albert Ehrenstein und vermutlich auch mit Georg Trakl. In diese Zeit fielen auch die ersten Veröffentlichungen von Gedichten, Prosa und Rezensionen in verschiedenen Zeitschriften wie Der Ruf, Der Sturm, Die Aktion, Der Merker, Die weißen Blätter, Der Anbruch sowie in Anthologien. Anfang Juni 1913 erschien Nowaks Gedichtband Die tragische Gebärde im Verlag Hermann Meister in Heidelberg. Im August 1915 folgte dann die Erzählung Die Sonnenseuche in René Schickeles Zeitschrift Die weißen Blätter. Zwischenzeitlich wurde Nowak für den Militärdienst für tauglich befunden, dann jedoch wieder als „dienstuntauglich“ beurlaubt, bis er schließlich im September 1915 endgültig aus dem aktiven Militärdienst entlassen wurde.

Ende 1917 war Nowak für einige Monate verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Der Anbruch. In den Jahren 1917 bis 1919 erschienen von ihm regelmäßig Beiträge, vor allem in der Wiener Allgemeinen Zeitung. Im Mai 1919 heiratete er die Schauspielerin Cäcilie Lvovsky (1887-1979). Durch sie bekam Nowak Kontakt zum Theater, u.a. auch mit Karl Kraus und Bertolt Brecht. Die Ehe wurde aber 1929 wieder geschieden und 1935 heiratete er seine Jugendfreundin Stefanie Spitzer (1890-?), die jüdischer Abstammung war und 1938 über Prag nach London emigrierte.

Ab 1930 war Nowak ständiger Reporter des Wiener Büros der amerikanischen Nachrichtenagentur United Press, ab 1934 dann bei Associated Press. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 wurden die Büros der Associated Press jedoch geschlossen. Seiner Ehefrau wollte er nach London folgen, bekam allerdings kein Einreisevisum. Noch bis August 1939 konnte sich Nowak in Österreich halten. Nach zweimaliger Gestapo-Haft (mit eingeschlagenen Zähnen und gebrochenem Arm) floh er schließlich nach Zürich, wo er allerdings wegen des für Emigranten geltenden Arbeitsverbotes große materielle Not litt. Erst im Juni 1943 erhielt er die Arbeitserlaubnis für die Mitarbeit im schweizerischen Büro von Associated Press. Nach dem Kriegsende war Nowak dann freier Mitarbeiter für die NZZ, die Wochenzeitschrift Freies Volk und später auch für das Schweizer Journal und die Münchner Abendzeitung (Züricher Korrespondent).

Nach seiner Flucht nach Zürich war Nowak 1942 ausgebürgert worden, erst sieben Jahre später erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft zurück. Über seine letzten Lebensjahre ist nur wenig bekannt: 1946 die Scheidung von Stefanie Spitzer, die er seit ihrer Flucht nach London nicht mehr gesehen hatte, und 1949 die Heirat mit Hedwig Ammann (1911-2003). Am 12. August 1955 starb Heinrich Nowak im Züricher Spital Theodosianum und wurde auf dem Friedhof Fluntern beigesetzt. In ihrer Abendausgabe vom 16. August veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung unter dem Titel Vollendetes Emigrantenschicksal einen Nachruf, in dem es u.a. hieß:

Am vergangenen Freitag schloß im Zürcher Theodosianum der Wiener Emigrant Henry-Vincent Nowak im 66. Altersjahr seine Augen. Der Journalist Nowak hütete die umfassende humanistische Bildung, die er im alten Österreich empfangen hatte, in den Wirren der Zeit als ein köstliches Gut. […]  sein vollendetes Emigrantenschicksal weist die Wundmale der tragischen Zeit auf, und sein lebhafter Geist konnte sich in der Entwurzelung nicht so entfalten, wie es seinem Bildungsgang in der alten Donaumonarchie vor 1914 bestimmt schien.

Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Wilfried Ihrig hat nun mit Wien Zürich. Ausgewählte Feuilletons eine umfangreiche Auswahl der journalistischen Arbeiten Nowaks vorgelegt. Bereits 1984 hatte er gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler und ehemaligen Leiter des Literarischen Colloquiums Berlin Ulrich Janetzki unter dem Titel Die Sonnenseuche: Das gesamte Werk 1912-1920 (Medusa Verlag) das schmale literarische Schaffen Nowaks vorgestellt. Ihrig hatte damals noch Kontakt mit der Witwe Hedwig Nowak, die ihm für die Zeit nach ihrem Ableben die Rechte am Werk Heinrich Nowaks vermacht hatte. Von ihr hatte er noch erfahren, dass Nowak – vor allem im Exil – unter verschiedenen Namen (Henry Vincent Nowak, Koloman H. Dormin und Cyrill V. Janis) Artikel veröffentlicht hatte. Außerdem benutze er Kürzel wie „H. V. N.“ oder „H. N.“. Weiterhin gab es zahlreiche anonyme Texte, die Nowak mit seinen Initialen chiffrierte.

Ihrig hat nun in mühevoller Arbeit ein Großteil der in Frage kommenden Zeitschriften und Zeitungen nach Nowak-Artikeln durchforstet. Nicht immer ließ sich dabei abschließend klären, ob jeder unter diesen Kürzeln publizierte Text von Nowak tatsächlich verfasst wurde. Trotzdem ging Ihrig dabei das Risiko ein, dass er vielleicht einzelne Texte irrtümlich Nowak zugeschrieben hat. Aber die Edition stand für ihn im Vordergrund. Zu den anonymen und chiffrierten Texten finden sich in seinen Anmerkungen ausführliche Hinweise zu Nowaks jahrelang geübter Technik des Monogrammierens.

Der Auswahlband präsentiert rund 150 Texte, wobei die Artikel aus Nowaks Wiener Zeit überwiegen. Die Palette reicht von literarischen Beiträgen (u.a. Rezensionen) – z.B. über Albert Ehrenstein, Theodor Däubler, Upton Sinclair, T.S. Eliot, Evelyn Waugh oder Gottfried Benn – über andere Künstler (Tilla Durieux, Emil Jannings oder Zarah Leander), über Ausstellungen, Wiener Kaffeehäuser, Theateraufführungen bis zur Heimkehr österreichischer Kriegsgefangener aus Russland oder zu Gedanken über den tschechischen Reformator Jan Hus. Mit Heinrich Mann und dem italienischen Nobelpreisträger Luigi Pirandello führte Nowak Gespräche kurz vor der Premiere ihrer neuen Theaterstücke; imaginäre Interviews dagegen mit André Maulraux, Christian Dior oder Paul Eluard. 

In seinen Texten zeigt sich Nowak als ein kritischer Journalist. Er war jedoch kein Leitartikler, äußerte sich aber auch nach Hitlers Machtübernahme mutig zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Texte wie Die andere Seite, Die Aktion gegen die getarnte Nazi-Presse oder Bücherverbrennung an der Heidelberger Universität polemisierten eindeutig gegen das nationalsozialistische Deutschland. Trotz Nowaks virtuoser Anonymität ein lebensgefährliches Unterfangen. In seinem Nachwort beleuchtet der Herausgeber Ihrig diese „private Überlebensstrategie“ Nowaks detaillierter. Eine mehrseitige Vita ergänzt diese verdienstvolle Neuerscheinung.

Die Reihe VERSENSPORN – Heft für lyrische Reize präsentiert mit ihrem gerade erschienenen Heft 46 alle bislang bekannten Gedichte Heinrich Nowaks. Sein einziger Gedichtband Die tragische Gebärde wird vollständig abgedruckt, ergänzt durch einige Gedichte, die nur verstreut in verschiedenen Zeitschriften publiziert wurden. Teilweise sind es frühexpressionistische Sonette der Großstadtlyrik mit ihrer Bildlichkeit der menschenfeindlichen Darstellung.

Die Straße

Grell frißt die Sonne einen Tramwaywagen.
Ein Mann steigt aus und hängt an einem Fuß.
Ein Auto tutet ohne Überdruß.
Ein heller Helm will alles überragen.

Ein Fensterflügel fällt von einem Haus.
Den Eckstein will ein Hund um Liebe fragen.
Ein Radler stürzt und bricht sich fast den Kragen.
Ein junger Lump ruft Extrablätter aus.

Vier schwarze Pferde schleppen ein Gefährte;
Ein Trauermarsch fliegt gelb aus den Trompeten –
Dahinter wackeln ein paar graue Bärte.

Ein weißer Handschuh hemmt die Wagenzüge.
Ein Dienstmann blinzelt scheu und ganz betreten.
Ein Gaul verscheucht schweifwedelnd eine Fliege.

Obwohl der Gedichtband ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschien, in dem viele junge Expressionisten ihr Leben auf den europäischen Schlachtfeldern ließen, sind einige Gedichte (Der Krieg, Der Verwundete) eine Vorahnung von den künftigen Gräueln des Krieges.

Die Luft trinkt Knattern von Maschinengewehren.
Von da und dort steigt dünner weißer Rauch,
Soldaten liegen langhin auf dem Bauch,
Ein Aeroplan will ihre Ruhe stören.

Ein totes Pferd streckt seine Beine aus,
Als wollte es den Himmel von sich wehren.
Eine Granate will den Lärm vermehren;
Rot lodernd brennt ein totgeschoßnes Haus.
[…] 

Abgerundet wird das Heft durch eine kompakte Biografie auf der Coverrückseite.

Titelbild

Heinrich Nowak: Wien – Zürich. Ausgewählte Feuilletons.
Hg. von Wilfried Ihrig.
epubli Verlag, Berlin 2021.
452 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783754101537

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Titelbild

Heinrich Nowak: Versensporn – Heft für lyrische Reize. Nr. 46: Heinrich Nowak.
Edition Poesie schmeckt gut, Jena 2021.
32 Seiten, 4 EUR.

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