Rache, Recht und Batman
Fabian Bernhardt entdeckt in „Rache“ einen blinden Fleck der Moderne
Von Franz Sz. Horváth
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePhilosophische Dissertationen werden selten zu Verkaufsschlagern und erscheinen daher zumeist in Nischenverlagen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn nur allzu oft handelt es sich bei ihnen um die zigste Platon-, Kant- oder Heideggerexegese. Fabian Bernhardts Arbeit über die Rache, die er „einen blinden Fleck der Moderne“ nennt, gehört zweifellos nicht in diese Gruppe von Dissertationen. Dem Autor gelang es schließlich nicht nur, ein von den Philosophen tatsächlich vernachlässigtes Terrain zu entdecken, sondern auch, seine Dissertation im angesehenen Verlag Matthes & Seitz zu publizieren.
Bernhardts pränormatives Interesse gilt dem Phänomen der Rache in seiner historischen und begriffsgeschichtlichen Genese, seiner ethnologisch und kulturanthropologisch fundierten Ausprägung und seinen Darstellungsformen im Bereich des Imaginären. Diesen Schwerpunkten entsprechend gliedert er sein Werk nach einer ausführlichen „Exposition“ in drei Hauptteile, wobei die ersten beiden den theoretischen Zugriff bieten, während der letzte Teil Deutungen moderner Rachephantasien beinhaltet.
Inwiefern ist die Rache aber als ein blinder Fleck der Moderne anzusehen? Worin liegt die Relevanz einer philosophischen und kulturhistorischen Beschäftigung mit dem Phänomen? Und was macht das Wesen der Rache aus? Bernhardt konstatiert eine große Ignoranz der Philosophie in Bezug auf die Rache, die er darauf zurückführt, dass die Rache in der Moderne, d.h. seit der Etablierung von (Rechts-) Staaten mit einer Zentralinstanz und Gewaltmonopol, dasjenige ist, „was nicht sein soll“ (8). Rache und Recht hätten sich auseinanderentwickelt, die Geschichte der Rache sei somit die Geschichte ihrer Abspaltung von der Strafe und dem Strafsystem. Die Konsequenz: zwar verspürten viele Menschen im Westen klammheimlich Schadenfreude und Rachegefühle, denn sie sind verdrängt, aber nicht ausgestorben, doch sei deren Ausleben allenfalls in der Phantasie erlaubt. Die großen Erzählungen der Moderne bzw. Gegenwart marginalisierten Helden, das Militär, die Gewalt und die Rache, doch biete die Populärkultur in ihren Medien eine Reihe von Helden, die sich stets auf Rachefeldzügen befänden (der Graf von Monte Christo, Superman, Batman u.a.). Diese Darstellungen haben unsere Wahrnehmung der Rache als etwas uns Fremdes und als das Andere geprägt, das gewalttätig, widerrechtlich und maßlos sei. Sie trete dabei häufig als unmoralisch, jedoch selten als ungerechtfertigt bzw. ungerecht auf.
Im analytischen Kapitel bestimmt Bernhardt die Rache etymologisch und vom Bedeutungsumfeld her. Er zeigt, dass die Bedeutungsebenen der Begriffe „Rache“, „Strafe“ und „Vergeltung“ eng beisammen liegen und ihnen eine Logik des Ausgleichs sowie ein Prinzip der Gegenseitigkeit zugrunde liege. Stets gehe es um eine Leistung und Gegenleistung, ein Geben und ein Nehmen, auch wenn der Begriff „Vergeltung“ einen größeren Bedeutungsumfang besitzt als „Rache“. Allerdings sei die positive Bedeutungsrichtung von „vergelten“ mittlerweile weitgehend vergessen. (Seltsamerweise entging dem Autor der Ausdruck „Vergelt`s Gott!“, der zumindest regional und generationsspezifisch immer noch gebraucht wird).
Wichtig seien für die Bestimmung der Rache mithin der Aspekt der „Relation“, der „auf der Polarität von Handeln und Erleiden gründet“ und die zeitliche Struktur, denn sie bedeute immer Vergangenes (die erlittene Tat), Gegenwärtiges (der Rachewunsch) und Zukünftiges (die Ausführung des Wunsches). Unversöhnlichkeit, die eigene tiefe (physische und psychische) Verletzung, die mit Scham und Zorn einhergehen könne (hier beruft sich Bernhardt auf Sloterdijks berühmtes „Zorn und Zeit“), die lebendige Erinnerung, aber auch die Selbstermächtigung des Individuums, das sich berufen fühle, den Racheakt auszuführen, seien weitere Kennzeichen einer Rache, so Bernhardt.
Im zweiten Teil seiner Arbeit unternimmt Bernhardt den Versuch, eine „Kulturtheorie der Rache“ zu schreiben, indem er die Rache aus ethnologischer Perspektive untersucht. Dabei konzentriert er sich auf das von Ethnologen unterschiedlich gedeutete Phänomen der „Gabe und Gegengabe“. Die Rache erscheine aus dieser Perspektive, die das Denken in traditionellen Gesellschaften in den Mittelpunkt rückt, als ein komplexes Beziehungsgeflecht, das nichts mit den im westlichen Denken geläufigen Vorstellungen von „Blutrache“, ungezügelter Aggressivität, Roheit und Primitivität zu tun habe. Das Konzept, Rache als „Gabe“ und „Gegengabe“ aufzufassen, verdeutliche vielmehr eine symbolische Logik. Im Hintergrund dieser Logik verortet Fabian Bernhardt die „Idee des Ausgleichs“, also den Gedanken, dass die soziale, rechtliche oder kosmische Ordnung erst wiederhergestellt sei, wenn einem Übeltäter ein ungefähr gleich großes Leid zugefügt werde. Die Rache sei demnach auch in Gesellschaften ohne eine Zentralinstanz und ohne das Gewaltmonopol des Staates keine individuelle Affekthandlung, sondern eingebettet in ein wohl austariertes System von Diskursen, Verhandlungen und Austauschbeziehungen. Diese wiesen durchaus eine ökonomische Logik auf, doch würde es zu kurz greifen, die Rache nur auf eine solche reduzieren zu wollen. Es gehe vielmehr um (gegenseitige) Anerkennung, um persönliche Beziehungen und die Bereiche der Öffentlichkeit und Kollektivität, so dass eben nicht eine „Entfesselung schierer Gewalt“ angestrebt werde, sondern eine Art „rächende Gerechtigkeit“ (178). Letztlich entpuppe sich diese Art der Rache als ein ausgeklügeltes System der Gewaltregulierung und als eine „schiedsrichterliche Gerechtigkeit“ (197).
Im dritten Teil seiner Arbeit umreißt Bernhardt zuerst die Bedeutung des Begriffes des „Imaginären“, das als Vorstellung und als Gegenteil der „Realität“ nur ungenügend bestimmt sei. Man müsse das Wort viel eher als einen Sammel- und Brückenbegriff verstehen, den man auf alle möglichen Erzählungen von Rachephantasien anwenden könne. Wichtig und erhellend sind in diesem dritten Kapitel zwei Aspekte: Zum einen betont Bernhardt mehrfach, dass es zwischen dem Imaginären und der Realität vielfältige Übergänge in beide Richtungen gibt. So werden nicht nur reale Vorkommnisse und Rachegeschichten verfilmt (Stichwort Marianne Bachmeier), sondern auch sorgfältig konstruierte und komponierte Fiktionen (Superman, Batman) greifen mitunter in unsere Realität ein. Als Beispiele hierfür wird auf Rollenübernahmen und Nachahmungen von Superman durch Fans hingewiesen oder auf ein Massaker in einem US-Amerikanischen Kino, bei dem ein Amokläufer sich wie Batman kostümierte. (Schauderhafte Aktualität bekommt diese Überlappung von Realität und Imaginärem während der Erstellung dieser Rezension: Über einen 16-jährigen Berliner, der in seinem antisemitischen Wahn einen Juden krankenhausreif schlug, stellte sich soeben heraus, dass er in einem gerade anlaufenden Spielfilm jemanden spielt, der einen Juden mobbt und schlägt).
Zum anderen deutet Bernhardt in diesem Abschnitt seiner Darstellung vier berühmte Racheerzählungen des Westens: die des Achilles, des Odysseus, des Grafen von Monte Christo und von Batman. Sie veranschaulichen für ihn die paradigmatische Verdunkelung des Phänomens der „Rache“ im westlichen Denken im Laufe der Jahrtausende. Achilles etwa habe seine Rache an Agamemnon und an Hektor noch als einen Akt der Offenheit, als etwas Unverborgenes vollbracht, wobei seine Identität stets bekannt war. Achilles sei demnach eine „solare“ Gestalt des Glanzes und des Lichts. Odysseus` stabile Identität sei dagegen durch die Macht des Vergessens bedroht gewesen. Er habe seine Rache im Geheimen vorbereiten müssen, sich jedoch im entscheidenden Moment zu erkennen gegeben. Eine rationale Planung, Berechenbarkeit und der instrumentelle Charakter seines Zorns zeichneten seine Rache aus. Im Falle des Grafen von Monte Christo verweist Bernhardt auf die Bedeutung der zeitlichen Struktur, der vielfachen und maskierten Identität (Verkleidungen, wechselnde Namen). Doch bleibe ein entscheidender Aspekt der Rache bestehen: der Graf gebe sich zuletzt stets zu erkennen, so dass der Bezug zwischen dem Rächer und Opfer existiere. Diesen Aspekt könne man bei Batman nicht mehr finden: als „lunare“ Gestalt sei er eine Figur der Nacht mit doppelter Identität, wobei die Maske nur als scheinbare Verkleidung anzusehen sei. Bei Batman handele es um eine gespaltene Identität und das Paradoxe an ihm sei, dass er sich zwar ursprünglich an seinen Eltern habe rächen wollen, jedoch letztlich einen Kampf gegen alle Verbrecher führe. Da er zudem stets schnell an den jeweiligen Orten erscheine und immer maskiert sei, werde er nicht erkannt und somit fehle der entscheidende Bezugsaspekt der Rache, wonach eben das Opfer sich als neuer Täter zu erkennen gibt und den Charakter seiner Tat als Vergeltung offenbart.
Fabian Bernhardts Dissertation besticht nicht nur durch seinen Gedankenreichtum und überraschende Einsichten in das untersuchte Phänomen, sondern lädt den Leser zum Weiterdenken ein. Seine Überlegungen deuten unzählige Aspekte der Rache an, so dass manche notgedrungen unterbelichtet bleiben. Der Leser läse etwa gerne mehr über die sonderbare Zwischenstellung der Rache zwischen den Affekten und der Vernunft, die in den Ausführungen mehrfach erwähnt wird, jedoch insgesamt unbestimmt bleibt. Die Analysen der ersten beiden Kapitel überzeugen durch ihre Luzidität und die vielfachen Perspektivenwechsel, doch sind sie wiederholt auch (z.B. 70-75) redundant und dadurch ermüdend. Besonders spannend stellt sich die ethnologische Perspektive dar, die eine seltene Verzahnung mit kulturphilosophischen Überlegungen bietet. Ebenfalls rar sind in philosophischen Analysen Bezugnahmen auf Erzeugnisse der Populärkultur, weshalb der letzte Teil sehr erfrischend ist. Die Sloterdijksche Vorliebe für Begriffsprägungen scheint dem Autor zweifellos imponiert zu haben, darauf deuten mehrere Termini hin (102, 302).
Dass der Philosoph meint, er habe „sich“ mit dieser Arbeit promoviert (Klappentext), mag zwar mit einer Art „Selbstermächtigung“ im Einklang stehen, um einen Modebegriff zu benutzen, und mag mittlerweile sogar von der Redaktion des Duden abgesegnet sein: für den Rezensenten klingt eine solche selbstreferentielle Aussage anmaßend. Trotz dieser Anmerkungen gilt es festzuhalten, dass es sich bei Fabian Bernhardts (außerordentlich gut lesbarer) Arbeit um eine uneingeschränkt empfehlenswerte, ideen- und gedankenreiche Darstellung des Phänomens der Rache handelt, die allen philosophisch und kulturhistorisch Interessierten nahegelegt werden muss.
|
||