Softporno mit Kinderteller

Woran der neu aufgelegte Roman „Schwarzrock“ von Brian Moore scheitert

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Und vor Laforgues entsetztem Blick hackten sie das Kind mit Äxten in Stücke und warfen die blutigen Teile in einen Kochkessel.

Nach eigenen Angaben im Vorwort stützt sich Brian Moore für seinen Roman Schwarzrock unter anderem auf zwei Quellen: The Jesuits in North America in the Seventeenth Century von Francis Parkman (1823 bis 1893), sowie die Relationes, ein Bericht der missionierenden Jesuiten an ihre Oberen in Frankreich aus dem 17. Jahrhundert. Diesen Quellen scheint der Autor absolut zu vertrauen, wie ein Zitat belegt: 

Ihre Briefe, die einzigen wirklichen Berichte über die frühen Indianer Nordamerikas, machen uns mit einem Volk bekannt, das mit den ‚Rothäuten‘ aus Literatur und Folklore wenig Ähnlichkeit hat.

Wir können nicht beurteilen, wie diese Quellen von der aktuellen Forschung bewertet werden. Ein Hinweis sei dennoch gestattet. Die Fragestellung der Untersuchung des Historikers Wilbur R. Jacobs (1918 bis 1998) mit dem Titel Francis Parkman, Historian as Hero wird wie folgt vorgestellt:

His narrative style, while popular with readers wanting a ‚good story‘, has raised many questions with professional historians. Was Parkman writing history or historical fiction?

Der Roman von Brian Moore ist im Original 1985 unter dem Titel Black Robe erschienen, die deutsche Übersetzung stammt aus dem Jahr 1987; im vergangenen Jahr hat der Diogenes-Verlag das Buch, versehen mit einem aktuellen Nachwort von Julian Barnes, neu aufgelegt.

Erzählt wird die Flussfahrt des Jesuitenpaters Paul Laforgue zu einer Missionsstation im heutigen Kanada, deren Leiter erkrankt sein soll. Dabei ist Laforgue auf die Hilfe einheimischer Indianer vom Stamme der Algonkin angewiesen. Zeitlich spielt die Handlung etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Erzählt wird im Stile eines Abenteuerromans: feindliche Indianerstämme bedrohen die Expedition ebenso wie ein früher Wintereinbruch.

Nach eigenen Angaben im Vorwort möchte Moore schildern, „welch einzigartige und ergreifende Tragödie sich zugetragen haben muss, als der Indianerglaube an eine Welt der Nacht und die Macht der Träume mit der jesuitischen Verkündigung des Christentums und eines Paradieses nach dem Tod zusammenprallte.“

Moore schildert die Ereignisse als allwissender Erzähler. Er weiß nicht nur, wie und was die Missionare denken und fühlen, sondern ist auch mit dem Innenleben der ‚Wilden‘, wie die Indianer im Roman genannt werden, vertraut. Diese wiederum tauschen ihre Meinungen und Ansichten in ausführlichen Dialogen aus; sprachlich unterscheiden sie sich dabei kaum von den französischstämmigen Missionaren. Allerdings sind ihre Ausführungen gespickt mit „unflätigen Ausdrücken“, die, nach Angaben des Autors in der Einleitung, kennzeichnend sind für ihre Sprache. Das liest sich dann wie folgt: „‘Du große Bärenscheiße!‘, schrie er. ‚Ich dachte, ich hätte einen Elch gesehen, und nun ist es nur der verfotzte Nicanis.‘“ Uns erinnert der Versuch des Autors, die „an unflätigen Ausdrücken oft überreiche(n) Sprache der ‚Wilden‘“ zu imitieren, eher an den harmlos-deftigen Dialekt der Nordfranzosen in der französischen Komödie Willkommen bei den Sch’tis.

Moore erhebt den Anspruch, mit seinem Roman ein authentisches Bild vom Leben der Ureinwohner zu zeichnen. Nein, nicht alle Stämme töten kleine Kinder, um deren Fleisch anschließend halb roh zu essen; dennoch verweist unser Eingangszitat auf das zentrale Problem des Romans. Er spielt um die Mitte des 17. Jahrhunderts, und man darf wohl davon ausgehen, dass die herangezogenen Quellen dem damaligen Zeitgeist unterworfen sind. Mit moderner wissenschaftlicher Anthropologie, so können wir mit Gründen vermuten, siehe die Frage von Wilburg R. Jacobs „Was Parkman writing history or historical fiction?“, haben die Schilderungen Moores kaum etwas zu tun.

Moore beschreibe „die krassen Unterschiede wie auch die verstörenden Parallelen zwischen den beiden Kulturen mit meisterhafter Ausgewogenheit; Moore ergreift höchstens andeutungsweise Partei für die Wilden“,so Julian Barnes in seinem Nachwort. Der Roman, so der Tenor von Barnes, sei glaubwürdig in seinem Anspruch, uns als Leser quasi zu Zeugen der damaligen Lebensumstände sowohl der europäisch stämmigen Missionare als auch der Ureinwohner zu machen. Nochmals Barnes: „Die Wilden sind ausgiebig und unbeschwert obszön; Völlerei ist für sie das höchste Glück; sie sind sexuell entspannt […].“ Völlerei zählt zu den sieben Todsünden; nach unserem Wissen meint der Begriff eine allgemeine Maßlosigkeit auf Basis einer vorhandenen Überfülle. Von einer solchen kann im Kanada des 17. Jahrhunderts unter den Ureinwohnern nicht die Rede sein.

Wohl aber wird gevögelt und gewichst. Und zwar nicht nur von den Eingeborenen, sondern auch von Daniel, dem jungen Liebhaber der Häuptlingstochter, und dem Spanner Laforgue, der das Liebespaar beobachtet und seinem eigenen Sexualtrieb Tribut zollen muss. Eine kleine Kostprobe: „Er schob ihre Jacke hoch, und seine Zunge berührte ihre Brüste. Sie fühlte ihre Brustwarzen steif werden. Sie wollte jetzt gerne mit ihm vögeln, aber zuerst musste sie ihn etwas fragen.“ Natürlich darf Sexualität in all ihren Formen geschildert werden; wenn Moore sich darin versucht, dann allerdings eher nach dem Motto ‚Sex sells‘ im Stile eines Softpornos.

Der feindliche Indianerstamm, in dessen Hände Laforgue und seine Begleiter gefallen sind, quält die Gefangenen mit sadistischer Lust. Die entsprechenden Handlungen beschreibt Moore ausführlich und mit großer Lust am Detail. Wozu tut er das? Nach eigenen Angaben im Vorwort von 1985, und nochmals beglaubigt im Nachwort von Julian Barnes aus dem Jahr 2020, um der Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Geschilderten willen. Nach unsererAnsicht bedient er damit lediglich eine pornographische Lust an der Darstellung sadistischer Handlungen.

Wozu Menschen in grenzenloser Raserei fähig sind, hat kaum ein literarisches Werk besser vorgeführt als Heinrich von Kleists Novelle Das Erdbeben in Chili, wobei der Autor nicht davor zurückschreckt, seine Leser mit Szenen unmenschlicher Gewalt zu konfrontieren:

Doch Meister Pedrillo ruhte nicht eher, als bis er der Kinder eines, im Kreise bei den Beinen von seiner Brust gerissen, und, hochher im Kreise geschwungen, an eines Kirchenpfeilers Ecke zerschmettert hatte.

Kleist bettet diese Schlussszene seines Textes allerdings ein in ein literarisches Konstrukt höchster Güte; die Gewalt, die er schildert, ist der End- und Höhepunkt einer Raserei religiösen Ursprungs. Er zeigt uns, zu welchen Taten der Mensch in der Lage ist und wie verletzlich der Schutz ist, den unsere zivilisatorische Decke uns zu bieten scheint.

Moore hingegen schildert die Indianer als unberechenbare Wilde, die einzig von ihren Trieben geleitet werden. Die Novelle von Kleist bleibt nach über 200 Jahren ein so verstörendes wie aktuelles Kunstwerk; der Roman von Moore hingegen erscheint uns in vielerlei Hinsicht als ein fragwürdiges Machwerk.

Titelbild

Brian Moore: Schwarzrock.
Aus dem Englischen von Otto Bayer.
Diogenes Verlag, Zürich 2020.
285 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257071450

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