Musikalisches Sinnbild einer besseren Welt

50 Jahre „Imagine“

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Vor fünfzig Jahren, am 11. Oktober 1971, veröffentlichte John Lennon mit Imagine seinen zeitlosen Song über den Traum von einer besseren Welt. Es sollte der wohl wichtigste und berühmteste Song werden, den er je geschrieben und komponiert hatte. Der heutige Pop-Klassiker war eine Singleauskopplung aus dem gleichnamigen Album, das in den USA bereits Anfang September erschienen war. Kein anderes Lennon-Album hatte so große Resonanz und so viele Diskussionen ausgelöst wie Imagine. In Deutschland kam die Platte am 8. Oktober, einen Tag vor John Lennons 31. Geburtstag, heraus.

Der Song fordert die HörerInnen auf, sich eine Welt in Frieden ohne Grenzen und in Eintracht vorzustellen, ohne die Trennung von Religion und Nationalität und sogar die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ohne materielle Besitztümer zu leben. Mit Imagine beschwor John Lennon seine Vision einer Welt ohne Krieg und Ausbeutung. „Imagine all the people / Livin’ life in peace“ heißt es darin und so wurde der Song als bewegende Friedenshymne, als Statement gegen den Vietnamkrieg gewertet. Mit dieser Botschaft hat Lennon einen der größten Klassiker der Popgeschichte geschaffen. Noch heute denken wir an Frieden, wenn wir Imagine hören. Mit seiner wehmütigen Melodie, Lennons warmer und verletzlicher Stimme und dem weichen Sound ist Imagine aber auch ein Song des Trostes und der Liebe, der über persönliche Verzweiflung hinweghilft.

In nicht einmal drei Stunden entstand der Song im Musikzimmer von Lennons Anwesen Tittenhurst Park. Im Laufe von sieben Tagen wurde der Titel dann auf Tittenhurst Park aufgenommen, mit zusätzlichen Sessions im Record Plant in New York. Außer Lennon sind nur der deutsche Bassist Klaus Voormann und der Schlagzeuger Alan White mit von der Partie. Später fügte der Produzent Phil Spector noch ein paar zarte Streicher hinzu. Mehr nicht. (Zur Geschichte des Songs gehört aber auch, dass Spector seit 2009 wegen Totschlags im Gefängnis saß und dort im Januar 2021 verstarb.)

Nach der Veröffentlichung des Songs bekam Lennon neben viel Lob auch mindestens genau soviel Kritik. Ihm wurde Heuchelei vorgeworfen: der Multimillionär Lennon sitzt in seinem luxuriösen Herrenhaus vor seinem weißen Flügel und träumt davon, keine Besitztümer zu haben. Wie bei seinem Song All You Need Is Love aus dem Jahre 1967 wandelte Lennon hier auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch, Vision, Illusion und Realität.

Der Text mit seiner utopischen Grundhaltung wurde von dem Gedicht Cloud Piece von Yoko Ono, das 1964 in ihrem Buch Grapefruit erschien, stark beeinflusst. An verschiedenen Stellen heißt es auch hier: „Stell Dir dieses oder jenes vor“. Doch Lennon war damals, wie er später eingestand, „nicht Manns genug, seine Ehefrau als Co-Autorin zu erwähnen“. Eine weitere Inspirationsquelle war ein christliches Gebetbuch des amerikanischen Aktivisten und Gesellschaftskritikers Dick Gregory. Viele sahen in dem Song das musikalische Pendant zu Martin Luther Kings berühmter Rede I Have A Dream, während Lennon selbst einmal meinte, der Song sei „eigentlich das Kommunistische Manifest“. Bereits auf seinem ersten Solo-Album Plastic Ono Band (1970) hatte Lennon mit Songs wie Working Class Hero, Mother oder God solche Themen angesprochen, nur direkter und radikaler, sodass die LP kein Erfolg wurde. Imagine hatte dieselbe Botschaft, nur hatte sie Lennon hier etwas sentimental und pathetisch überzuckert („Bring deine politische Botschaft mit etwas Honig rüber“). Und der Erfolg sollte ihm Recht geben.

Imagine erreichte in zahlreichen Ländern vordere Chartplatzierungen. Nach seinem frühen Tod am 8. Dezember 1980 wurde Imagine zu „dem“ Lennon-Song und gehört zu den 100 meistgespielten Songs des 20. Jahrhunderts. Bis heute ist Imagine zeitlos und bekommt mit jedem Konflikt, jeder militärischen Auseinandersetzung, aber auch mit jeder persönlichen Verzweiflung oder Resignation immer wieder eine neue Aktualität. Fast 200 Coverversionen und massentaugliche Dauerexposition haben jedoch seine Botschaft mitunter zur Plattitüde verwässert. Auf Friedensdemos, bei Olympischen Spielen, Katastrophen oder auch in Pandemiezeiten ist Imagine nicht mehr wegzudenken. Längst gehört der Song zum musikalischen Repertoire jedes Beerdigungsinstitutes. Doch stellen wir uns vor, es würde diesen ruhigen und doch so machtvollen Song nicht geben … er müsste noch geschrieben werden.

Imagine there’s no heaven
It’s easy if you try
No hell below us
Above us only sky
Imagine all the people
Living for today… Aha-ah…

Imagine there’s no countries
It isn‘t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion, too
Imagine all the people
Living life in peace… You…

You may say I‘m a dreamer
But I‘m not the only one
I hope someday you‘ll join us
And the world will be as one

Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world… You…

You may say I‘m a dreamer
But I‘m not the only one
I hope someday you‘ll join us
And the world will live as one