Macht Liebe sprachlos?

In Bryan Washingtons Debüt-Roman „Dinge, an die wir nicht glauben“ hat es die Liebe schwer, aber immerhin glaubt man an sie – vielleicht

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mike und Ben leben seit vier Jahren zusammen und teilen sich eine kleine Wohnung in Houston, Texas. Unklar, wie sie das geschafft haben. Denn wenn sie miteinander reden sollten, schweigen sie lieber. Wenn sie aber tatsächlich miteinander sprechen, dann haben sie sich kaum etwas zu sagen. Und manchmal sind es nur ein paar Fotos, Momentaufnahmen ihrer Umgebung, die stattdessen von Smartphone zu Smartphone wandern. Trotzdem hält sie etwas zusammen. Weil sie aber zu nahe aneinander dran sind, erkennen sie nicht, was es eigentlich ist, während wir Leser*innen natürlich längst im Bilde sind über eine ziemlich anstrengende Amour fou samt diffuser Sehnsucht nach einem Zuhause und etwas, das man Familie nennen könnte, aber von dem keiner der beiden so richtig weiß, wie das eine oder das andere idealerweise aussähe. Dass es eine schwule Liebe ist, ist nicht der Grund, weshalb zwischen Mike, dem Koch, und Ben, dem Kindergärtner, alles irgendwie „verrückt“ ist. Dafür sorgt eher das Leben um sie herum. Im Gegenteil, ihr Schwulsein scheint das einzig Straighte an der Geschichte zu sein.

Dem Erfolg des Romans tut all diese Alltagswirrnis, diese ewige Unentschiedenheit freilich keinen Abbruch. Offenbar trifft er mental einen Nerv unserer Zeit. In den USA, so ist zu vernehmen, rangiert er als Bestseller und liefert den Stoff für eine TV-Serie, die gerade im Entstehen begriffen ist. Schwule Romane, die als wirklich gute Literatur auf den Markt kommen, scheinen im Moment Konjunktur zu haben. Auffällig dabei und ebenso erfreulich, dass ihre Autoren Schwarz beziehungsweise People of Color sind. Ich denke hier an Brandon Taylors Roman Real Life und insbesondere an Ocean Vuongs wirklich großartige Autofiktion Auf Erden sind wir kurz grandios. Jetzt also ein Roman von Bryan Washington, der in der US-amerikanischen Literaturwelt durch eine nicht weniger erfolgreiche Sammlung von Kurzgeschichten längst kein Unbekannter mehr ist.

Sein Roman besteht aus drei Teilen. Im ersten und letzten erzählt uns Ben die Geschichte aus seiner Perspektive, im Mittelteil stammen die Erzählstimme und die Wahrnehmungen von Mike. Erst aus beiden ergibt sich sozusagen ein Reim auf eine Liebesbeziehung, die Ben und Mike mitunter nur umkreisen aus Angst, sie könnten sich mit ihrer Sehnsucht verraten, sich buchstäblich dem anderen ausliefern. Dabei führt Ben Buch darüber, wie oft Mike ein „Ich liebe Dich“ wagte – genau achtmal. Während Ben es nur einmal erwidert. Überhaupt herrscht in Bens Erzählungen, diesem Meister des sprachlichen Minimalismus (was man auch Wortkargheit nennen könnte) eine kaum überbietbare Trostlosigkeit, die einen engen Bund mit Hilflosigkeit eingegangen ist. Schwer zu sagen, ob er hilflos ist, weil ihm alles irgendwie trostlos erscheint oder eher umgekehrt.

Bens häufigste Antwort ist „Ich weiß nicht“ – das ist Sprachlosigkeit, die wirklich wehtut. Weshalb ich diesem Ben gerne hin und wieder zugerufen hätte: Hey, wach endlich auf und überwinde dein Phlegma. Irgendwann fingen die beiden an, sich mit Möbeln zu bewerfen. Doch auch das klärt nichts und hält sie erstaunlicherweise zusammen. „Und das Einzige, was wir tun konnten, um die Luft zu klären, war zu vögeln. Das wurde uns zur Gewohnheit, wann immer wir gestritten hatten. Wann immer was falschlief. Als vögelten wir weg, was sich uns auf die Brust setzte.“ Das hört sich nicht nur nach einer anstrengenden Beziehungskiste an, es ist in Wahrheit noch komplizierter. Denn nicht nur zwischen den beiden, sondern auch um sie herum, in ihren Familien ist alles verdammt anstrengend und nervenaufreibend: die Eltern sind geschieden, die Mütter nicht weniger solipsistisch und besitzergreifend als die Väter, letztere noch einen Tick anspruchsvoller und kapriziöser, weil tatsächlich hilfebedürftiger.

Einmal erzählt Mike einen Witz: „Ein Japs und ein [N*] kommen in eine Kneipe.“ Weil nun nichts weiter folgt, was Ben als Pointe hätte verstehen können, entrüstet er sich, worauf Mike antwortet, das sei der Witz. Der Witz wiederum ist, dass Mike der Japaner und Ben der Afroamerikaner ist – Mike hat mal eben sie selbst zum Witz erklärt. Nur, dass es ihnen damit tatsächlich absolut ernst ist. Der Kern ihres Problems ist nämlich die offene Frage, ob es mit ihnen wirklich funktioniert. Als die Frage kommt, missversteht sie Ben sogleich als eine Art Kündigung, als ob Mike eigentlich sagen wollte, sie seien miteinander fertig.

Hör zu, sagte Mike. Wenn etwas nicht funktioniert, heißt das noch lange nicht, dass es kaputt ist. Man muss es nur reparieren wollen. Der Wunsch muss da sein. Sag, erwiderte ich. Willst du es reparieren? Ich nehme an, das versuche ich herauszufinden, sagte Mike.

Und hundert Seiten später meint Ben schließlich über die Beziehung zu Mike: „Um ehrlich zu sein […] hatte ich keinerlei Erwartungen an das hier.“

Washington schreibt, wie Menschen heute sprechen oder genauer, wie sie heute twittern. Seine Sprache ist immer ganz schnell und kommt umweglos zur Sache. Sie ist eine Art Rap, nur viel schöner, weil der Autor mehr als nur eine Tonlage beherrscht. Dialoge sind wie ein Ping-Pong und weniger ein Gespräch. Sie sind mindestens so rasant wie diese kleinen Plastikbälle beim Tischtennis. Adjektive sind im Roman so selten wie Gefühlsausbrüche. Die Sätze sind meistens kurz und von einer Nüchternheit, die das Leben als eine Aneinanderreihung von Fakten erscheinen lassen – sie lakonisch zu nennen, wäre purer Euphemismus. Liebesgeschichten kann man auf tausend verschiedene Arten erzählen, Washington fand seinen Stil, einen wohl recht zeitgeistgesättigten. Drama war scheinbar gestern, was es heute ist, wissen wir nicht so recht – ein Reparaturfall vielleicht? Oder eine Angst vor sich selbst, wie uns Ben mit seinem ewigen Zweifel zu verstehen gibt: „Wenn ich die Tür aufmachte, auch nur einen Spalt, hätte ich dann immer noch Grund, wieder reinzugehn?“ Das Buch ist zu und fast alle Fragen offen.

Titelbild

Bryan Washington: Dinge, an die wir nicht glauben.
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2021.
384 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783036958477

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