Viva la Kahlo!

Annette Seemann teilt in „Viva la Vida!“ neue Erkenntnisse zu Leben und Werk der Frida Kahlo

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Werk der 1954 verstorbenen mexikanischen Malerin Frida Kahlo war zunächst nur wenig bekannt, hat aber initiiert durch die Frauenbewegung der 1970er Jahre eine immer stärkere Rezeption in der Fachliteratur gefunden. Diese legt ihren Fokus besonders auf Kahlos Selbstbehauptung als Künstlerin und Frau in der mexikanischen Gesellschaft des „Machismo“.

Deshalb geht es in den meisten Büchern über Kahlo nicht nur um den Ausdruck ihrer körperlichen Leiden in ihrer Malerei – die Haltestange eines Busses hatte ihren Unterleib als junges Mädchen bei einem Zusammenstoß durchbohrt – ihre komplizierten Lebens- und Arbeitsverhältnisse mit ihrem gleichfalls als Maler tätigen und oftmals untreuen Ehemann Diego Rivera, sondern auch um ihre Selbstinszenierung als Kommunistin und Mexikanerin mittels indigener Trachten, Frisuren und Schmuckstücke sowie die Ausgestaltung ihres Haushaltes mit präkolumbianischen Objekten. 

Man könnte also denken, es sei bereits alles zu Frida Kahlo gesagt. Annette Seemann, die sich bereits vor fast 20 Jahren in einer Monografie mit dem Titel Frida Kahlo. ,Ich habe mich in eine Heilige verwandelt‘ intensiv mit ihr beschäftigt hat, konnte aber nun durch die Öffnung von Kahlos lange verschlossenem Privatarchiv einen neuen Blick auf die Künstlerin und die Strategien der Selbstdarstellung in ihrem Werk werfen.

Seemann beschränkt sich nicht darauf, Kahlos bereits bekannte Lebensstationen nachzuerzählen, sondern legt ihren Fokus vor allem darauf, den Wurzeln ihrer Kunst in der katholischen Volksfrömmigkeit Mexikos nachzuspüren. Hierbei kann sie schlüssig auf kleinformatige ex voto-Bilder in naiver Malweise als Vorbilder für die Erschließung neuer Gegenstands- und Themenbereiche durch Kahlo verweisen, die mit der Darstellung des nackten weiblichen Körpers – beispielsweise nach ihrer Fehlgeburt – gezielte Tabubrüche beging. Diese können auch als Vorwürfe an die Adresse ihres Mannes verstanden werden.

Christliche Symbolik durchzieht darüber hinaus viele Darstellungsbereiche von Kahlos Kunst, insbesondere ihre Stillleben und Selbstporträts. Oft handelt es sich hierbei um Leidenssymbole, namentlich der Dornenkrone um ihren Hals auf einem ihrer Bildnisse, mit der sie sich sogar mit Christus gleichsetzt. Hinzu kommen Versatzstücke der präkolumbianischen Religionen, die sie in ihre Darstellungen integrierte; genannt sei ihr Selbstbildnis mit der indianischen Amme, die eine präkolumbianische Maske vor dem Gesicht trägt. Dieses Motiv nahm sie in einem weiteren Werk wieder auf, wobei sie ihren Mann Diego an ihrer Stelle in das Gemälde einfügt, das gleichzeitig als Darstellung der Madonna mit ihrem Kind gelesen werden kann. Zuletzt verband sie in der Motivik ihrer Gemälde sogar ihre kommunistische Weltanschauung mit christlichem Gedankengut. 

In ihrer radikalen Selbstbezogenheit hat Kahlo künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten auf ungeahnte Weise erweitert und in ihren Gemälden stets darauf verwiesen, dass Leben und Leiden zwei Seiten einer Medaille der menschlichen Existenz sind, die untrennbar miteinander verbunden sind. Seemann ist es gelungen, das Bild Kahlos um viele bisher unbekannte Facetten zu erweitern und auf diese Weise lebendiger und farbenfroher zu gestalten.

Titelbild

Annette Seemann: Viva la Vida! Frida Kahlo.
ebersbach & simon, Berlin 2021.
144 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869152493

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