Die Zerbrechlichkeit der Welt

Bernd Storz dichtet in „Sommergespräche“ über Sehnsüchte und Erinnerungen

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Künstlerische Arbeiten hat Bernd Storz lyrisch begleitet und oft seine eigene, feinnervige, auch gefühlvolle Dichtkunst entstehenden Werken hinzugesellt. Darüber hinaus hat er die alten Meister betrachtet, bedacht, sich von Gemälden inspirieren und anregen lassen. Auch die Familiengeschichte ist behutsam, schwermütig und gedankenvoll eingezeichnet in die Lyrik, die der Ravensburger Poet nun in einem Band gesammelt vorgelegt hat.

Storz sinniert über Landschaften, etwa über die „Kulisse des Waldrands“, die der Betrachter, das lyrische, das andere Ich sich nachdenklich wie mit einem Weitwinkelobjektiv vergegenwärtigt. Das Panorama, das sich bietet, lässt sich in „Morgenzeichnungen“ vorläufig verewigen, aber nicht festhalten. Wenn der Blick sich weitet, treten, so scheint es, Erinnerungsmomente auf, die nicht konkret benannt werden, aber als „gestohlene Zeit“ firmieren. Doch diese verschwiegenen Episoden aus dem Leben erscheinen wie relativiert, aber sie verschwinden nicht. Der Dichter wandert durch den Schwarzwald, besucht Städte und erkundet die Landschaft der eigenen Erinnerungen, mit skeptischem Gemüt. Er beobachtet aufmerksam und staunend, notiert lyrisch, was er sieht und wer seine Wege kreuzt. Eine Beobachtung aus Freiburg schildert er:

Als sei sie zur Königin befördert worden
schiebt die junge Mutter ihre Zwillinge
über Kastanienblütenplätze.

Diskret feiert der Dichter das Leben, die „kleinen Glückinseln“ und vergisst weder die Schönheit noch die Zerbrechlichkeit des Guten, die wir erfahren dürfen. Zugleich denkt er an den Krieg zurück, den er selbst nur aus den Geschichten seiner Vorfahren kennt, und an die Ruinenlandschaften der verwüsteten Städte:

Die Altstadt:
ausradiert
aufgebaut
unzerstört
noch immer.

Das Leben regt sich neu, auch unter Trümmern. Etwas, das wesentlich ist, bleibt, auch wenn die Verwüstungen nicht vergessen werden. Eine neue Königin, wie die Mutter mit den Zwillingen, schenkt Freude. Das Gedicht hätte auch Janusz Korczak sehr gefallen, dem Bernd Storz ein ehrendes Andenken schenkt. Der Pädagoge begleitete die „Entwurzelten“ bekanntlich nach Treblinka, verließ die Kinder auch nicht in der Dunkelheit und teilte mit ihnen, wie Storz dichtet, „den Atem / den Tod“. Bis heute lässt sich von Korczak und seinen Schriften mehr lernen als von den meisten Philosophen in Geschichte und Gegenwart.

Bernd Storz memoriert dunkle Stunden, aber auch lichtreiche Sommertage. Das Licht öffne die Farben, sicher das Licht von droben, doch vergessen werden sollte nicht, dass auch Menschen, die die Wege kreuzen, lichtreich anmuten können, durch ihre schwebenden Schritte, eine sanfte Begegnung, ein gütiges, versonnenes Lächeln, das die Gemüter mehr aufzuhellen weiß als jeder Sonnentag. Doch triste Begebenheiten scheinen bisweilen die Erinnerungen zu überlagern, das Gute zu verdecken. So bleibt schon die „Kinderseele“ dann „wie aufgebahrt“ im Gedächtnis, begleitet von einer spröden, nicht unwahren, aber doch bitteren Sentenz:

Das Leben ist dazu da, dass man es meistert
sagt Oma.

Verbirgt sich in dem Ausspruch eine tiefe Einsicht? Niemand muss müssen, auch das Leben muss nicht gemeistert, manchmal bloß ausgehalten werden, vielleicht von der ständigen Hoffnung begleitet, dass etwas beglückend Schönes sich wie zufällig zeigt oder zeigen könnte, so dass das Leben nicht bloß weltlich „gemeistert“ werden muss – was resigniert, moralisch und einfach traurig klingt. Das Leben darf gelebt, geliebt werden.

Von endlosem Trübsinn spricht auch das Prosastück Vergangenheit: „Es gab fast nichts, über das man gesprochen hätte.“ Die Schatten des Krieges sind allgegenwärtig. Nur einige Erinnerungen blitzen auf, an Kriegsgefangenschaft und Bomben, die vom Himmel fallen. Von einem Onkel wird gesprochen, „der nie zu Besuch kommt, weil er in Stalingrad geblieben ist“.

Die Malerei bietet eine Form anspruchsvoller Ablenkung. Monet und Chagall etwa laden ein zum staunenden Betrachten, über Lichtwechsel, über Erfahrungen mit der Kunst: „Kein Bild wird vollendet.“ Es wächst und ändert sich im Auge des Betrachters, wahrt die ihm eigene Offenheit. Der Dichter sträubt sich beharrlich gegen den „verordneten Optimismus“. Er mag nicht zwangsweise positiv denken. Das ist verständlich, aber genügt das? Eine verborgene Gefahr scheint auf, nämlich in der Dunkelheit zu versinken und andere mit hineinzuziehen. Was schützt vor dem Abgrund der Traurigkeit? Einen Hoffnungsschimmer vermittelt dieses Gedicht:

Ich habe Dich schon immer gesucht:
an Tanzabenden und an Seen
Jahr um Jahr im Licht des Julis
und in der Dezemberkälte.
Suchte diese Augen, Deine Augen
in den sortierten Gesichtern
in den bunten Sammlungen
der Fußgängerzonen
in denen ich mich nicht erkannte.

Ob dieses lyrische Ich fündig geworden ist, verrät es nicht. Doch die Suche nach dem einen Du, das, ob wissentlich oder nicht, den Unterschied ausmacht, andere Augen hat, andere Augenblicke schenkt als die „sortierten Gesichter“, erklingt wie eine gewisse Melodie, lebensbegleitend, sehnsüchtig nach dem Du also, durch welches das lyrische Ich zu sich selbst findet. Storz dichtet unsentimental davon. Dieses Gedicht hellt die Szenerie auf – anders als viele andere Dichtungen in diesem Band – und zeigt eine freundliche, farbige Welt der Erinnerungen, Sehnsüchte und Träume.

Bernd Storz hat einen reichhaltigen Band mit Gedichten publiziert. Die eine Leserin und der andere Leser mag gelegentlich bei der Lektüre auch an sich selbst denken. Einige werden lange oder länger bei „Ich habe Dich schon immer gesucht“ verweilen, im Wissen darum, dass manche Suchende auch fündig werden. Einige trauen sich sogar, dieses Du, wenn es sich zeigt, freundlich lächelnd, liebevoll und warmherzig anzusprechen, zumindest versuchsweise, einfach mal so. Vielleicht dürfen wir uns diese Suchenden als glückliche Menschen vorstellen?

Titelbild

Bernd Storz: Sommergespräche. Gedichte.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2021.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783520761019

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