Intensive editorische Arbeit und die Gefahr des Informations-Overkills

Der opulent von Christiane Mühlegger-Henhapel und Ursula Renner kommentierte und ausgestattete Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal, Alfred Roller und Richard Strauss

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Publikation einer Korrespondenz mit drei Protagonisten ist nicht gerade üblich. Schon allein dadurch verdient der vorliegende Band besondere Aufmerksamkeit. Hier wird die künstlerische Zusammenarbeit des Komponisten Richard Strauss (1864–1949), des Textdichters Hugo von Hofmansthal (1874–1929) und des Bühnen- und Kostümbildners Alfred Roller (1864–1935) in ihren Briefen dokumentiert. Der Buchumschlag zeigt die drei im Ausschnitt eines Fotos, das anlässlich der Uraufführung des Rosenkavaliers im Januar 1911 in Dresden aufgenommen worden war. Im Allgemeinen werden mit dieser Oper Hofmannsthal und Strauss assoziiert. Daher ist es äußerst verdienstvoll, dass mit dieser umfangreichen, aufwändigen und sorgfältig hergestellten Veröffentlichung endlich auch die Rolle Rollers als Bühnen- und Kostümbildner in der Zusammenarbeit der drei Protagonisten angemessen gewürdigt wird. Da Alfred Roller bei der gemeinsamen Arbeit nicht zuletzt wegen seiner zurückhaltenden Art zumeist im Schatten von Hofmannsthal und Strauss steht, wird in der Einleitung sein Leben und Schaffen ausführlich beschrieben.

Das Dreigestirn brachte gemeinsam Elektra (1909), den Rosenkavalier (1911), Die Frau ohne Schatten (1919), Josephs Legende (1922), Die Ruinen von Athen (1924) und Die ägyptische Helena (1928) auf die Bühne. Darüber hinaus haben Hofmannsthal und Roller unter Einschluss von Max Reinhardt intensiv bei den Salzburger Festspielen zusammengearbeitet. Beide entwickelten ein freundschaftliches Verhältnis zueinander, das über gemeinsame Bühnenprojekte hinausging, während Strauss immer dann in den Briefwechsel eintritt, wenn gemeinsame Arbeitsvorhaben anstanden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Briefwechsel Hofmannsthal–Roller–Strauss „die gemeinsame Arbeit am theatralen Gesamtkunstwerk in allen Facetten“ präsentiert: „nicht nur als Einblick in die von Strauss vielzitierte ‚Werkstatt‘ des Schöpfungsprozesses zwischen Komponist und Dichter, sondern auch die verschiedenen Stufen der praktischen Umsetzung und der damit zu erzielenden Wirkung auf der Bühne“.

Der Band umfasst insgesamt 205 Dokumente, also Briefe, Postkarten, Telegramme etc., darunter 64 Briefe Hofmannsthals an Roller, 45 von Roller an Hofmannsthal. Von Strauss an Roller stammen 36 Briefe, 28 von Roller an Strauss. Auch wurden einige Schreiben von Dritten aufgenommen, wenn sie in direktem inhaltlichem Zusammenhang standen, so Briefe von und an Gerty von Hofmannsthal, Mileva Roller, Franz und Pauline Strauss sowie Franz Schalk.

Der Band präsentiert Schreiben zwischen März 1904 und September 1942. Er wird durch einen Brief Hofmannsthals an den zehn Jahre älteren Roller eröffnet, in dem der Autor Roller bat, sich für sein Ballett Der Triumph der Zeit, vertont von Alexander Zemlinsky, beim Direktor der Staatsoper, Gustav Mahler, einzusetzen, und schließt mit einem Text von Strauss, in dem er den 1935 verstorbenen Roller würdigte.  Der Text sollte als Vorwort zu einem von Joseph Gregor herausgegebenen, dem „Theaterarbeiter“ Roller gewidmeten Band in der Reihe der Denkmäler des Theaters dienen.

Der Anhang umfasst einen kurzen, aber detaillierten editorischen Bericht, eine ausführliche Bilddokumentation, eine Parallel-Chronik der drei Protagonisten, eine Bibliografie zu Roller sowie ein Register, das nicht nur die Namen, sondern auch Informationen zu Leben und Werk der aufgeführten Personen nennt. 

Über 200 farbige Abbildungen – Fotos, Faksimiles, Bühnenbilder und Kostümfigurinen – vor allem aus dem Nachlass Rollers runden den opulenten Band optisch ab. Sie sind in vier Blöcken innerhalb des Bands auf Kunstdruckpapier versammelt. In der Regel wird in den Bildunterschriften auf die jeweiligen Briefe verwiesen.

Verständlicherweise kann hier nicht auf die Korrespondenz im Detail eingegangen werden. Doch soll die immense editorische Arbeit, die die beiden Herausgeberinnen geleistet haben, gewürdigt werden. Sämtliche Texte sind Wort für Wort und in ursprünglicher Orthografie und Interpunktion wiedergegeben. Für jedes Dokument folgen unmittelbar nach dem Text farblich abgehoben Angaben zur Überlieferung wie verwahrende Institution samt Inventarnummer und Beschreibung des Schriftträgers sowie – oft ausführliche – Erläuterungen zu einzelnen Textstellen. Sie umfassen Hinweise zu Personen, Ereignissen, Werken, Begriffen oder sprachliche Besonderheiten, deren Kenntnis zum Verständnis beiträgt, den Dokumenten selbst aber nicht zu entnehmen sind. Der editorische Umfangsanteil einschließlich Einleitung und Anhang an den über 450 Seiten des Buchs dürfte sich geschätzt auf rund die Hälfte belaufen. 

So entsteht zwar ein dichtes Geflecht von Informationen, das keine Frage offenlässt. Doch fragt man sich vor allem an Stellen, an denen Überlieferungsinformationen und Erläuterungen so lang wie der Brieftext selbst sind – etwa beim Brief Rollers vom 12. Dezember 1918 an Hofmannsthal –, ob hier nicht die Gefahr des Informations-Overkills besteht.

Ob es in der Editionsphilologie eine generelle Tendenz zu solchen hypertrophen Ausgaben gibt, kann der Rezensent nicht beurteilen. Für die Ausgaben von Briefwechseln Hugo von Hofmannsthals meint er jedoch, in den letzten Jahren eine solche Neigung feststellen zu können. Nur zwei Beispiele. Der 1995 publizierte Briefwechsel Hofmannsthals mit Rudolf Borchardt umfasst 452 Seiten, der fast zwanzig Jahre später erschienene Kommentarband fast die doppelte Seitenzahl, nämlich 824 Seiten. Und der 2013 veröffentlichte Briefwechsel mit Hermann Bahr dokumentiert die Texte auf knapp 450 Seiten, die Erläuterungen, mehrere Register, Abbildungen und Dokumente nehmen den Rest des 1001 Seiten umfassenden zweibändigen Werks ein. Man wird gespannt sein dürfen, wie die anstehenden Publikationen der Briefwechsel Hofmannsthals mit seinen Eltern und seiner Frau Gerty sowie der Neuausgabe des Briefwechsels mit Eberhard von Bodenhausen angelegt sein werden.

Titelbild

Hugo von Hofmannsthal: ‚Mit dir keine Oper zu lang …‘. Briefwechsel.
Benevento, Elsbethen 2021.
592 Seiten , 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783710901270

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