Eine Reise nach innen

Peter Karoshi erzählt in „Zu den Elefanten“ über eine ungewöhnliche Wanderung

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielleicht ist diese Reise von Vater Theo und Sohn Moritz so unwahrscheinlich und unglaublich wie die historische Begebenheit, an der sie orientiert ist. Der Elefant Soliman stammte aus den portugiesischen Kolonien. Der zwölf Jahre alte Dickhäuter reiste mit dem späteren Kaiser Maximilian II. samt dessen Familie und Gefolge im Winter 1551/52 von Lissabon über Valladolid nach Wien. Dort verendete das Tier aus dem fernen Land eineinhalb Jahre später, erkrankt, aufgrund falscher Ernährung und schlechter Haltungsbedingungen. Auf den Wegen des Elefanten reisen Theo und sein Sohn Moritz in dieser Novelle, die vernünftige Ehefrau und Mutter Anna tut dies nicht. Vor allem ist Theo beständig auf der Suche nach sich selbst. Moritz kommt ihm unterwegs versehentlich abhanden, aber am Ende fügt sich alles, wenn nicht auf die beste, so doch auf die bestmögliche Weise zum Guten. Den Schwerpunkt der zwar flüssig erzählten, trotzdem mitunter ein wenig schwerfällig und arg grüblerisch anmutenden Novelle bildet die Identitätssuche des Protagonisten.

Theo sieht sich Ängsten ausgesetzt. Von seiner überlegt sprechenden Gattin scheint er überfordert zu sein. Bei der Beobachtung einer Bachstelze kommt er auf philosophische Gedanken. Der Vogel bewegt sich in einer „sympathischen, aber bemitleidenswerten Planlosigkeit“. Der nachdenkliche Theo äußert sich:

Ich war in der Lage, meine Gefühle einzuordnen, weil ich viel gelesen und gehört hatte in meinem Leben, und ich wusste um den Moment der Begeisterung und den Sturm, den er entfachen konnte, und genau deshalb verfiel ich keiner dieser Illusionen, um etwa sofortige Schlüsse und Konsequenzen zu ziehen.

Was bedächtig, souverän und reflektiert klingt, erweist sich doch eher als das Gegenteil. Der kluge Theo steht vor einem großen Rätsel, und das Rätsel ist er selbst:

Ich war erwachsen und alles war ein rasender Strudel geworden. Ständig kehrte ich an die gleichen Stellen zurück, die ich doch gerade vor kurzem erst verlassen geglaubt hatte: das Aufstehen, die Mahlzeiten, der Stillstand in der Arbeit und das Schlafengehen zu den möglichst gleichen Zeiten.

Die Gleichförmigkeit des Alltags schenkt Theo keine Stabilität, er fühlt sich verunsichert, unklar getrieben und zu einem Aufbruch von innen her veranlasst. Anna, die Naturwissenschaftlerin, betrachtet ihren Ehemann auch mit einem nachsichtigen Humor, den er als Spott erlebt. Theo erinnert sich an die Stationen der Freundschaft und Ehe, gibt Einblicke in seine Existenzweise als Kulturwissenschaftler. Er hatte Anna damals ausführlich von seinen Vorhaben und Projekten berichtet: „Interessant, hatte sie genickt. Es hatte sie natürlich keine Sekunde ernsthaft interessiert, das war mir von Anfang an klar gewesen.“ Theo denkt an eine innere Kraftlosigkeit, die er mit dem „Verankertsein in strengen Abläufen“ verbindet. Die aufgezeigten Gegensätze zwischen beiden Charakteren wirken etwas konventionell, ja klischeehaft. Theo mutet langweilig an, Anna lebt.

Die Geschichte des Elefanten Soliman schließlich ermuntert Theo zu einer großen Wanderung. Zuvor stöhnt er noch über die Wirklichkeit der Geisteswissenschaften, redet über seine Lustlosigkeit, „den tausendsten Artikel zum siebenten Thema von links in einer Zeitschrift zu schreiben, die doch nur von den gleichen Leuten wie vor dreißig Jahren betrieben wird“ – und nicht einmal „diese Idioten“ würden seinen Text lesen. Anna fragt, woran er eigentlich arbeite:

Ich war verdutzt und verärgert und tief getroffen darüber, dass sie nicht einmal wusste, worüber ich forschte. Es hatte nur einer kleinen Unachtsamkeit bedurft, um mir zu zeigen, dass wir einander nicht mehr zuhörten, sodass dieser Moment einer tiefen Erschütterung gleichkam. Oder aber, eine weitere Möglichkeit, dass ich tatsächlich nie gesagt hatte, was ich den ganzen Tag trieb.

Die Geschichte läuft zielstrebig auf den Aufbruch hinaus, so dass Vater Theo und Sohn Moritz der Spur des Elefanten Soliman folgen und dabei einander besser kennenlernen, einander aber auch aus den Augen verlieren werden. Unterwegs denkt er nach über die Ehe, die er führt, ohne genau zu wissen, ob er sie aufrechterhalten möchte oder nicht. Theo wandert durch unwegsames Gelände und zugleich durch eine nicht minder unwegsame Gedankenwelt. Fantastische Momente treten hinzu. Auf der langen Suche nach sich selbst findet er den verschollenen Sohn wieder. Ist Theo vielleicht nur Traumpfade, ja Albtraumpfade entlanggegangen? Die sehr eigen erzählte Novelle endet: „Ist das der Traum gewesen, aus dem ich vorhin aufgewacht bin?“ Ob es wirklich so gewesen ist? Das könnte sein.

Peter Karoshi hat eine ungewöhnlich konstruierte, traumhaft angelegte, aber nicht traumwandlerisch souverän gestaltete Novelle publiziert, die für Staunen und Verwunderung sorgt, überraschende Wendungen nimmt, ohne wirklich erfreuen oder überzeugen zu können. Der vorgestellte Kulturwissenschaftler Theo, der Sympathien wecken möchte, ohne als Figur glaubwürdig und sympathisch zu sein, erinnert eher an das landläufig bekannte Klischee eines Geistesmenschen. Diese Figur soll aber die Novelle tragen, doch gelingt dies nur sehr bedingt.

Titelbild

Peter Karoshi: Zu den Elefanten.
leykam Verlag, Graz 2021.
208 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-13: 9783701181872

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