Wie Schwarz darf ein Mensch sein?

Wallace Thurmans Roman „The Blacker the Berry“ beschreibt eine bewegende Selbstfindung in bewegten Zeiten

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als der afroamerikanische Autor Wallace Thurman Ende 1934 an Tuberkulose im Alter von gerade einmal 32 Jahren starb, ehrte ihn die New York Times immerhin mit einem Nachruf. Der umfasste zwar nur zwei kleine Absätze, erinnerte darin aber an einen Schriftsteller und Bühnenautor, der zu allen Hoffnungen berechtigte. Große Bekanntheit errang der in Salt Lake City geborene Thurman durch ein Bühnenstück mit dem Titel Harlem, das sich nach der Premiere im Februar 1928 bis zum Juli auf der Bühne hielt, um dann im Herbst eine Wiederaufnahme und im Jahr darauf noch zahlreiche weitere Aufführungen zu erleben. Bekannt wurden von ihm auch die Romane Infants of the Springs und The Interne (beide 1932) sowie sein literarisches Debüt von 1929 The Blacker the Berry, das nun erstmals in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

In einem Artikel für die New York Times erzählte Thurmann, wie er und ein anderer junger Autor (William Jourdan Rapp) ihre beiden Stücke über das „Black Mecca“, wie sie den New Yorker Stadtteil Harlem nannten, einer Theateragentur anboten. Die Stücke wurden zwar angenommen, doch am Ende wurde es eine lange, abenteuerliche Geschichte von Zu- und Absagen mit immer neuen Textfassungen. Fünfzig Kopien kursierten davon in der New Yorker Theaterwelt, mokiert sich Thurman. Doch sollte es schließlich ein Happy End geben. Unter dem Titel Harlem. An Episode of Life in New York’s Black Belt kam das Gemeinschaftswerk auf die Bühne, auch wenn ihm im 3. Akt ein effektvolles „Wow“ fehlte, wie den Autoren auf ihrer Suche stets erklärt wurde. Denn offenkundig war das Leben in Harlem, von dem das Stück erzählt, auch ohne „Wow“ spannend genug.

Wie die Roaring Twenties in Harlem sich anfühlten, das erfahren wir in Thurmans Debüt-Roman, der im Titel das Sprichwort „Je schwärzer die Frucht, desto süßer der Saft“ enthält. Als junge Frau siedelt Emma Lou, die Heldin des Romans, von der beschaulichen und überschaubaren Provinzstadt Bois in den Rocky Mountains nach New York. Es ist eher eine Flucht, mit der sie die Hoffnung verbindet, endlich eine Community zu finden, in der sie sich als Schwarze gut aufgehoben fühlt. Es zieht sie nach Harlem „mit seinen durchlässigen sozialen Strukturen“ und ab hier gibt es im Roman dann zwei Hauptrollen: Emma Lou und Harlem. „Alles rund um die Schwarzen stand hoch im Kurs“, erklärt uns der Autor, „Harlem war zu einer regelrechten Wallfahrtsstätte geworden, zu der man unbedingt pilgern musste […].“ Denn passend zum Jazz, der dort zu Hause war, schien auch der Lebensrhythmus der Bewohner in seiner ganzen Asymmetrie zwischen prekärer sozialer Wirklichkeit und einer schier ungebremsten Lebenslust und Kreativität von genau jenen Synkopen der Musik beherrscht zu sein, nämlich mindestens so hart und unerbittlich wie das musikalisch Grelle in seiner Allgegenwart und in der Energie der Schwarzen Musik.

Was sich für mich in Thurmans Roman als Lektüreerlebnis wiederholt, das ist die völlig unerwartete Art, wie über die Frage der Hautfarbe diskutiert wird. Wie schon bei Dorothy West und Nella Larsen geht es auch bei ihm um eine Hierarchie der Farbtöne innerhalb der Schwarzen Community. Sie entspricht einem sozialen Image-Ranking in Brauntönen, das wir nicht anders als rassistisch nennen können und das so auch von den Autor*innen gesehen und bezeichnet wird. Und offenbar hat sich daran bis heute nichts geändert, wie ich einem Beitrag im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ entnehme – man nennt es Colorism.

Emma Lou entstammt einer Familie, die es weit in den Westen der USA zog, um weit weg von den Schwarzen und den Südstaaten zu sein. Ihre Familie gehörte zum „Kreis der Blaublütigen“, „weil alle Mitglieder so hellhäutig waren, dass man in ihren Adern am Handgelenk das Blut pulsieren sah“. Nur Emma Lou macht eine Ausnahme, sie ist einfach nur Schwarz und ist dadurch von Anfang an die Außenseiterin, der man ständig erklärt, sie werde deshalb nie einen Mann abbekommen, „der auch nur einen Cent wert wäre“.

Sie schafft es, ein Studium in Los Angeles zu beginnen und hofft, der Enge und Intoleranz der Provinz zu entfliehen, hier endlich Anschluss an andere Schwarze zu bekommen. Eine Illusion, wie sich bald herausstellt. Nach zwei frustrierenden Jahren verlässt sie das College und will nun nach New York. Aber auch am Hudson River gilt dieselbe hierarchische Farbskala. Was jedoch schnell klar wird, Emma Lou fehlt es entschieden an Selbstbewusstsein, weshalb sie beispielsweise mit allen Mitteln versucht, ihre Gesichtsfarbe aufzuhellen. 

Sie befeuchtete es mit einer Peroxyd-Lotion, legte eine Schlammpackung auf, massierte eine Bleichcreme ein und zum Schluss legte sie Tönungsmakeup und Puder auf und aß noch eine Arsenwaffel. Als einzig sichtbarer Effekt von allen dem blieb ein intensiver Rotton zurück, aber Emma Lou war sich sicher, dass ihr Gesicht nun weniger dunkel aussah.

Es ist einfach zum Heulen mit dieser Heldin. Sie macht sich selbst das Leben schwer, indem sie glaubt, sie könne das Schwarzsein loswerden und nur sie allein habe das Problem. In einem Streit mit ihrem Freund Alva herrscht er sie an, anstatt rumzuheulen, stolz auf das Schwarzsein zu sein. Manche müssen tief sinken und brauchen eine Menge Schicksalsschläge, um endlich aufzuwachen. Emma Lou tut es schließlich, und sie erkennt, dass sie im Grunde selbst schuld an ihrem Unglück ist, das in Wahrheit kein Unglück ist, sondern in der Tat eine Frage von Stolz. So ist es, denn was sich mit jenen Zwanziger Jahren in Harlem, der sogenannten Harlem-Renaissance, verbindet, das ist ein Aufbruch, der Schwarze dazu brachte, sich selbst wahrzunehmen, wie es Ibram X. Kendi formulierte. Mit Emma Lou erleben wir, welche Widerstände sich dabei in den Weg stellen – und das ist ohne Frage lesenswert, weil bewegend.

Titelbild

Wallace Thurman: The Blacker the Berry. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Heddi Feilhauer.
ebersbach & simon, Berlin 2021.
224 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783869152462

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