Unerhörte Mühen der Anfänge

Klug kommentiert zeigt die Edition von Pigafettas Bord-Bericht der ersten Weltumrundung Grausames und Folgenreiches

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Bericht der allerersten Weltumrundung in den Jahren 1519–1522, die als solche nicht geplant war, liegt endlich vollständig auf Deutsch übersetzt vor. Diese späte Ankunft eines bedeutsamen Textes weist mithin einen ähnlich langwierigen, umwegigen Verlauf auf wie die mühsame Seefahrt des portugiesischen Pioniers in spanischen Diensten und seiner Crews.

Magellan intendierte mit seinen anfangs fünf Schiffen keine Umrundung des Globus sondern die Entdeckung einer Westroute in die ökonomisch interessanten Länder Ostasiens. Die Rückfahrt war ursprünglich auf der gleichen umwegigen Route vorgesehen, um nicht durch die für spanische Schiffe gesperrten Kolonialgewässer Portugals zu segeln. Doch schließlich segelte das letzte verbliebene Schiff mit den massiv dezimierten Überlebenden dieser langen Reise auf dem kürzeren Weg, also von Asien direkt nach Europa zurück. Und es vollendete damit die große Globalrunde. Mit der Erstumschiffung der Südspitze Südamerikas durch die seither sogenannte Magellanstraße und der folgenden Überquerung des Pazifiks wurden Pionierleistungen der Seefahrt vollbracht.

Dieser bedeutende Text Pigafettas, der Zeugnis ablegt von seefahrerischen Herausforderungen und ihrer Bewältigung aber auch von harschen kolonialen Praktiken beim Erstkontakt mit fernen Völkern, wurde in Jostmanns verdienstvoller Edition ergänzt mit jenen 23 Farbminiaturen, welche schon der hierzulande wenig bekannte Autor seinem Werk beigefügt hatte.

Nur 18 der ursprünglich 240 Aufgebrochenen kehrten von dieser bahnbrechenden Ausfahrt zurück. Auch der Expeditionsleiter Magellan blieb bei einer militärischen Auseinandersetzung mit widerständigen Ureinwohner einer Pazifikinsel auf der Strecke. Antonio Pigafetta zählte zur kleinen Zahl der Überlebenden dieser über 1000-tägigen, extrem strapaziösen Runde um den Erdball. Aufgrund seiner zähen Gesundheit konnte er sogar täglich Bordbuch führen über die Ereignisse. Und auf dieser Basis schrieb er nach seiner Rückkehr nach Spanien den vorliegenden Reisebericht. Nutzbringend ergänzt wurde dieser Bericht um Karten sowie um zahlreiche kleine Wortübersetzungslisten zu den unterwegs begegnenden Sprachen.

Die erstmalige Überquerung des Pazifiks war trotz des guten Wetters ungemein aufreibend. Sie allein dauerte fast vier Monate und kostete 19 Männer der Besatzung und zwei der unterwegs mitgenommenen Eingeborenen das Leben; vor allem wegen des Skorbuts, da keinerlei frische vitaminreiche Nahrung zur Verfügung stand. Kaum einer blieb gesund außer dem Autor, der offenbar über eine nahezu unverwüstliche Physis verfügte. Pigafettas knapp gehaltenes Kapitel dieser buchstäblich bahnbrechenden Pazifik-Überfahrt schließt mit der Feststellung: „Ich glaube wahrlich nicht, dass man jemals wieder eine solche Reise unternehmen wird.“

Einen Einblick in die haarsträubenden Entbehrungen damaliger Reisen vermittelt Pigafettas lakonischer Rapport von den heute unvorstellbaren Essens- und Proviantbedingungen jener frühen Fernreisen. Die Nahrungs- und Vitaminversorgung auf See wurde erst durch die Versorgung mittels des wunderbar hilfreichen, Skorbut-Vorsorge treffenden Sauerkrauts deutlich besser, deren Lob Georg Forsters 250 Jahre späteren Bericht von Cooks großer Weltumsegelung jubelnd durchziehen. Pigafetta hingegen berichtet:

Wir aßen Zwieback, der kein Zwieback mehr war, sondern nurmehr aus Krümeln bestand, darin Hände voll Würmern, die das Beste ausgefressen hatten. Er stank entsetzlich nach Urin und Ratten. Wir tranken gelbes, bereits seit vielen Tagen fauliges Wasser und aßen gewisse Stücke Rindsleder, mit denen die Großrahe überzogen war, damit die Rahe nicht das Tauwerk beschädigte. Sie waren steinhart von der Sonne, dem Regen und dem Wind. Wir weichten sie vier oder fünf Tage im Meer ein, legten sie sie dann kurz über die Glut, und so aßen wir sie. Oft genug aßen wir auch Sägespäne. Die Ratten wurden für einen halben Dukaten das Stück gehandelt, und selbst dafür waren sie kaum zu bekommen.

Es sind insgesamt jedoch nicht unbedingt diese Umstände der Reise und auch nicht die von Pigafetta allemal parteiisch im Sinne des Expeditionsleiters Magellan berichteten Zerwürfnisse zwischen den verschiedenen Kapitänen der fünf Schiffe, die seinen Text heute noch oder gerade wieder lesenswert machen. Vielmehr faszinieren seine Berichte von den Körperformen (man traf auf ‚Riesen‘), zudem von Ess- und Handelssitten der Inselbewohner, denen die Entdecker im Pazifik begegneten. Immer wieder werden für nachfolgende Reisende und Händler nützliche Verzeichnisse der Tauschverhältnisse zudem auch Wortlisten mit 50-200 Einträgen des Kernvokabulars der diversen Eingeborenen präsentiert. Kleine Preislisten des Tauschhandels zwischen den Glas-, Textil- oder Metallwaren der Weitgereisten und den dringend zum Leben benötigten Nahrungsprodukten der Ortsansässigen werden sorgsam notiert und mitgeteilt. Noch heute kann man über diese seltsamen ‚terms of trade‘ staunen; wie man sich auch über heutige, ungerecht wirkende Tauschverhältnisse auf Weltmärkten empören kann.

Der Reiseanlass der kleinen Armada war gewiss eher merkantil als wissenschaftlich geografisch. Leitend war vor allem die Absicht der spanischen Krone, den Portugiesen den extrem ertragreichen Asienhandel streitig zu machen mittels Erschließung eigener Seerouten nach Südostasien; dahin, wo der Pfeffer wächst. Zuvor hatten die portugiesischen Kriegs- und Handels-Marinen durch neue Seerouten das Monopol der Venezianer gebrochen, deren Handelsketten über das ägyptische Alexandria die damals unglaublich wertvollen asiatischen Gewürze – Pfeffer und Nelken vor allem –  herbeischafften: für die Würze im europäischen Wohlleben.

Die Risiken des spanischen Überbietungs- und Umfahrungsunternehmens der portugiesischen Handelsrouten waren enorm. Fünf Schiffe fuhren los, nur eines kam zurück. Fünf Monate mussten die Seefahrer überwintern im eisigen antarktischen Süden vor Südamerika. Ein Schiff geht an der Südspitze Lateinamerikas durch Schiffbruch verloren. Ein weiteres wird nach einer Meuterei durch seine Besetzung von dort zurück nach Europa entführt und nahm folglich weder an der Pazifiküberfahrt noch gar an der Weltumsegelung weiter teil.

Nicht verschwiegen wird, dass es bei Begegnungen mit den Ureinwohnern verschiedener Pazifikinseln immer wieder zu Szenen der Gewalt kommt. Pigafettas Schilderungen kann man entnehmen, wie mittels Drohungen, Tauschhandel und Paktangeboten die militärtechnisch überlegenen Europäer die Ortsansässigen zu willigen Tauschpartnern sowie unterwürfigen Untertanen der spanischen Krone abzurichten versuchten. Oftmals gelingt dies. Manchmal müssen aber auch die Europäer dem Widerstand der Pazifikbewohner weichen oder für ihre Kolonialausfahrt teuer bezahlen. So starb der in spanischen Diensten beauftragte Expeditionsleiter Magellan bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit Eingeborenen.

Der Berichterstatter Pigafetta war im übrigen keineswegs ein erfahrener Seemann, sondern eher ein belesener, genuin neuzeitlicher, neugieriger Zeitgenosse. In der Heuerliste ist er als bloßer Ersatzmann („sobresaliente“) eingetragen. Er hatte offenbar keine spezielle Funktion an Bord und wurde schlechter entlohnt als die einfachen Matrosen. Auf die Reise machte er sich nicht des Geldes wegen, sondern vielmehr, um Erfahrungen zu sammeln. Doch für die Nachwelt wurde dieser ‚Ersatzmann‘ zum vielleicht wichtigsten Teilnehmer der Reise. Denn er hielt das Geschehen fest, er sorgte für die Überlieferung und freilich auch für die Auswahl und Fokussierung des Überlieferten. Ohne diese Zeugen und ihre Schreibarbeiten, wüssten wir kaum etwas über diese frühen, brutalen Anfänge der Globalisierung. Pigafettas umsichtige Interessen an vielen Aspekten der Lebensweisen und Sprachen ferner Völker machten ihn zu einem Proto-Ethnologen, lange bevor diese Wissenschaft sich als solche benannte und institutionell etabliert wurde.

Anders als für englisch-, französisch- und italienischsprachigen Leser gab es auf deutsch bislang keine vergleichbar valide Übersetzung dieses Zentralwerks der frühen Reiseliteratur. Anstelle der recht freien und nicht vollständigen älteren deutschen Ausgabe der Edition Erdmann hat Christian Jostmann, der 2019 bereits eine Monographie über Magellans Expedition publizierte, hier eine gut lesbare deutsche Textfassung samt erhellender Fußnoten zu schwer verständlichen Passagen vorgelegt. Statt zu kürzen vermittelt er uns dieserart die Distanz oder Fremdheit des gut 500 Jahre alten Dokuments. Und so ermöglicht er spannende Leseerfahrung oder weitergehende Erforschungen der Begebenheiten und Umstände dieser folgenreichen Erstumrundung unseres Planeten.

Kein Bild

Antonio Pigafetta: Die erste Reise um die Welt. An Bord mit Magellan.
Aus dem Italienischen übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2020.
288 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783534746323

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch