Glück empfinden, nicht nur haben

Katja Behling und Thomas B. Schumann geben ein Kompendium mit Texten der Journalistin Anita Daniel heraus

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Texte aus sechs Jahrzehnten enthält der Band Mondän ist nicht mehr modern, den die beiden HerausgeberInnen Katja Behling und Thomas B. Schumann der heute nur noch wenig bekannten Journalistin Anita Daniel (1902(?)–1978) gewidmet haben. Anders als die prominenten Vertreterinnen der ‚Neuen Frau‘ aus den späten 20er und frühen 30er Jahren wie Irmgard Keun, Vicki Baum, Ruth Landshoff-Yorck oder Gina Kaus, die vor allem mit ihren Romanen und Prosatexten rasch die literarische Szene beherrscht und sich nachhaltig in die Literaturgeschichte hineingeschrieben haben, fristen Journalistinnen oftmals nur ein Schattendasein und werden rasch wieder vergessen.

Zu Unrecht, wie das Beispiel Daniels zeigt, die ihre Texte mit bloßem Vornamen versehen hat. Und was man – dies nur am Rande – auch an Helen Hessel, mit der Katja Behling in ihrem instruktiven Nachwort Anita Daniel zu Recht vergleicht, verdeutlichen könnte. Beide bespielten nämlich „ein ähnliches Feld“. Während Hessel, ab 1925 Modekorrespondentin der Frankfurter Zeitung, „Feuilletons über das Leben à la Parisienne“ verfasste, schrieb Anita über das Berlin der 20er und 30er Jahre für die Zeitschriften des Ullstein-Verlags, Die Dame und Uhu. Dabei erweist sie sich als wache Beobachterin aktueller Gesellschafts- und Zeiterscheinungen, die sie in ihren Glossen, in Kurzprosa und essayistischen Einlassungen, aber z. T. auch in Gedichtform aufgreift. Oft geht es um Veränderungen in der Lebenswelt, in Mode und Habitus, was Anita – zur wahren Meisterschaft ausbildend – in pointierten Aphorismen zu verdichten versteht: „Es genügt nicht, Glück zu haben – man muß es auch als solches empfinden“. „Eleganz verliert ihren wahren Wert, wenn sie nur noch zum Warenwert wird.“ „Viele beglückende Illusionen sind nur der Distanz zu verdanken.“ 

Neben Modeereignissen sind es immer wieder Fragen und Probleme des Phänomens ‚Neue Frau‘ und einer großstädtisch geprägten neuen (bürgerlichen) Kultur der Weimarer Jahre, was Anita im titelgebenden Feuilletonbeitrag für Die Dame aus dem Jahre 1928 präzise auf den Punkt bringt: Anders als die „mondäne Frau ancien regime“, also aus der Vorkriegszeit, lebt die moderne Frau „jetzt viel zu schnell und viel zu improvisiert, um die kostbare Zeit mit ausgeklügelten Vorbereitungen zu verlieren.“

Die moderne Frau letzter Ausgabe ist eine Art Weltwunder. Sie kann alles. Sie hat zwei bis vier Kinder, die sie alle genährt hat. Sie ficht, schwimmt, reitet, skit, hockeyt, tennist, golft und stept. Sie kann Rohkostplatten zusammenstellen und Wiener Apfelstrudel backen, ihr defektes Auto reparieren, Jumper häkeln, Kreuzworträtsel lösen.

An anderer Stelle, im Text Schönheitsmaßnahmen. Wandlungen der Linie 1930, ebenfalls für Die Dame, greift Anita mit süffisanter Ironie das neue, gewandelte Schönheitsideal auf: 

Von Zeit zu Zeit ändert die Frau ihren Körper. Es bleibt tatsächlich nur der Grundriß unberührt, im übrigen wird alles nach einem geheimnisvollen, ungeschriebenen Gesetz neu geformt. Da kommen die erstaunlichsten geographischen Verschiebungen zu Tage. Wo sanfte Hügel waren, dehnen sich plötzlich Ebenen. Ganze Gebiete werden neu umgrenzt. Man hat in den letzten Jahren den Hüften- und Büstenschwund und zuletzt den großen Taillenrutsch erlebt.

Auch nach der erzwungenen Emigration 1933, zunächst in die Schweiz, wo sie nach 1935 regelmäßig für die Wochenendbeilage der Basler National-Zeitung Feuilletonbeiträge schrieb, ab 1941 dann in die USA, wo sie eine rege Publikationstätigkeit entfaltete, u. a. für den jüdischen Aufbau, hielt sie an ihren Themen wie auch ihren Ausdrucksformen fest. Hinzu kamen dann einige Bücher, die zwischen 1942 und ihrem Todesjahr 1978 erschienen und die ebenfalls Sammlungen kleiner und kleinerer (zumeist an anderer Stelle bereits in der Tagespresse veröffentlichter) Texte darstellen. Seit der New Yorker Zeit rücken verstärkt Vergleiche zwischen der US-amerikanischen und der (west-)europäischen Kultur und Lebensweise in den Vordergrund, wobei – mindestens in der von den beiden HerausgeberInnen getroffenen Auswahl der Texte – auffallend, man könnte auch sagen: aufreizend wenig vom Weltkrieg und dem deutschen Faschismus die Rede ist. Mag sein, dass die Last des Exils und die Notwendigkeit der Assimilation an den ‚American way of life‘ diese Distanz erzwungen haben. Der Einschätzung und gleichsam dem Resümee von Katja Behling über Anita Daniels Lebensweg und schriftstellerischen Ausdruck kann man sich nach der Lektüre dieses auch typographisch überaus gelungenen Bandes nur anschließen: 

An einem Samstag im Spätfrühling 1978 endete, nach mit großer Tapferkeit ertragenem Leiden, Anita Daniels Leben. Sie starb am 18. Juni zu Hause in ihrer Wohnung in der 62. Straße auf der Eastside, tiefbetrauert von allen, die sie kannten. (…) Ihr letztes Buch hatte Anita noch beenden können. Die Kunst zu tafeln, 1978 von Benteli in Bern verlegt, in dem sie sich dem Phänomen Cocktailparty genauso widmete wie vegetarischer Nahrungsethik – vornehm, heiter, amüsant, auf der Höhe der Zeit. Es wirkte nun wie ein Gruß aus einer untergegangenen Ära. Noch einmal hatte sie darin die Zeitgeistigkeit ihres Blicks auf die Welt bewiesen. Ein feines Lifestyle-Brevier als Vermächtnis – Anita blieb dem Geist von Die Dame verbunden, bis zuletzt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Thomas B. Schumann / Katja Behling (Hg.) / Anita Daniel: Mondän ist nicht mehr modern. Feuilletons über die Mode, die Kunst und das Leben.
Edition Memoria, Hürth/Köln 2021.
264 Seiten, 35 EUR.
ISBN-13: 9783930353408

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