Günter Helmes über filmisch präsentierte Vorbilder der Aufbaujahre für die beiden jungen deutschen Teilstaaten BRD und DDR

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Filmbiographien partizipieren je nach biographierter Person an unterschiedlichen Genres, etwa dem Historien-, Ausstattungs-, Monumental-, Kriegs-, Künstler-, Liebes- oder Sportfilm. Als Spielfilme gehören sie basal der Kunst und nicht der Geschichtsschreibung an. Als solche haben sie wie historische Romane oder historische Dramen nicht nur das Recht, um einer Essenz, einer Interpretation der res gestae willen beispielsweise durch Komprimierung oder selbst durch ‚wahre‘ Erfindung von historisch Faktualem und dessen Beschreibung abzuweichen: Sie ziehen daraus letztendlich ihre Legitimation. 

In der vorliegenden Studie Lebensbilder auf Zelluloid werden in mehrfacher Hinsicht repräsentative deutschsprachige biographische Spielfilme des Zeitraums 1949 bis 1960 vorgestellt und Sujets zugeordnet, darunter auch solche, die in Österreich produziert wurden. Der Schwerpunkt liegt aber auf Filmen der BRD und der DDR. 

Im Einzelnen: Wolfgang Schleif: Die Blauen Schwerter (DDR 1949), Georg C. Klaren: Semmelweis – Retter der Mütter (DDR 1950), Rolf Hansen: Sauerbruch – Das war mein Leben (BRD 1954), Kurt Maetzig: Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse (DDR 1954), Helmut Käutner: Ludwig II. (BRD 1955), Karl Hartl: Mozart (Reich mir die Hand, mein Leben, Österreich 1955), Max Ophüls: Lola Montez (BRD, Frankreich 1955), Helmut Spieß: Robert Mayer – Der Arzt aus Heilbronn (DDR 1955), Kurt Maetzig: Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse (DDR1955), Curt Bois: Ein Polterabend (DDR 1955), Martin Hellberg: Thomas Müntzer (DDR 1956), Falk Harnack: Anastasia, die letzte Zarentochter (BRD 1956), Wolfgang Schleif: Made in Germany – Ein Leben für Zeiss (BRD 1957), J. Lee Thompson: Wernher von Braun – Ich greife nach den Sternen (I aim at the Stars,BRD, USA 1957), Ernst Wilhelm Fiedler: Rivalen am Steuer (DDR 1957), Alfred Braun: Stresemann (BRD 1957), Robert Siodmak: Nachts, wenn der Teufel kam (BRD 1957), Wolfgang Liebeneiner: Sebastian Kneipp – Ein großes Leben (Sebastian Kneipp – Der Wasserdoktor, Österreich 1958), Helmut Spieß: Tilmann Riemenschneider (DDR 1958), Carl Balhaus: Nur eine Frau (DDR 1958), Helmut Spieß: Einer von uns (DDR 1960)

Unter anderem wird ein auffälliger Unterschied zwischen den biographischen Spielfilmen der BRD und der DDR aufgezeigt. Während es in diesen stets mittel- oder unmittelbar um Zeitgenossenschaft, Tätigwerden, Team- bzw. Kollektivgeist, Führerschaft und gesellschaftliche Veränderung geht, interessieren sich jene für romantisch, heroisch oder tragisch stilisierte, erratische Einzelne und deren exklusive Schicksale. Auch den Sujets nach werden in der DDR deutlich andere Schwerpunkte als in der BRD gesetzt. Gemeinsam ist aber allen Filmbiographien aus Ost und West und allen filmisch bedachten Sujets im hier betrachteten Zeitraum, dass sie im Sinne von Identifikation, Ausschluss, Aktivierung, Zerstreuung oder Sedierung genuin politisch dimensioniert sind.

 

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert nicht die Bücher von Mitarbeitern der Zeitschrift, Angehörigen der eigenen Universität oder aus dem Verlag LiteraturWissenschaft.de. Diese Bücher können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Titelbild

Günter Helmes: Lebensbilder auf Zelluloid. Über deutschsprachige biographische Spielfilme der 1950er Jahre.
Igel Verlag, Hamburg 2021.
104 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783948958060

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch