Ein erdrückendes Gebilde aus Wörtern

Mit „Maxwells Dämon“ erscheint der lange erwartete zweite Roman des britischen Schriftstellers Steven Hall

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange hat man nichts mehr gehört von Steven Hall, jenem britischen Autor, der 2007 mit seinem Debütroman The Raw Shark Texts international für Furore sorgte. Damals war es Hall gelungen, eine intellektuell downgegradete Variante von Mark Z. Danielewskis House of Leaves zu verfassen, also eine ohne große Teile des kaum zu durchdringenden kulturhistorischen Überbaus spannende Geschichte um die Macht der Buchstaben und Worte und wie sie unser Leben bestimmen. Hall ritt damals auf einer Welle von Texten, die dem Siegeszug des ebooks mit graphisch aufwendig gestalteten Büchern etwas entgegensetzen wollten, wobei die Gestaltung niemals nur optischer Selbstzweck sein sollte, sondern essenzieller Bestanteil des jeweiligen Plots. The Raw Shark Texts funktioniert so mittelprächtig, da der zunächst originellen Story zwischen Borges, Danielewski und Stephen King ein absurder Showdown aufgezwungen wurde, der eben zeigte, dass Hall Bücher nicht nur glorifizieren, sondern auch verkaufen wollte.

In der Zwischenzeit verdiente der Brite seinen Lebensunterhalt als Autor von Computerspielen, doch jetzt hat ihn die Literatur wieder, und bereits ein erster Blick auf die Gestaltung des Buches verrät, dass Hall so etwas wie eine gefühlte Fortsetzung seines Erstlings verfasst hat, nur dass nun keine aus Worten geformten Haie, sondern Baum-Blätter die Seiten bevölkern.

Der Plot erinnert verdächtig an einen leider fast vergessenen Klassiker der neueren Fantasy-Literatur, Jonathan Carrolls Debütroman Das Land des Lachens aus dem Jahr 1983 (den man, nebenbei erwähnt, unbedingt lesen sollte, wenn dies noch nicht geschehen ist): Der Sohn eines weltberühmten Schriftstellers verwahrlost vor sich hin, er hat vor Jahren einen kaum beachteten Roman verfasst und seinem Verlag dürstet es nicht gerade nach einem Nachfolger, sodass er sich als Storywriter für alle möglichen medialen Formate andient (eine Parallele zu Hall?). Dazu kommt, dass seine geliebte Frau seit über einem halben Jahr auf den Osterinseln weilt, um dort ein naturwissenschaftliches Projekt zu betreuen. Eines Tages bekommt er einen Brief des vor Jahren auf mysteriöse Weise verschwundenen Andrew Black, dem ehemaligen Assistenten und Musterschüler seines Vaters. Dieser Black hatte vor seinem Verschwinden mit „Cupid’s Engine“ einen der besten, wohl aber den perfektesten Roman aller Zeiten verfasst und hat sich dann im Streit um die ebook-Auswertung (da haben wir es wieder) des Buchs mit seinem Verlag so verkracht, dass er freiwillig von der Erdoberfläche verschwand und sich schwor, nie wieder ein Wort zu veröffentlichen. Nun schickt also dieser Black Thomas ein Foto, auf dem er eine schwarze Kugel in die Kamera hält und provozierend fragt, ob Thomas denn wisse, was das sei.

Der weiß es natürlich nicht und begibt sich auf die Suche nach Black, nicht zuletzt auch, weil mittlerweile der Gerichtsvollzieher anklopft und Thomas dringend ein Einkommen benötigt. Da kommt sein Wissen um einen zweiten Black-Roman, das er bis jetzt für sich behalten hat, ihm zugute, denn den will er sich unter den Nagel reißen und dem Verlag gegen einen Finderlohn ausliefern. Im Laufe der turbulenten Geschichte traktiert uns Hall immer wieder mit naturwissenschaftlichen und pseudophilosophischen Ausflügen, in denen er seinen Leser*innen die Bedeutung des „Wortes“ näherbringen möchte. Seine Quellen legt er dabei in großen Teilen gleich offen, sei es, um möglichen Plagiatsvorwürfen zu entgehen, sei es aufgrund seines eigenen Größenwahns: Die Dauerpräsenz von Jorge Luis Borges ist ebenso wenig zu übersehen wie die Tatsache, dass Teile des Romans sich wie eine Pastiche von Paul Austers City of Glass lesen; sogar der Protagonist Thomas trägt, wie Austers unwissender Held, den Nachnamen Quinn. Dazwischen begegnet uns Thomas Pynchon (der Vorname!) und sein Versuch, das physikalische Prinzip der Entropie auf literarische Texte zu übertragen. Und natürlich das lästige Spiel mit Textdesigns, die auf Teufel komm raus originell aussehen sollen, aber in diesem Fall nicht nur nervig, sondern im Grunde völlig redundant sind.

Trotzdem ist Maxwells Dämon beileibe kein schlechter Roman; im Gegenteil, er ist sogar sehr spannend, trotz des gewaltigen intellektuellen Überbaus (der seinen Autor nach und nach unter sich begräbt) locker erzählt und mit einem zwar vollkommen hanebüchenen, aber trotzdem sehr überraschenden Plot-Twist am Ende ausgestattet, der einem M. Night Shyamalan vor Neid kochen lassen wird.

Titelbild

Steven Hall: Maxwells Dämon.
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner.
Berlin Verlag, Berlin 2021.
420 Seiten , 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783827014221

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