Das Traumpaar der deutschen Literatur um 1900

Carolin Vogel lässt Richard und Ida Dehmel in „Zwei Menschen“ mit Briefen, Texten und Gedichten zu Wort kommen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Richard und Ida Dehmel waren das Traumpaar der deutschen Literatur um 1900. Er … einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter seiner Zeit, der mit seinen Jugendstilversen um die Jahrhundertwende begeisterte – sie … eine große Förderin vor allem weiblicher Kunst und eine bewunderte Schönheit. Der berühmte Dichter und die sich zunehmend für Frauenrechte einsetzende Muse – zusammen standen sie im Scheinwerferlicht der Moderne. Ihre Selbstinszenierung war für damalige Verhältnisse beispiellos. „Wir Welt!“ lautete ihr Credo.

Die Literaturwissenschaftlerin Carolin Vogel, die Vorstandsmitglied der Dehmelhaus Stiftung ist, widmet sich in Zwei Menschen dem faszinierenden Künstlerpaar. Der Titel der Neuerscheinung greift auf Dehmels Roman in Romanzen Zwei Menschen aus dem Jahr 1903 zurück, in dem er mit einer jugendstilhaften Szenenfolge auf die ersten Begegnungen mit Ida anspielte. Dehmel bezeichnete ihn sogar als sein Hauptwerk.

Zunächst beleuchtet Vogel die beiden Biografien bis zu ihrem Kennenlernen. Richard Dehmel, 1863 als Sohn eines Försters im brandenburgischen Wendisch-Hermsdorf geboren, hatte Nationalökonomie studiert und war als Sekretär eines Versicherungsverbandes tätig. Mit seiner ersten Frau Paula, geb. Oppenheimer, und den drei Kindern lebte er in Pankow. Mit seinen ersten Gedichtbänden wurde er zu einer führenden Persönlichkeit im literarischen Leben Berlins. Auch Paula verfasste Kindergedichte, Märchen und Geschichten. Nachdem er seine Stellung bei der Versicherungsgesellschaft aufgegeben hatte, um freier Schriftsteller zu werden, folgte eine Ehekrise, die sich mehrere Jahre hinzog.

Ida Coblenz, Tochter eines jüdisch-deutschen Weinhändlers, entwickelte schon früh ein Interesse für Dichtung und Kunst. Auf Wunsch des Vaters heiratete sie 1895 den Berliner Tuchhändler und Konsul Leopold Auerbach, der ihr ein luxuriöses Leben ermöglichte und einen Sohn schenkte. 1895 kam es dann zur ersten Begegnung von Richard und Ida. Es folgten Briefe und Gedichte. Aus diesem intellektuellen Austausch entwickelte sich eine leidenschaftliche Liebe. Ein Skandal im wilhelminischen Berlin. Erst im Oktober 1901 konnten die beiden nach ihren Scheidungen heiraten.

Das Paar ging nach Blankenese bei Hamburg, wo man eine kunstvoll eingerichtete Wohnung bezog. Zum 50. Geburtstag des Dichters konnte das Ehepaar dann mit großzügigen Zuwendungen von Freunden und Gönnern ein zunächst zur Miete bewohntes Haus erwerben. Das sogenannte „Dehmelhaus“ hatte der Architekt Walther Baedeker errichtet und wurde von dem feinsinnigen Paar mit Garten, Interieur, Sammlung und Archiv zu einem Gesamtkunstwerk umgestaltet. Die Villa wurde schnell zu einem Zentrum des Hamburger Kulturlebens. Nach dem frühen Tod von Dehmel am 8. Februar 1920 kümmerte sich Ida als Nachlasspflegerin unermüdlich um sein Werk. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor sie als jüdisch-deutsche Kunstförderin alle Ämter. Obwohl das Dehmelhaus seine geistige Heimat verlor, harrte Ida hier aus. Mit Hilfe von Peter Suhrkamp, dem Juristen Robert Gärtner und anderen Unterstützern konnte sie die Enteignung verhindern. Aus Angst vor einer Deportation nahm sich Ida Dehmel am 29. September 1942 im Dehmelhaus das Leben.

Mit einer Fülle von Briefen, Tagebucheintragungen, Bildern und Dokumenten veranschaulicht Vogel die Beziehung der beiden Schlüsselfiguren der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende. Der erste Kontakt entstand durch einen empörten Brief von Ida Auerbach, die den bekannten Dichter auf ein Versäumnis in der Zeitschrift PAN hinwies, worauf Dehmel die ambitionierte Schreiberin in der ehelichen Wohnung aufsuchte. Neben dem persönlichen Briefwechsel und Familienbriefen überwiegt in der Neuerscheinung die Korrespondenz mit anderen SchriftstellerInnen und KünstlerInnen, u. a. von Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Else Lasker-Schüler, Herwarth Walden oder Max Liebermann. Abbildungen von den gemeinsamen Reisen oder vom „Dehmelhaus“ (Innenausstattung) sowie Handschriften, Buchcover und Anzeigen illustrieren die Veröffentlichung, die außerdem mit zahlreichen Gedichten ausgestattet ist.

Wie die Herausgeberin in ihrem Vorwort betont, soll das Buch „eine Einladung sein, Richard und Ida Dehmel zu begegnen“. Es soll weder Sachbuch noch Roman sein, sondern mit den ausgewählten authentischen Dokumenten einen Einblick in das Leben und Schaffen von „zwei Menschen“ verschaffen, die vor reichlich hundert Jahren eine Aura umwehte. Die Zusammenschau von Wort und Bild vermittelt außerdem einen Eindruck von der damaligen Künstlerszene. Abschließend gibt Vogel noch einen Überblick über das Dehmel-Archiv und das „Dehmelhaus“ und beleuchtet anhand von einigen Briefen und Tagebuchnotizen das Wirken von Ida Dehmel bis zu ihrem Freitod.

Titelbild

Carolin Vogel (Hg.): »Zwei Menschen«. Richard und Ida Dehmel. Texte, Bilder, Dokumente.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
304 Seiten , 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835337275

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