Spreewald statt Wien

Günther de Bruyn geht mit seiner Neufassung der „Undine“ baden

Von Peer JürgensRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peer Jürgens

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein uralter Mythos, an den sich Günther de Bruyn hier gewagt hat. Die Undine ist ein jungfräulicher Wassergeist, ein so genannter Elementargeist, ähnlich den Nixen oder Nymphen. Etymologisch von dem Wort „Welle“ stammend, soll die Undine vor allem in Waldseen oder Wasserfällen auftauchen und durch ihren Gesang bezaubern. Als Figur taucht sie erstmals in einer oberrheinischen Sage aus dem 14. Jahrhundert auf und ist seitdem vielfach in der Literatur aufgegriffen worden. Ob literarisch unter anderem durch Achim von Arnim, Johann Wolfgang von Goethe, Hans Christian Andersen, Oscar Wilde, Ingeborg Bachmann, Peter Huchel oder musikalisch durch zahlreiche Opern (z. B. Lwow, Tschaikowski, Wagner), Ballette und Stücke (z. B. Ravel und Debussy) – immer wieder wird das Thema des Wassergeistes adaptiert. Ganz aktuell ist im Sommer 2020 auch eine weitere, bei der Berlinale ausgezeichnete Filmfassung von Christian Petzold erschienen.

Die im deutschsprachigen Raum aber wohl prägendste Fassung des Undine-Stoffes stammt von Friedrich de la Motte Fouqué aus dem Jahr 1811, die zudem fünf Jahre später gemeinsam mit E.T.A. Hoffmann zu einer Oper verarbeitet und zu einem Kassenschlager wurde. Im Tausch (oder als Ersatz) für ihr verloren gegangenes Kind wird einem armen Fischer-Ehepaar Undine als junges, wildes Mädchen gesandt, das in der Abgeschiedenheit an einem See aufwächst. Durch Zufall verirrt sich der Ritter Huldbrand zu der Fischer-Hütte, verliebt sich in Undine und beide heiraten, bevor sie in die Zivilisation zurückkehren. Hier treffen beide auf Bertalda, die verloren gegangene, inzwischen von einem Herzog aufgenommene Fischerstochter. Bertalda, nicht minder hübsch wie Undine, aber „hässlich“ in der Seele, begehrt den Ritter und begleitet ihn und Undine schließlich auf dessen Burg, da Undine in guter Absicht die wahre Herkunft Bertaldas aufgedeckt hat und diese daher vom Herzog verstoßen wird. Die zunächst harmonische Dreisamkeit verwandelt sich einerseits durch Bertaldas Sticheleien, die bei Huldbrand zunehmend Wirkung zeigen und andererseits durch Undines Onkel, einem mächtigen Wassergeist, der sie beschützen will und immer wieder auftaucht, in einen Konflikt. Nach einem Streit verlässt Undine den Ritter und kehrt zurück ins Wasser. Hin- und hergerissen zwischen Trauer und Begehren willigt Huldbrand schließlich in das Drängen Bertaldas ein und heiratet sie trotz der Warnung des Priesters, der den Ritter und Undine getraut hat. Noch in der Hochzeitsnacht taucht Undine auf und bringt Huldbrand wegen seiner Untreue um. Allerdings lässt sie an seinem Grab eine Quelle entspringen, welche beide ewig verbinden soll.

Fouqué hat sein Märchen mit allen Werkzeugen der Romantik ausgestattet und abseits der Grimm´schen Volksmärchen ein Mustertypus des romantischen Märchens geschaffen. Er bezieht sich auf alte Sagen und Mythen, er greift mittelalterliche Aspekte auf, er betont die Natur und ihre Kraft, er spielt mit Traumszenen und phantastischen Momenten, er  psychologisiert die Erzählung, indem er seine Figuren Liebe, Begehren, Trauer, Angst durchleben lässt und er nimmt Bezug auf Schlegels Universalpoesie, wenn er z. B. lyrische Passagen in den Text einbettet oder der Abgeschiedenheit des Fischer-Wohnortes die volle und laute Stadt gegenüberstellt.

Diese Meisterwerk zu überarbeiten und neu zu fassen ist daher durchaus mutig, aber auch gefährlich. De Bruyn hat sich herangewagt und seine Neufassung ist ihm zumindest in Teilen geglückt. Zunächst, und das ist typisch für de Bruyn, verortet er die Handlung recht präzise in der brandenburgischen Spree-Region um Storkow und Beeskow, der selbst gewählten Heimat des Autors seit den 60er Jahren. Passend dazu heißt sein Ritter nicht mehr Huldbrand von Ringstetten, sondern Jobst von Strele, ein seit dem Mittelalter in der Niederlausitz bekanntes Herrschaftsgeschlecht. Regional angepasst ist daher auch der Ausflug, den das Trio am Ende der Erzählung unternimmt: Ziel ist nicht mehr Wien wie bei Fouqué, sondern der Spreewald.

Auch andere Veränderungen de Bruyns tun der Erzählung gut. Die Handlung bei de Bruyn ist klarer, stringenter und zudem chronologisch aufgebaut. Das, was bei Fouqué noch in für die Romantik typischen Binnenerzählungen rückblickend erzählt wird (z. B. wie das Fischer-Paar ihre Tochter verliert oder warum der Ritter zum Fischer kommt), wird bei de Bruyn der Reihenfolge nach berichtet.

Dennoch muss man leider feststellen, dass die Überarbeitung dem Text mehrheitlich geschadet hat. De Bruyn opfert für seine klare Erzähllinie leider die typisch romantische Erzählstimmung. Seine Neufassung ist weniger mythisch, weniger gruselig, weniger packend. Während bei Fouqué der Tausch der Kinder erst mitten im Buch aufgelöst wird, eröffnet de Bruyn dieses Rätsel gleich zu Beginn. Die stürmischen Nächte in der Fischerhütte, die Wanderung durch den Wald, die Flucht Bertaldas von der Burg – das kürzt de Bruyn, lässt es weg und modernisiert es in einem Sinn, der die Schönheit des romantischen Textes mindert. Zudem fehlt nun der bei Fouqué sehr deutliche Kontrast zwischen den idyllischen Tagen in der Natur und den hektischen Tagen in der Stadt. Da stört es kaum noch, dass nicht wie im Original die gemeine Bertalda den Ritter in den verfluchten Wald schickt, sondern ihr Vater, dass Undine ihren Mann nicht zu Tode weint wie bei Fouqué, sondern zu Tode küsst und dass gerade der romantische Schluss bei Fouqué von de Bruyn völlig verhunzt wird.

Insgesamt ist die Überarbeitung von Günther de Bruyn leider nicht gelungen. Als allein stehende Erzählung ist sie durchaus nett zu lesen – aber das Buch stellt dem bewusst die Original-Fassung entgegen und im Vergleich dazu kann de Bruyns Undine nicht mithalten. Er hat gerade das ausradiert und verändert, was den Zauber des Märchens ausmacht. Dennoch lohnt sich der Kauf des Buches. Zum einen natürlich wegen des Original-Textes im Anhang. Zum anderen aber wegen der zauberhaften Illustrationen von Jörg Hülsmann, der die Stimmung in seinen monochromen blau-gelben Bildern um ein vielfaches besser einfängt als es der Text von de Bruyn schafft.

Titelbild

Günter de Bruyn: Die neue Undine. Illustrierte Ausgabe.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
160 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783103970418

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