Wer oder was ist ein Zaunprinz?

Der österreichische Autor Ewald Baringer schreibt in „Der Zaunprinz“ mit federleichter Ironie über einen bindungsschwachen Schöngeist

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Buchtitel und die Umschlagszeichnung irritieren. Ein Zaunprinz müsste der Sohn des Zaunkönigs sein, die Abbildung stellt aber einen Gecko dar. Nennt man den auch Zaunprinz? Laut Internet offenbar nicht. Man findet dort die zaunbauende Firma „Zaun-Prinz“ und „Zaunprinz“, eine Erfurter Kunstwerkstatt, wo Tiere gebastelt werden. Zwischen dem Firmennamen und dem Buch von Ewald Baringer besteht kein Zusammenhang. Doch ein Denkanstoß kommt von dort: Der winzige Zaunkönig wird auch „Winterkönig“ genannt, weil er in Abwesenheit der größeren Zugvögel auftrumpft.

Das passt – in jeder Jahreszeit – zu Alfred, dem Romanhelden, der sich meist fehl am Platz fühlt, als Zaungast. Er sinniert viel, handelt selten. „Manchmal schien ihm sein ganzes Leben eine Ansammlung von Versäumnissen.“

Alfreds Lebensgeschichte wird nicht linear erzählt, sondern in knapp dosierten Erinnerungen, so dass man ihn nach und nach besser versteht, ohne ihn je ganz zu begreifen. Nicht auf alles kann hier eingegangen werden, nicht auf die demente Mutter, die gescheiterte Ehe, eine kumpelhafte und eine durchtriebene Freundin.

Zu Beginn des Romans kommt Alfred nach 35 Jahren wieder nach Rom. Ein dortiger Notar hat ihm geschrieben, er solle sich um die Hinterlassenschaft von Marianne kümmern. Sie war Auslandskorrespondentin und früher einmal Alfreds Freundin. Ihr Begräbnis hat er versäumt, weil er wegen einer Internetabstinenz zu spät von ihrem Tod erfuhr.

In der ihm vertrauten Villa redet Alfred mit dem ehemaligen Hausmeister über Marianne. Der sagt, sie sei unglücklich gewesen, sonst hätte sie sich nicht umgebracht. Alfred entgegnet, der Selbstmord stehe gar nicht fest, Marianne sei ertrunken. Auf die Frage, warum Alfred sie damals verlassen hat, gibt es eine simple Antwort: Er ging zurück nach Wien, als seine Arbeit in Rom beendet war, Marianne aber wollte bleiben.

Kennengelernt hatten sich die beiden bei einer Dichterlesung in Wien. Marianne war gerade aus den USA zurückgekehrt, Alfred lebte zurückgezogen in der Nähe von Wien. Seine Liebschaften gingen immer rasch zu Ende, was er nicht verstehen konnte.

Marianne begeisterte die Leute und ließ sie ebenso rasch wieder fallen. Um sie nach Italien begleiten zu können, ging Alfred als Austauschassistent zu einem Germanisten in Rom. Sein Thema dort war „Franz Kafka und Italien“. Alfreds Professor in Wien hielt es für nahe am Vaterlandsverrat, Kafkas Reisen nach Südtirol unter „Italien“ einzuordnen. Hier wird die ansonsten feine Ironie des Autors spitz – der patriotische Professor ist Ausländer.

Alfreds vier Semester in Rom wurden um zwei weitere verlängert, danach lehnte er einen Posten in Neapel ab. Die Literaturwissenschaft verlor für ihn an Anziehungskraft wegen einer „abgehobenen, selbstgefälligen Interpretationssucht und der dauernden Fragerei, was eigentlich der Dichter dem Leser denn habe sagen wollen“. Das Zitat wäre nicht der schlechteste Wandspruch für Rezensenten.

Der Abschied verzögerte sich durch eine dramatische Episode. Marianne, die gelassen mit der bevorstehenden Trennung umgegangen war, ließ den Intercity unter dem Vorwand stoppen, Alfred habe ein lebensnotwendiges Medikament vergessen. Die beiden verbrachten zwei Wochen in einer Pension, doch es half nichts. Alfred reiste wieder ab, und diesmal wurde der Zug nicht aufgehalten. Neben Marianne war sich Alfred wie „ein schwer erziehbarer Ersatzsohn“ vorgekommen, immer wieder gedemütigt und zurechtgewiesen.

Nach den drei Jahren in Italien strandete Alfred in der Yuppie-Welt in Wien. Auf einer dank Beziehungen eines Onkels eigens für ihn eingerichteten Planstelle in einem Ministerium schnitt er Zeitungsartikel aus. Später wurde diese Aufgabe ausgelagert, und Alfred erledigte Aktenkram. Schließlich überwarf er sich mit dem Chef und kündigte, auf die Beamtenpension verzichtend. Nun wollte er lesen, wandern und reisen, Kulturereignisse im In- und Ausland besuchen.

Bei einem kurzen Wiedersehen mit Marianne fand er sie alt und sie ihn aufgebläht. Betrunken zitierte sie Arnold Schönberg: „Der Mittelweg ist der einzige, der nicht nach Rom führt.“

Dort ist Alfred nun wieder. Als es Probleme mit dem Hotelzimmer gibt, bietet ihm ein Fremder eine unentgeltliche private Unterkunft an. Alfred solle alles als günstige Fügung sehen, sagt dieser Dottore Bavarese – er selbst wohne anderswo.

Alfred findet sich in einem Zimmer wieder, das er einst mit Marianne teilte. Dort klebte mit gespreizten Zehen ein glotzender Gecko an der Wand. Diese Tiere brächten Glück, hatte Marianne gesagt, die zwölf Jahre älter war als Alfred: er 25, sie 37.

Marianne hat für Alfred lediglich einen Zettel hinterlassen, mit dem italienischen Satz, es gebe keinen Mittelweg, gefolgt von einer Zahlenfolge, vermutlich einer Telefonnummer.

Ihren schwarzen Alfa Romeo Giulietta hat sie Pepe vermacht. „Ausgerechnet Pepe.“ Auf den war Alfred von jeher eifersüchtig. Der leichtfertige und witzige Musiker und Lebenskünstler ist vom Autor als das ganze Gegenteil des pflichtbewussten Alfred angelegt worden. Pepe hatte Marianne, wie sie sagte, den Psychotherapeuten erspart. Dem verkrampften Alfred nicht – der gab die Behandlung immer dann auf, wenn er Verachtung spürte.

Alfred trifft sich mit Pepe, und beiden tut es gut, über Marianne zu reden. Sie hatte über skandalöse Zustände in italienischen Tierheimen recherchiert, wo Mafiosi für jeden untergebrachten Hund staatliches Geld kassierten. Doch wo sind ihre Aufzeichnungen? Später erfährt Alfred, wie Marianne starb: Sie ging abends schwimmen und wurde am nächsten Morgen tot in einer kleinen Bucht gefunden. Herzversagen, kein Fremdverschulden.

Pepe erinnert sich, dass Marianne ihre Schmuggelware immer am Reserverad versteckte. Dort findet er einen USB-Stick. An einer Straßensperre kontrolliert die Polizei nur ihn gründlich. Ein Polizist baut das Reserverad aus, aber der Stick ist schon in Pepes Jackentasche.

Wieder in Wien, erfährt Alfred vom Stick. Pepe hat darauf verschlüsselte Zeichen gefunden. Alfred fliegt nach Rom und mailt den Code, den er für eine Telefonnummer hielt, an Dottore Bavarese, von dem er nun weiß, dass er in der Anti-Mafia-Behörde arbeitet. So wird der Riesenskandal um die Tierheime publik, doch rasch verebbt die mediale Aufmerksamkeit.

Alfred macht wie früher bei „Amnesty International“ mit und bildet dort ein Team mit einer verheirateten Frau. Auch diese Beziehung führt er in Halbdistanz, was typisch für ihn ist. Denn Alfred ist bindungsschwach und schätzt vor allem Kontakte im Internet, solange sie nicht physisch werden.

Mehr als die Erlebnisse des immer geduckten Alfreds faszinieren der beschwingte Erzählton und die oft wie gemeißelten Formulierungen des Autors Ewald Baringer, der zudem die Kunst der federleichten Ironie beherrscht. Seine Figuren werden von ihm nicht in grelles, sondern in mildes Licht gerückt.

Titelbild

Ewald Baringer: Der Zaunprinz. Roman.
Limbus Verlag, Innsbruck 2021.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783990392065

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