Eine dunkle und subversive Intelligenz

Ein Gespräch mit dem schottischen Musiker und Schriftsteller Nicholas Currie alias Momus über David Bowie

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Nicholas Currie, der gemeinhin unter seinem Künstlernamen Momus – der Gott des Spottes – aufnimmt und schreibt, ist Zeit seines Lebens ein glühender Verehrer von David Bowie gewesen und hat diesen auch häufig als eine seiner größten künstlerischen Inspurationsquellen genannt. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Popmusiker reflektiert Momus in seiner Musik auf verschiedenen Ebenen immer wieder das Werk des vor sechs Jahren verstorbenen Bowie. Sascha Seiler sprach für literaturkritik.de mit Momus über seine immer noch lodernde Leidenschaft für den Künstler und dessen Bedeutung für die Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts.

 

literaturkritik.de: Sie haben sich Ihr gesamtes künstlerisches Leben intensiv mit David Bowie auseinandergesetzt. Wie fing diese Leidenschaft für Sie an?

Momus: Ich war im Jahr 1972 Internatsschüler, als Bowie mit Ziggy Stardust seinen Durchbruch schaffte. Ich war damals zwölf Jahre alt, ein eher unglückliches Kind, da ich mir wie ein Gefangener vorkam. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich vor allem T. Rex gehört, aber Bowie erschien mir plötzlich viel faszinierender und bedeutender. Im obersten Stockwerk des Internatsgebäudes gab es ein Zimmer – den so genannten „Senior Common Room“ –, in dem nicht nur ein Plattenspieler stand, sondern auch vier seiner Alben vorhanden waren. Damals haben Songs wie „All The Madmen“ und „The Bewlay Brother“ regelrecht zu mir gesprochen. Bowie wurde für mich zu einem imaginären Freund und seine Vorstellungskraft projizierte eine dunkle und subversive Intelligenz in meine graue Welt voller schottischer Rugbyfelder, Regeln und Uniformen.

literaturkritik.de: Wie hat er Sie dann als Musiker beeinflusst?

Momus: Seltsamerweise war es gerade sein Mainstream-Erfolg, der mir das Selbstvertrauen gab, zu scheitern. Es kam mir so vor, als sei er nur ein Popstar geworden, damit ich von dieser Bürde befreit war. Persönlich zog ich meine Inspiration aus seinen kommerziell weniger erfolgreichen Alben und wurde zu dem ‚Bowie, der gescheitert ist‘, oder auch zu einem eher ungenießbaren und stacheligen Bowie. Aber darüber hinaus war es mit Sicherheit sein Talent auf so vielen Gebieten sowie seine Verspieltheit, die mich am meisten inspiriert haben. Ich finde auch, in seinem Fall können mit Recht den Begriff ‚Genie‘ verwenden. Es ist ja immer schwer festzumachen, was das ist, aber wir erkennen es, wenn wir es sehen.

literaturkritik.de: Eine fast überflüssige Frage, aber halten Sie sein ständiges Rollenspiel für einen elementaren Faktor seiner Arbeit?

Momus: Ja, im positiven wie auch im negativen Sinne. Es gab da so eine Seite an ihm, die immer zu genau dem mutieren konnte, was die Menschen von ihm sehen wollten. Und das führte – für einen großen Teil der 80er und 90er Jahre – zu einem schrecklichen Scheitern. Aber natürlich ist sein Rollenspiel auch eine Erweiterung der Vaudeville-Tradition, in der Sänger zu Personae wurden, die sie dann auf der Bühne der Music Halls verkörperten. Harry Gordon betrat sie als Laird of Inversnecky, Frank Randle als The Hiker oder May Wall als Professor Walloofski. Diese Charaktere waren überzeichnet und überlebensgroß, aber gleichzeitig waren sie eine Möglichkeit für den Interpreten, Aspekte seiner eigenen Persönlichkeit zu verstärken, die ihm vielleicht von besonderer Bedeutung erschienen. Es ist ja, als ob eine Person Schauspieler und Drehbuchaustor gleichzeitig ist. Gleichzeitig ist es natürlich auch eine Möglichkeit, die eigene Schüchternheit zu besiegen, oder vielleicht auch das Gefühl, aus sich selbst heraus nicht interessant genug zu sein.

literaturkritik.de: In welcher seiner Phasen, glauben Sie, haben wir den wahren David Bowie erspähen können?

Momus: Eine Sache, die Bowie immer wieder erzählte, war, dass er viel gewöhnlicher und normaler sei, als die Menschen von ihm vermuten würden. Er verglich sich selbst mit dieser uncoolen Figur aus seinem Jazzin‘ for Blue Jean-Video, er war mehr Vic als Screaming Lord Byron. Er rollte auch immer seine Augen, wenn ein Interviewer ihn nach dem ‚wahren David Bowie‘ fragte und sagte dann oft: „Naja, wirklicher als jetzt wird’s nicht.“

literaturkritik.de: Welche Phase seiner Karriere ist Ihnen selbst am Wichtigsten?

Momus: Ich mag die Berlin-Trilogie am liebsten, und hier insbesondere das Album Lodger. Es ist das avantgardistischste, postmodernste und experimentellste seiner Alben. Es reflektiert aber auch den globalen Kosmopolismus, der in meinem eigenen Leben sehr bedeutsam wurde, denn wir hören hier musikalischen Input aus Japan, Berlin, Afrika, usw.

literaturkritik.de: Eine neue Form von Sexualität in eine männlich-dominierte Popmusik zu bringen war Anfang der 70er Jahre ein mutiges Unterfangen. Wie erinnern Sie sich daran?

Momus: Ich war etwas geschockt, als ich die Bilder von Bowie in weiblichem Make-Up und knappen Trikots in den Schaufenstern von Plattenläden in Edinburgh zu sehen bekam, aber es hat mich aufgeregt und mich möglicherweise zu einer eigenen kleinen ‚bisexuellen Phase‘ damals im Internat inspiriert (ich begann eine eher harmlose Affäre mit einem chinesischen Jungen). Aber Sie müssen natürlich auch bedenken, dass diese Sachen in den frühen 70ern einfach in der Luft lagen. Männer und Frauen teilten sich zum ersten Mal ihre Klamotten und Frisuren und in der Schule kursierten dauernd Gerüchte, dass so ungefähr jeder Rockstar, den man auch nur erwähnte, schwul war. Man sagte beispielsweise, dass Marc Bolan es mit Micky Finn, seinem hübschen Bongo-Spieler, trieb.

literaturkritik.de: Meiner Meinung nach ist das Faszinierendste an Bowies Persona, dass er dieses Spiel bis in seinen Tod hinein weiterführte. Er inszenierte sich quasi vorab als Toten, als er bereits wusste, dass er bald sterben würde. Da sind etwa die ganzen versteckten Botschaften auf dem Blackstar-Album, oder im Video zu „Lazarus“.

Momus: Es war sozusagen eine Weiterführung der steten Anspielungen. Nur, dass es sich nun nicht mehr um Sexualität dreht sondern um den Tod…

David Bowie – Lazarus

literaturkritik.de: Und wie fanden Sie Blackstar?

Momus: Naja, mir fehlte da etwas das Sexuelle des jüngeren Bowie, aber den Titeltrack fand ich tatsächlich sehr evokativ und interessant. Im Nachhinein wünsche ich mir, er wäre in seiner gesamten Karriere so kunstvoll und abenteuerlustig gewesen. Von den späten Songs gefällt mir allerdings „No Plan“ am besten, weil er einfach herzzerreißend schön ist. Allerdings geht es mir bei Blackstar wie vielen anderen Leuten: Das Album vor seinem Tod zu hören ist eine gänzlich andere Erfahrung, als es danach zu hören. Und tatsächlich, es fällt mir sehr schwer, es mir heute anzuhören, in dem Wissen, dass es sein Abgesang ist.

literaturkritik.de: Das geht mir auch so, ich habe es nach seinem Tod nie wieder gehört und es zudem vier Jahre lang am Ort stehen lassen, wo ich es zuvor hingestellt hatte. Meinen Sie denn auch in diesem Zusammenhang, dass es die Essenz eines jeden Künstlers ist, sein Leben letztendlich vollends zur Kunst zu machen?

Momus: Ja. Ich denke, er war voll und ganz Künstler. Wenn Sie sich irgendein einzelnes Bestandteil seiner Kunst ansehen – etwa die Texte, sein Saxophonspiel, die Frisuren, die Bewegungen, die Plattencover, was auch immer – so erscheinen sie vielleicht nur angemessen, aber wenn Sie sie zusammennehmen, ergeben sie das, was man im Deutschen so schön ‚Gesamtkunstwerk‘ nennt, und das ist bekanntlich viel mehr als die Summe der einzelnen Teile. Ich denke allerdings nicht, dass sein Leben an sich das Benzin war, das ihn angetrieben hat, sondern die Kultur als Ganzes, diese Begeisterung, innerhalb der Kultur zu arbeiten, Dinge zu erschaffen. Das ist auch der Grund, warum er andere Künstlern viel mehr anspricht als die allgemeine Öffentlichkeit.

literaturkritik.de: Sehen Sie hier Parallelen zu Ihrer eigenen Kunst? Wobei Sie anders als Bowie auch als Schriftsteller Dinge erschaffen…

Momus: Ich bin kohärenter und einheitlicher als Bowie. Ich habe zum Beispiel nie ein Album gemacht, dass so schrecklich ist wie Tonight. Und ich denke, meine Themen sind einfacher zu erklären und zu rechtfertigen. Das ist im Übrigen etwas, das ich sehr gerne mache, ganz anders als Bowie, der sich dem ja immer entzogen hat, weil er glaubte, ein Song setzt sich erst in der Vorstellungskraft der Hörer zusammen. Sehen Sie: Die Story um Ziggy Stardust ist auf dem Papier ein heilloses Durcheinander, aber es ist genau diese Unbestimmtheit, welche die Platte in den Köpfen der Hörer zum Leben erweckt – jeder kann etwas anderes für sich mitnehmen. Ich wiederum schikaniere die Leute immer ein wenig mit sehr straffem Schreiben und einer klaren politischen Linie. Aber das kommt vielleicht auch daher, weil ich als Schriftsteller einen Verleger im Kopf habe. Und der würde es mir nie gestatten, eine Zeile wie „Passionate bright young things takes him away to war“ zu schreiben. Er würde sich sofort melden und sagen: „Wo bleibt hier die Subjekt-Verb-Verbindung, Nick?“

literarkritik.de: Haben Sie David Bowie eigentlich jemals getroffen?

Momus: Ach, leider nicht! Es gab mal ein kleines Fünkchen Hoffnung als das Index-Magazin vorhatte, ein Interview mit ihm zu seinem kommenden Album Toy zu machen, aber Toy ist ja bekanntermaßen nie erschienen. Ich hatte allerdings zumindest ein wenig Online-Interaktion mit ihm auf Bowienet, und er hat über seine Website reagiert, als ich eine Coverversion von „Where Are We Now?“ veröffentlicht habe. Er schrieb: „Das ist so cool!“ Zu behaupten, ich sei erfreut gewesen, wäre eine schamlose Untertreibung.

Momus – Where Are We Now? (David Bowie Cover)