Im Reich der Larmoyanz

Rachel Cusks neuer Roman „Der andere Ort“ erzählt die Geschichte einer Frau, die sich ihrer scheinbaren Machtlosigkeit ergibt

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein einsames Haus an der Küste, ein älteres Ehepaar, ein Sonderling im Gästehaus, der zum psychotischen Eindringling wird. Nein, Rachel Cusks neuer Roman Der andere Ort ist kein klischeebehafteter Psychothriller, der einen der gängigsten Plots der Gegenwartsliteratur wiederkäut, sondern versucht, ein stilles Psychodrama zu sein, das vom Altern, von der Einsamkeit, der Unmöglichkeit der Liebe, der Macht des Patriarchats und, nicht zu vergessen, der zerstörerischen, aber auch heilsamen Kraft der Kunst erzählt. Und das alles auf einmal.

Eine Frau, die sich selbst nur N. nennt, erzählt davon, wie sie gemeinsam mit ihrem Mann Tony einen weltberühmten, aber mittlerweile verarmten Künstler, der auch nur L. genannt wird, in ihr Ferienhaus an einem abgelegenen Küstenort einlädt. Bereits öfter hatte das Paar im Gästehaus, das N. stets den „anderen Ort“ genannt hat, Künstler zur Inspiration für ein paar Monate eingeladen, um dort in Ruhe schreiben oder malen zu können. Doch mit dem zwielichtigen L. verhält es sich anders: Unangekündigt bringt er seine junge High-Society-Freundin mit, beide benehmen sich in den folgenden Wochen nicht nur daneben, sie provozieren N. in einem fort, fordern sie heraus, während Tony und die dank Corona wohnungslos gewordene und zu ihrer Mutter gezogene Tochter aus erster Ehe (samt peinlichem Freund) allesamt gut mit dem merkwürdigen Pärchen auszukommen scheinen.

Der Fokus des Romans liegt auf der Unfähigkeit seiner Erzählerin, sich ihrer Rolle in der Welt bewusst zu werden; dass sie sich letztlich den ungeschriebenen Gesetzen des Patriarchats hingibt, ohne darüber zu reflektieren, und den Ausweg aus ihrer letztlich trostlosen und in gewisser Weise unaufgeklärten Existenz stets nur im Übergang von einem Abhängigkeitsverhältnis zum anderen sieht. Der Künstler L. soll dabei die Rolle des Augenöffners spielen – sowohl das Verhältnis zu Tony als auch zu ihrem nicht auftretendem Ex-Mann sind von eindeutigen Machtverhältnissen geprägt – , versucht aber gleichzeitig mit perfiden, manipulativen Methoden, sein verletztes Ego an N. auszuleben, was ihm letztlich auch gelingt.

Das Ganze versucht Rachel Cusk, Autorin der viel gelobten Outline-Trilogie, in einen spannenden, bisweilen einen Thriller andeutenden Plot zu packen, dessen Wirkung jedoch stets von der unerträglichen Larmoyanz der erzählenden Hauptfigur unterwandert wird. Auch deswegen fragt man sich durchweg, warum N. den nervenden Hausgast, der dazu auch noch ihr Eigentum verwüstet, nicht einfach rausschmeißt. Aber vielleicht ist diese Weigerung zur Ausübung einer Macht, die sie durchaus hat, ja die zentrale Metapher des Romans. Einem Roman, dessen Grundidee vielversprechend, dessen Ausführung jedoch in Teilen seltsam unbefriedigend ist.

Titelbild

Rachel Cusk: Der andere Ort. Roman.
Aus dem Englischen von Eva Bonné.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
250 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783518430187

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