Ein Vierteljahrhundert lebte Franz Fühmann in Märkisch Buchholz

Das neue Heft der „Frankfurter Buntbücher“ erschließt sein Leben und Wirken in der Abgeschiedenheit

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Franz Fühmann (1922-1984) war einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kaum ein Dichter seiner Generation hat sich so radikal mit den Brüchen und Verirrungen in der eigenen Biografie auseinandergesetzt. In der Jugend vom Nationalsozialismus geprägt, sowjetische Kriegsgefangenschaft, Wahlheimat DDR, dort zunächst glühender Marxist und schließlich DDR-Kritiker – die eigene politische Wandlung war für ihn stets eine literarische Aufarbeitung. In der DDR gehörte er zu den bekanntesten Autoren, während er im Westen mehr oder weniger unbekannt war.

In der Reihe „Frankfurter Buntbücher“ beleuchtet der Schriftsteller Paul Alfred Kleinert, der auch Mitbegründer des internationalen Franz Fühmann Freundeskreises ist, das Vierteljahrhundert, das Fühmann im brandenburgischen Märkisch Buchholz gelebt und gewirkt hat. Der in einer böhmischen Kleinstadt am Rande des Riesengebirges geborene Fühmann fand hier im Mai 1958 im Alter von 36 Jahren eine neue Heimat. Eine enge Beziehung zum „Märkischen Sand“ sollte sich jedoch nicht einstellen. „Die Reisen nach Preußens Schoß haben mir deutlich gemacht, was ich eigentlich bin: ein österreichischer Schriftsteller in einem Land, dem dankbar zu sein ich genaue historisch-politische Gründe habe. Aber dadurch werde ich nun einmal nicht zu einem Eingesessenen.“

Die Kaufsumme für das bescheidene Blockhaus in Märkisch Buchholz, in das er mit Ehefrau Ursula Böhm (1924-1996) und Tochter einzog, speiste sich aus dem 1957 erhaltenen Nationalpreis (III. Klasse). An seiner Staatstreue gab es zu dieser Zeit keine Zweifel. Angesprochen auf sein neues Schreibdomizil, äußerte Fühmann: „Berlin ist mir zu laut, ich kriege dort keine Luft. … Das (Häuschen) neidet man mir nicht. Das will keiner haben.“ Und da er kein Telefon in der Abgeschiedenheit besaß und „die Post Wochen dauert“, waren die Kontakte nicht nur nach Berlin sehr beschränkt.

In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Märkisch Buchholz entstand u.a. Das Judenauto (1962), eine literarische Vergegenwärtigung und Abrechnung seines bisherigen Lebens. Andere Arbeiten waren die Lidice-Kantate (1959), Stürzende Schatten (1959), Böhmen am Meer (1962) oder die Kinderbücher Vom Moritz, der kein Schmutzkind mehr sein wollte (1959) und Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen (1960). In diese Zeit fiel auch die Zusammenstellung seines letzten Gedichtbandes Die Richtung der Märchen (1962). Darüber hinaus waren die 1960er-Jahre geprägt mit der Auseinandersetzung mit dem Werk von Ernst Barlach (1870-1938). Zudem war Fühmann viel in Ungarn und der Tschechoslowakei unterwegs, wo er Freundschaft mit Ludvik Kundera (1920-2010), Gábor Hajnal (1912-1987) und Paul Kárpáti (1933-2017) schloss. Das Jahr 1968 erwies sich als ein Schicksalsjahr. Neben dem „Prager Frühling“, der zur Distanz zum DDR-Staat führte, begab sich Fühmann nach jahrelangem Alkoholkonsum auf Entzug in eine Psychiatrische Klinik. Später gab es jedoch immer wieder Rückfälle.

Das kleine Anwesen wurde immer mehr zum „Refugium, Fluchtpunkt, Mönchsklause und Asyl“. Mitunter war sogar die Blechgarage „Ort der Arbeit“, wo er Witterung und Temperatur ausgesetzt war. Seitdem vom Militärflugplatz der Sowjetischen Armee in Sperenberg die Düsenjäger starteten, wurde die gesuchte Ruhe jedoch immer öfters gestört. In den 1970er-Jahren war Fühmann mit Sigmund Freud und Georg Trakl befasst und stieß mit Auswahlbänden die bis zu diesem Zeitpunkt verschlossenen Türen in der DDR für beide Autoren auf. In seinen letzten Jahren entdeckte Fühmann für sich das Medium Hörspiel. 1983 musste er sich mehreren Operationen unterziehen. Es zog ihn immer wieder nach Märkisch Buchholz, doch meist fehlte ihm die Kraft dazu. Fühmann starb am 8. Juli 1984 im Alter von 62 Jahren in der Charité zu Berlin. Auf seinen Wunsch hin wurde er in Märkisch Buchholz beerdigt.

Neben der biografischen Spurensuche, die auf zahlreiche Briefe, Tagebuchnotizen und Interviews zurückgreift, gibt Kleinert auch einen Überblick über Fühmanns Schaffen in Märkisch Buchholz, wo ein Großteil seines Werkes (Kinderbücher, Gedichte, Essays, Erzählungen und Briefe) entstand. Das neue Heft der „Frankfurter Buntbücher“, das zum 100. Geburtstag (15. Januar) des Schriftstellers erschien, ist mit zahlreichen Fotos ausgestattet. Beigelegt ist außerdem das Faksimile eines bisher unveröffentlichten Briefes (26.5.81) Franz Fühmanns an Anke Knieper (1938-2021), die zu den Gründerinnen der Westberliner Autorenbuchhandlung gehörte und die Fühmann freundschaftlich eng verbunden war. In dem Brief beschreibt er (mit Skizze) der Bekannten, die ihn erstmals besuchen will, wie sie mit dem Auto sein „Häuslein“ in der märkischen Einöde findet.

Das Blockhaus und die zugehörige Garage existieren heute noch und im Ort gibt es ein Franz Fühmann Literatur- und Begegnungszentrum, das 1997 von der ehemaligen Lehrerin Irmgard Pöche (1931-2013) begründet und 2012 erweitert und modernisiert wurde.

Titelbild

Paul Alfred Kleinert: Ein „österreichischer Schriftsteller“ im Brandenburgischen. Franz Fühmann in Märkisch Buchholz.
Frankfurter Buntbücher 70, Kleist-Museum Frankfurt (Oder).
vbb Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2022.
32 Seiten , 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783969820322

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