Ein Schlag ins Wasser
Im Roman „Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen“ von Janine Adomeit ist bei der Entdeckung einer Heilquelle ordentlich Sand im Getriebe
Von Andreas Urban
Anfänge, die keine sind – das ist das Thema des Debütromans Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen aus der Feder von Janine Adomeit. Eigentlich ist es sogar eine Nichtgeschichte, in der es um die Hoffnungen auf ein anderes Leben geht sowie das Gespür für Moral einer Gruppe von Menschen am Rande der Gesellschaft und eher weniger um das konkrete Handlungsgeschehen. Doch worin besteht das äußere Handlungsgerüst?
In dem verschlafenen Kaff Villrath, dem Tor zum Ahrtal, wird eine Quelle für heilendes Wasser wiederentdeckt. 17 Jahre zuvor bescherte sie der Gemeinde hohe Bekanntheit und lebhaften Tourismus. Es gab nicht wenige Villrather, für die die sprudelnde Marienquelle Wohlstand und eine Erfüllung von Träumen bedeutete. 1987, so erzählt der Roman, erhielt Villrath sogar den Preis für die schönste Innenstadt. Doch dann, nach einem Erdbeben, versiegte die Quelle und Villrath verfiel in einen Dornröschenschlaf. Die „Politik […] war nie mehr in die Pötte gekommen. Man hatte die Stadt vergessen; rund fünftausend Leute, einfach so.“
Entsprechend groß sind die Hoffnungen der Bevölkerung, die sich nun mit der Wiederentdeckung der Heilquelle anlässlich von Bauarbeiten der Bahn verbinden. Wie erwähnt, ihre Entdeckung bleibt nur ein äußerer Anlass für die Geschichte, die hier in Gang gesetzt wird. Vielmehr erzählt Adomeit von den verlebten Träumen und den wiedererwachten Hoffnungen auf ein besseres Leben im Milieu der kleinen Leute und pickt sich dafür drei Bewohner Villraths heraus.
Da ist zum einen Vera Beutel, Wirtin einer mäßig gut besuchten Kneipe, die nun ihre Chance gekommen sieht, endlich ihren eigenen Friseursalon zu eröffnen. Nach ihrer Ausbildung zur Friseurin im Städtchen war sie 1987 zudem die 14. und damit letzte Nixe – so eine Art Schönheitskönigin und Glücksbringerin – des Kurorts Villrath vor der Katastrophe, als die Quelle noch Massen von Touristen anzog. Die Geschichte des Romans wird vor allem aus ihrer Perspektive geschildert.
Zum anderen ist da ihr übergewichtiger 16-jähriger Sohn Johannes. Als Hilfskraft eines Schrottsammlers spart er sich das Geld für seinen Motorradführerschein zusammen. Der mäßig begabte Schüler ist ein Einzelgänger, er ist unglücklich in seine Klassenkameradin Ela verliebt und träumt die ganze Zeit davon, schon bald Teil einer Biker-Community zu werden.
Die dritte Person, aus deren Perspektive der Roman schwerpunktmäßig erzählt, ist der 80-jährige Kamps, ehemals Schlossermeister. Trotz seines betagten Alters legt er sich nachts mit einem Gewehr bewaffnet vor seinem Haus auf die Lauer, um Einbrecher zu überraschen. Der gesetzestreue Kamps, dem es in allen Lebenslagen stets um Korrektheit geht, hat sich schon häufiger bei der Stadt über Vandalismus sowie Einbrüche beschwert. Doch sein Flehen, eine Bürgerwehr oder dergleichen einzurichten, wurde nicht erhört. Damit ist nur eine der Lunten gelegt, die zu den kleineren und größeren Katastrophen in diesem Roman führen.
Diese einzelnen Erzählstränge (und diejenigen der Nebenfiguren) führt Adomeit immer wieder sehr souverän zusammen. Durch ihren geschmeidigen Erzählstil entsteht ein unterhaltsamer Roman, der sich bestens lesen lässt. Mehr noch: Adomeit baut immer wieder spannende Bezüge und überraschende Querverbindungen der Figuren untereinander ein. Das treibt die Geschichte voran und erhöht die Freude an der Lektüre. Die Psychologie ist in allen Fällen gut gelungen. Mit ihrem inneren Wertekompass stehen sich die drei Hauptfiguren Vera, Johannes und Kamps bei ihrem Streben nach Glück zwar selbst im Weg. Aber so sind es eben gute Menschen, die gar nicht daran denken, über Leichen zu gehen, um die eigenen Träume zu verwirklichen.
Hinzu kommt die authentische Alltagssprache der Romanfiguren. „So war das nämlich: Die Zeit setzte sich einem mit dem Hintern aufs Gesicht“, sinniert Kamps zum Thema Lebenserfahrung, die man einem Menschen am Gesicht ablesen könne. Es ist ein durchgehend lässiger Erzählton der einfachen Leute, der zunächst auch gefällt. Bereits der Einstiegssatz ist richtig schön: „Es war zu warm für die Jahreszeit, auch sonst stimmte nichts.“ Peng. So einfach und klar möchte man das lesen. Genau die richtige Einstimmung auf das Thema des Romans, das Scheitern und Nichtgelingen.
Auf den ersten Seiten nimmt man auch noch gern in Kauf, immer wieder „gewöhnt“ und „weitergewunken“ oder „zugewunken“ zu lesen, obwohl es eigentlich „gewohnt“ und „gewinkt“ heißen müsste (auch wenn der Duden das nichtexistierende Wort „gewunken“ mittlerweile in sein Korpus aufgenommen hat).
Auf der doch etwas lang geratenen Strecke von über 400 Seiten entwickelt sich dieser Ton allerdings ein wenig zum Problem. Nicht nur, weil das Lesevergnügen im Laufe des Buches leicht abnimmt. Es geht um etwas anderes. Der Ton, in dem Adomeit ihre Geschichte erzählt, lässt keine Empathie der Autorin gegenüber den Figuren erkennen. Und diese ironische Distanz, die die Autorin ihren eigenen Figuren gegenüber einnehmen möchte, kann einen nicht wirklich für die Geschichte und die Figuren einnehmen. Ein Stück weit lesen sich die Geschichten der drei Villrather Bürger doch etwas beliebiger, als sie sein sollen.
Die neuentdeckte, noch offenzulegende und fruchtbar zu machende Quelle dient im Roman als Sinnbild für ein Warten auf bessere Zeiten, auf die kleinen Annehmlichkeiten im Leben. „Dafür nahm man Durststrecken schließlich in Kauf. Dass sie endeten. Das Gute zurückkehrte“, geht es Vera durch den Kopf. Später findet sie, sie sei „kurz davor, eine Tür aufzustoßen in ein Leben, das sie verdient hat.“ Davon, von diesen Hoffnungen und nicht etwa vom tatsächlichen Wiederaufbau einer Stadt als Kurort zu lesen, ist unterhaltsam. Allerdings ist die Geschichte auch etwas zu lang geraten und ein wenig zu distanziert geschildert, um restlos mit ihr einverstanden zu sein.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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