„Reden geht nicht, schweigen will ich nicht“

Über die Neuausgabe des Briefwechsels zwischen Christa Wolf und Franz Fühmann

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon die ersten Briefe geben den Ton an. Es werden Manuskripte ausgetauscht und sie machen sich gegenseitig Mut: „Schlechte Zeiten für Nerven. Allerdings kann man mit Wut was machen. Die soll’n mich nicht unterkriegen“, schreibt Christa Wolf im November 1968, dem Jahr des Prager Frühlings, an ihren Schriftstellerkollegen Franz Fühmann und wünscht ihm, sich an der Seeluft zu stärken. Fühmann, auf Entziehungskur in Rostock, was Christa Wolf damals nicht weiß, antwortet umgehend: „Mein Zustand ist schon sehr gut. Ich lese ganz ohne Aufregung, ganz gelassen, ganz ruhig die Tagespresse, vor allem mein Lieblingsblatt“. Gemeint war damit das Neue Deutschland.

Die Gelassenheit war nicht von Dauer; die Brieffreundschaft schon. Bis zu seinem Tod 1984 standen Franz Fühmann und Christa Wolf im Austausch. Veröffentlicht wurde der Briefwechsel erstmals 1995, noch zu Lebzeiten Wolfs, als Zeugnis der DDR-Geschichte. Nun, zum 100. Geburtstag Franz Fühmanns, ist der Band mit dem Titel Monsieur – wir finden uns wieder in einer Neuausgabe erschienen. Vier Postkarten und ein Telegramm, die sich noch im Christa-Wolf-Archiv fanden, konnten hierbei ergänzt werden, die Ausgabe selbst wurde überarbeitet und erscheint in frischerem, modernem Schriftbild.

Hatte Wolf bereits 1995 als Grund für die Veröffentlichung der Briefe als „authentische Zeugnisse“ die „Unkenntnis über die konkreten Umstände, unter denen in der DDR Literatur entstand und Schriftsteller miteinander umgingen“, genannt, so dürfte diese Unkenntnis nicht geringer geworden sein. Dies macht die sorgfältigen Erläuterungen und Anmerkungen der Herausgeberin Angela Drescher zu den einzelnen Briefen besonders wertvoll. Ein ergänzendes aktuelles Nachwort zu Franz Fühmann über die Texte Wolfs hinaus (Nachwort Wolfs, ihre Trauerrede aus dem Jahr 1984 und eine Rede zur Namensgebung der Franz-Fühmann-Schule in Jeserig 1995) wäre aber doch zum Fühmann-Jubiläum eine Überlegung wert gewesen.

So allerdings sprechen die Briefe für sich – und zeigen einen Autor, der sein Gegenüber stets unterstützte und motivierte („Christa, Dein Brief über die B. [Bettine von Arnim] ist hinreißend! Ich habe bisher kaum zu einem Essay so Ja sagen können“), aber auch rigoros ehrlich und deutlich war (am 1.1.1981 auf einer Postkarte: „Leute, das wird ein Jahr & Jahrzehnt – nun denn! Leute, wird das beschissen werden!“). Zentrales Thema, um das sich die Mehrheit der Briefe dreht, war die Kulturpolitik der DDR („unser Thema, von dem wir besessen waren“, so Christa Wolf hierzu in ihrer Trauerrede). Und so liest sich der Briefwechsel wie ein Schnelldurchgang durch die wichtigsten Stationen der DDR-Kulturgeschichte, von den Andeutungen zum Prager Frühling über den Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und den Weggang zahlreicher Schriftsteller:innen aus der DDR (von Sarah Kirsch bis Erich Loest) bis zur Zensur (u. a. der Frankfurter Vorlesungen Christa Wolfs). Immer wieder finden sich Schreiben an Politiker, Funktionäre und Kultur-Verantwortliche im Briefwechsel, die sich Wolf und Fühmann gegenseitig zur Kenntnis schickten, so zum Beispiel Wolfs Intervention 1977 direkt bei Erich Honecker zugunsten junger Leute, die aufgrund ihres Einsatzes für eine Rückkehr Wolf Biermanns in die DDR in Untersuchungshaft saßen, oder Fühmanns Schreiben an Konrad Wolf 1979, in dem er eine ihm gefährlich erscheinende Formulierung „in Propagandasprache“, die Konrad Wolf in einem Referat verwendet hatte, konsequent analysierte und sezierte.

Immer wieder setzte sich auch Fühmann für (vor allem auch jüngere) Kolleg:innen ein, die Schwierigkeiten mit dem Staatsapparat bekamen. Und immer wieder plädierten Wolf wie Fühmann für mehr Öffentlichkeit und Offenheit. „Ich möchte […] meinen Glauben an eine mögliche Bereitschaft meines Staates nicht aufgeben, sich kritischer Literatur auch dann nicht zu versagen, wenn diese Kritik wehtut und Ärgernis schafft“, schrieb Fühmann im Brief an Konrad Wolf am 28.12.1981. Freilich war zu diesem Zeitpunkt die Frage „Wozu?“ längst ebenfalls ausgesprochen, hatten die Diskussionen und Debatten ihre Spuren hinterlassen, wenn Wolf längst Kongressen fernblieb („Reden geht nicht, schweigen will ich nicht, trottlig dabeisitzen?“) und Fühmann bei sich eine Bitterkeit feststellte, die er eigentlich nie haben wollte.

Von diesem sich schleichend verstärkenden Gefühl der Lähmung, der Resignation und Hoffnungslosigkeit ist der Briefwechsel ein Zeugnis, aber ebenso von einer echten Freundschaft unter Schriftsteller:innen, von zwei Schreibenden, die einander zuarbeiteten, einander ermutigten und sich stützten. „Hier, am Ort des tiefsten Schmerzes, an dem Ort, der uns am Gründlichsten in Frage stellte, war unser Lebensstoff“, betonte Wolf noch einmal im Nachwort der Briefausgabe, warum sie und auch Fühmann die DDR trotz aller Resignation nie verlassen haben. „Man kann es belächeln, bestreiten, ignorieren. Aber so ist es gewesen.“ Mit der Neuausgabe von Monsieur – wir finden uns wieder kann man es nun auch wieder nachlesen und vielleicht sogar ein bisschen nachvollziehen.

Titelbild

Christa Wolf / Franz Fühmann: Monsieur – wir finden uns wieder. Briefe 1968–1984.
Hg. von Angela Drescher.
Aufbau Verlag, Berlin 2022.
200 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783351039585

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