Verloren zwischen West und Ost

Der in einer deutsch-indischen Familie geborene Krisha Kops begibt sich in „Das ewige Rauschen“ auf eine ebenso irritierende wie faszinierende Weise auf die Suche nach Heimat und Identität

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krisha Kops Ich-Erzähler ist ein alter Banyana-Baum, einer jener Bäume, unter denen Siddharta Gautama seine Erleuchtung erlangte. Durch seine Blätter und Luftwurzeln ziehen die Winde Vayu und Rudra und bringen Kunde aus der ganzen Welt. Er erzählt eine Geschichte zwischen Ost und West, von Polen über Rügen und Kroatien bis nach Indien und zurück und spannt dabei einen Bogen vom frühen 19. bis in das 20. Jarhundert. Es ist eine „Geschichte des Dazwischen, des Halb, des Viertel-Viertel-Viertel, des Alles und des Nichts“, eine Geschichte „eines Werdens, einer Metamorphose, von Tod und Wiedergeburt, Verlust und Gewinn“. Die historische Folie bilden dabei Krieg und Kolonialismus.

Die Geschichte nimmt ihren Anfang bei einem indischen Tomatenbauern und einem an der Ostsee geborenen Mädchen und führt über zwei Generationen und Vertreibung, Flucht und Migration zu Ramu und Marlis. Ramu kommt irgendwann in den vermutlich 1960er Jahren aus Indien nach München, um bei Osram in der Forschung zu arbeiten und zu studieren und ist „der geborene Geschäftsmann“ und Geschichtenerzähler. Er zieht einen regen West-Ost-Handel auf, wird reich, lebt, als gäbe es kein Morgen und verliert alles beim Roulette und muss ins Gefängnis. 

Als er wieder rauskommt lernt er Marlis kennen, deren Mutter von einem italienischen Gastarbeiter geschwängert wurde und die dafür Schimpf und Schande erleiden musste. Sie bekommen einen Sohn, aber Ramu zieht es wieder zurück in seine Heimat, um dort noch einmal sein Glück zu versuchen. Marlis und seinen Sohn Abbayi lässt er mit Schulden und in Armut zurück. Abbayi ist ein halbes „Baumkind“, das Wasser und Sonne liebt, aber nicht wurzeln kann. In „ihm ist eine Sehnsucht […] nur nach was oder wem, das weiß Abbayi nicht. […] Er nimmt das Wort Heimat in den Mund, aber es schmeckt nach nichts.“

Krisha Kops verbindet in seinem Roman auf ebenso irritierende wie faszinierende Weise realistisch-naturalistisches Erzählen mit magisch-mythischem. So ist er auf der einen Seite von einem Raunen und Rauschen, Wogen und Wehen, von indischen (Halb-)Göttern und vielen Zitaten aus den alten Sagen durchzogen. Auf der anderen Seite schildert er ungeschminkt all das Leid, die Gewalt, den Verrat und die Schicksalsschläge seiner Protagonistinnen in West und Ost. Es ist damit auch ein Roman der Brüche und der Gegensätze, die zu keiner Synthese führen. 

Und so bleiben seine Protagonisten auch Getriebene und Vertriebene, die ihre Wurzeln verloren haben und auf der Suche sind nach Identität, Glück und einem Gefühl von Heimat – und es in ihrem Dazwischen doch nirgendwo oder nur kurz finden können. Nur Abbayi, der am Oberschenkel ein sich immer weiter ausbreitendes Stück Rinde hat, kehrt schließlich zu seinen Ursprüngen zurück und beschert dem Roman ein mythisches und auch versöhnliches Ende.

Titelbild

Krisha Kops: Das ewige Rauschen.
Arche Verlag, Hamburg 2022.
272 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783716028087

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