Gezwitscher 0.1?

Ein Tagungsband von Julia Frick und Oliver Grütter stellt die Forschungsergebnisse zur Kunst der Verkürzung in den Mittelpunkt

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der gegenwärtigen, immer schnelllebigeren Welt die Tendenz zur (literarischen) Verkürzung quasi immanent ist, überrascht nicht, ist doch Zeitersparnis mittlerweile zur Tugend erhoben worden und just in time keine Unhöflichkeit, sondern unternehmerisches Prinzip. Und spätestens seit Readers Digest ist die Kurzfassung opulenterer literarischer Werke unterschiedlicher Qualität ein zwar nicht sonderlich gern gesehenes, gleichwohl nicht mehr wegzudiskutierendes Phänomen geworden. (Das Ganze gibt es mittlerweile sogar als Intellektuellen-Variante, die unter dem Namen Blinkist beworben wird und offenbar recht erfolgreich Verbreitung findet.)

Wer demnach die Grundstruktur und den groben Plot verstanden habe, könne auch das Ganze beurteilen. So weit, so schlecht. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, würden diese Anstrengungen zur (Ver-)Kürzung ausschließlich mit unseren Tagen in Verbindung gebracht. Arbeitsergonomie und -ökonomie sind Phänomene, die einen erheblichen Teil der menschlichen Geschichte dominieren – und letztlich ist die Entwicklung zur beziehungsweise der Schrift auch eine Form der Verkürzung gegenüber weit ausholenden mündlichen Beschreibungen. Insbesondere die Verwendung einer Buchstabenschrift stellt gegenüber Silbenschriften oder gar Symbolschriften nicht nur eine grundsätzliche Vereinheitlichung und Vereinfachung, sondern damit verbunden eben auch eine Chance zur Zeitersparnis dar.

Dieser Leitidee folgt auch der vorliegende Band abbreviatio. Historische Perspektiven auf ein rhetorisch-poetisches Prinzip. Es geht um nicht weniger als Grundsätzliches, denn „dieser Band versteht das literarische Verfahren der abbreviatio als einen bewussten Vorgang der Reduktion und als eine sinnstiftende Tätigkeit des Verdichtens umfangreicher Bezugstexte. Er führt interdisziplinäre sowie komparatistische Perspektiven auf das rhetorisch-poetische Prinzip der Kürzung zusammen und arbeitet so über einzelne Textsorten hinausgehende Formen und Funktionen heraus“, so ist dem Klappentext zu entnehmen.

Die Publikation versammelt die Beiträge der vom 20. bis 22. Februar 2019 in Zürich stattgefundenen Tagung abbreviatio. Formen – Funktionen – Konzepte und bietet so die Möglichkeit, auf kompaktem Raum aktuelle Forschungsergebnisse zum entsprechenden Thema zu finden respektive mit ihnen zu arbeiten. Dabei werden drei Schwerpunkte gestellt: „Formensemantiken: Quantitative und qualitative Relationierung“, „Kürzung im Kontext kulturhistorischer Diskurse“ sowie „Fassungsdivergenz und Formen redaktioneller Kürzung“. Jeder dieser Aspekte wird durch jeweils fünf Beiträge repräsentiert, sodass sich dann mit dem einleitenden Beitrag von Mitherausgeberin Julia Frick insgesamt sechzehn lesenswerte Aufsätze finden lassen.

Durch Julia Frick wird nicht nur das Thema grundsätzlich vorgestellt, sondern etwa auch darauf verwiesen, dass die Vorstellung und die Vorbildhaftigkeit von literarischer Kürze als stilistischem Qualitätsmerkmal aus der klassischen Antike übernommen wurden und im mittelalterlichen Kontext, eben im Zuge der abbreviatio, durch das quantitative, in gewisser Hinsicht ökonomische Prinzip des Texteinsparens erweitert wurden, sodass laut Frick offenbar immer auch zwei Ebenen mitgedacht wurden. Damit, so scheint es, schließt sich ein Kreis, der durchaus in die (Post-)Moderne verweist, in der Kürzung primär – zumindest in den ‚guten alten Zeiten‘ von Twitter – eine ökonomische Konnotation zukam, die sich sekundär aber auch zu einer stilistischen Dimension entwickeln konnte und musste.

Auf das antike Fundament verweist gleich der erste Beitrag von Christiane Reiz, Homer in Kürze, in dem sie sich mit den antiken Rezeptionen und eben teils raffenden Textausgaben der Epen des griechischen Dichters befasst. Hier werden bereits Aspekte aufgezeigt, die die Mehrdeutigkeit der Kürze belegen. Geht es zum einen tatsächlich um die raschere Zugriffsmöglichkeit, weist die Autorin aber auch auf die Aneignung durch Kürzung hin. In eine ähnliche Richtung gehen die Ergebnisse, die Richard Trachsler (Wie lang ist Kürzer? Überlegungen zum brevitas-Topos der französischen mises en prose) vorstellt. Bemerkenswerterweise sind manche der ‚Kürzungen‘ gar nicht so arg kurz, sodass hier offenkundig die Frage der Verständlich- beziehungsweise Vermittelbarkeit im Vordergrund stand.

Der pfiffige Titel Immer schneller immer kürzer oder: Wenn die Form den Text verzehrt steht über dem Beitrag Susanne Köbeles, der sich mit dem Schlussgedicht in Hartmanns von Aue Klage befasst. Hier wird anhand dieses „Kürzungsexperiments, das in der deutschen Literaturgeschichte des Mittelalters ohne Parallele“ ist, das Ansinnen Hartmanns in den Blick genommen, (zeit-)ökonomische Aspekte mit literarischer Aussagedichte zusammenzubringen. In ihrem gelungenen Beitrag weist sie unter anderem nach, dass dieses ‚Kürzungsexperiment‘ historische Signifikanz besitzt, die sich unter anderem in der Entwicklung eines Hybridformats zwischen Leich und Minnesang niederschlägt, und – um auf das von der Autorin herangezogene Analogon Manfred Kerns hinsichtlich spätmittelalterlicher Minnereden zu verweisen – diese als ‚komplexe Reduktionsform‘ etabliert sieht. Ob diese Kürzung Hartmanns die „unendliche Distanz zwischen Ich und Dame“ zu überwinden vermag, wird dabei zwar nicht explizit, gleichwohl implizit negiert.

Mit Raphael Schwitter und Das ‚versefüllende Asyndeton‘ in der spätlateinischen Dichtung wird der Weg zurück in die klassische Dichtung geschlagen. Diese Ambivalenz eines poetischen Stilmittels wird unter Rückgriff auf Ernst Robert Curtius beziehungsweise – noch fundamentaler – auf Carl Weymann angegangen. Dementsprechend werden auch etwa Caelius Sedulius’ Carmen paschale oder verschiedene Texte des Sidonius Appolinaris in Augenschein genommen, die bereits von den erwähnten Philologen untersucht worden waren. Schwitter ist es darum zu tun, den wertenden Ansatz Weymanns und Curtius’ zu relativieren oder vielmehr: eine objektivere Perspektive einzunehmen, sodass das Ergebnis nicht in der Konstatierung von Verfall und Dekadenz liegt, sondern der Verfasser hier stattdessen einen Kunstgriff zur „Verdichtung und Verkürzung des poetischen Ausdrucks“ erkennt, was in der Tat ein ganz neuer Aspekt ist.

Jörg Wesche wiederum führt Leserinnen und Leser sowohl thematisch als auch auf die Chronologie bezogen in eine ganz andere Richtung. Unter der Überschrift Bühnenrede, kurz (womöglich der glücksverheißende Wunschtraum eines unter mitunter unerträglichen Längen gerade auch jüngerer Theaterproduktionen leidenden Publikums) werden die Kürzungstechniken im Dramawerk des schlesischen Barockdichters Andreas Gryphius untersucht. Der durch farbiges Tabellenmaterial aufgelockerte Beitrag weist neben der Frage stilistischer, also theoretisch-grundsätzlicher Aspekte auch auf die Pragmatik der Kürzung in der darstellenden Kunst hin. Das bedeutet, Wesche deutet zumindest die Publikumsorientierung Gryphius’ an, auch wenn der knappe Raum Vertiefendes nicht zulässt. Immerhin kommt der Dichter am Ende mit einem Zitat aus Carolus Stuardus eindrucksvoll zu Wort, denn: „ein schnelles Schwerdt verricht weit mehr als langes Dichten!“

Was das Sujet angeht, in die Antike verweisend, was die Entstehungszeit betrifft, jedoch gut mittelalterlich, wird von Ricarda Bauschke anhand Herborts von Fritzlar Liet von Troye die zweite Sektion („Kürzung im Kontext kulturhistorischer Diskurse“) mit einer diskursive[n] Evaluation der histoire unternommen. Das Werk des Fritzlarer Dichters Herbort, eine auf französischen Quellen fußende ‚deutsche Ilias‘ aus dem 13. Jahrhundert, entstand im Auftrag des thüringischen Landgrafen Hermann I. Dessen Ziel war es offenbar nicht nur, vorbildhafte Unterhaltung zu generieren, sondern die – zumindest vermeintlich divergierenden – Publikumskreise laikaler wie klerikaler Prägung zu erreichen beziehungsweise den jeweiligen Erwartungen zumindest annähernd gerecht zu werden. Stringent arbeitet die Verfasserin Aufbau und Stilistik jeder Dichtung auf und stellt diese überdies in den Kontext der (spät-)antiken und mittelalterlichen Ilias-Rezeption. Herbort bleibt nach Aussagen Bauschkes ein Grenzgänger, allerdings nicht aus Unvermögen, sondern aufgrund seiner Absicht, divergierende Paradigmen und Erwartungen auszusöhnen.

In das Feld der theologischen abbreviatio führt Almut Suerbaums Beitrag Geistliche Lieder als theologische Ver-Dichtung mystischer Theologie. Nun zeichnen sich die meisten überlieferten Texte der Mystik nicht unbedingt durch Verkürzungen aus, ist doch das Darstellen des letztlich nicht zu Beschreibenden gewissermaßen per se nur durch weiteres Ausholen möglich, andererseits geht es letztlich auch um Klarheit, die mitunter nur durch modellhafte Verkürzung möglich erscheint. In diese Richtung argumentiert auch die Autorin: Bei mystischer Textlichkeit gehe es in erster Linie darum, das Verborgene zu entschleiern, also erkennbar zu machen. Dass hierbei die Annäherungen an das Nicht-Greifbare gerade in verdichteter, also abbreviierter, Form problematisch sind, wird auch von Suerbaum deutlich gemacht, dennoch gelte hinsichtlich jener geistlichen Lieder: Sie sind „kurz, aber weder simpel noch einfach“.

Auch Hans Jürgen Scheuer bewegt ich mit seinem Aufsatz im Feld der Theologie. Unter dem Titel Das Heilige im Gebrauch wird die kompilatorische[…] Form der Legende in den Blick genommen. Mit Rückgriff auf die frühmodernen Aussagen Gottfried Kellers und unter Einbeziehung von André Jolles Definition der ‚kleinen Formen‘ sucht der Verfasser die Legende durch die Kombination von Kürze, Serialität und Typusbildung zu definieren und damit ihre – trotz Interdependenzen zu verwandten theologisch intendierten Kleinformen – Eigenständigkeit zu erweisen. Dabei deutet er den Aspekt des Kompilierens des der jeweiligen Legende zugrunde liegenden Überlieferungsmaterials als einen Weg des Aneignens und Verstehens und befreit die Kompilation damit vom Ruch des wenig Qualitätvollen. Dies geschieht mit Bezug auf Legenden um die Päpstin Johanna, aber auch konventionellerer Heiliger wie etwa Martin von Tours, Severin, Dominikus oder Franziskus, als deren tragendes Element nicht zuletzt die Polaritäten wirken, zwischen denen die Heiligen stehen beziehungsweise unter denen sie gesehen werden. Dies und eben der durch das kompilatorische Aneignen bedingte Aspekt des Lebendigen sind – so der Verfasser – ein wesentlicher Grund dafür, dass die jeweilige Legende durch Raum und Zeit verfügbar gemacht werden konnte.

Thomas Haye arbeitet den Inhaltsangaben (argumenta) zur Laurentias des Giovanni Mario Filelfo (1426–1480) die Zeitsparende Epik ab und weist damit einen Protagonisten genau der ‚Verdichtungsökonomik‘ nach, die zu Beginn der Rezension für die Gegenwart angesprochen wurde. Dem Renaissance-Gelehrten, der im Zuge seiner Tätigkeit immerhin um die 270 Texte veröffentlichte, war offenbar sehr daran gelegen, im Wortsinn zur Kenntnis genommen zu werden. Oder, um Haye zu zitieren: „Durch dieses zeitsparende Format wurde das Epos dem Leser in radikaler Reduktion und Verdichtung präsentiert.“ Damit war die Wahrscheinlichkeit sehr groß, tatsächlich bekannt zu werden und neben dem Glanz des Ruhmes auch die Chance zu erhalten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Wiederum in einen theologischen Kontext verweist der Beitrag des Mitherausgebers Oliver Grütter, der mit Johann Spangenbergs Epitome der Victoria Christi ab inferis (Helius Eobanus Hessus) im reformatorischen und kontroverstheologischen Zusammenhang in der Phase vor- beziehungsweise frühreformatorischer Theologie gerade auch hinsichtlich ihrer Auseinandersetzung mit der als starr empfundenen scholastischen Argumentationsweise von Interesse ist. Den Gedankengängen Spangenbergs folgend, der die altgläubige Grundlage durch Kürzung verdichtet, aber mit seinen Schwerpunktverschiebungen wie der Gleichsetzung des ‚christlichen Ritters‘ mit den protestantischen Gläubigen zugleich eigene Akzente setzt, beleuchtet der Verfasser einen bemerkenswerten Moment im Zuge der Etablierung protestantischer Theologie.

Der dritte Abschnitt („Fassungsdivergenz und Formen redaktioneller Kürzung“) wird von Martin Baisch (Bedingungen und Formen der Fassungenbildung im höfischen Roman) eingeleitet. Basierend auf dem von Joachim Bumke für die Klage entwickelten „Modell für die Beschreibung variierender Epenüberlieferung“ werden zielführende Abbreviationsansätze in höfischen Dichtungen exemplarisch in den Blick genommen. Dabei geht es um Detailanalysen, die keineswegs monokausal begründet werden können, weil – so Baisch – das Changieren zwischen kritischer Reflexion, ästhetischem Genuss, Wissensvermittlung und Lebensorientierung zu berücksichtigen sei. Eine Kürzung ist demzufolge nicht ein immer gleicher, nicht einmal zumindest gleichartiger Prozess, sondern streut selbst bei ähnlicher Basis immer wieder auf überraschende Weise.

Auch Michael Stolz und Richard F. Fasching (Original und Kopie des Rappoltsteiner Parzifal) bleiben mit ihrem Beitrag der episch-höfischen Welt verbunden. Hier weisen die beiden Verfasser anhand der Kürzungsverfahren in der Abschrift Roma, Bibliotheca Casanatense, Ms. 1409 auf das Handlungsmuster des Kürzens als Verdichtung der zugrunde liegenden Überlieferung – hier eben des Rappoltsteiner Parzifal – hin, mit dem allerdings kein Anspruch auf Originalität verbunden sei. Allenfalls könne die publikumsfreundliche Verdichtung die Textkenntnis derjenigen Person belegen, der diese Kürzungen zu verdanken sind – doch das ist ja auch schon Einiges.

In eine vergleichbare Richtung deuten die von Cordula Kropik (So vil unnútzer wort man list!) angestellten Untersuchungen zur Heidelberger und Dresdner Virginal, die an den ‚Extrem-Polen‘ liegen, was den Textumfang dieser Dichtung aus dem Dietrich-Kreis betrifft. Offenkundig liegen hier also Unterschiede vor, die sich zunächst an den unterschiedlichen Textlängen erkennen lassen, darüber hinaus jedoch werden qualitative Aspekte erkennbar, die in die Frage nach dem ‚Sitz im Leben‘ dieser Texte münden. Und so argumentiert die Verfasserin – nach eigener Aussage – trivial, vermag es aber, dabei den Blick auf das hinter der Offensichtlichkeit Liegende zu lenken. Wobei die abschließende Aussage, „welche Worte unnütz sind und welche nicht, ist immer nur von Fall zu Fall zu entscheiden“, wiederum so grundsätzlich zutrifft, dass sie aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit dann eigentlich nichts mehr aussagt.

 Unter dem Titel abbreviatio als Beschleunigung nimmt Sandra Linden nicht allein Redaktion(en) und Überlieferungsvarianz(en) in der Versnovellistik ins Auge, sondern macht, zumindest auf den ersten Blick, auch eine Anbindung an die gegenwärtigen Verhältnisse einer durch Instantformen geprägten Zeit möglich. Allerdings, und das ist bemerkenswert, weist die Autorin hier auf den markanten Unterschied zwischen der einfachen Kürzung und der abbreviatio als artifiziell wirksamem Werkzeug hin. Es geht also nicht um bloßes Weglassen, sondern um einen literarischen Kunstgriff; die abbreviatio ist also ein „kalkuliert eingesetztes Verfahren in der Versnovellistik, das das Publikum in seiner literarischen Versiertheit herausfordert, ihm aber, wenn es mit dem Tempo des Erzählers denn Schritt halten konnte, wohl auch ein besonderes Vergnügen bereitet hat“.

Pia Selmayr (In der Kürze liegt die Würze) schließlich führt in der Betitelung ihres Beitrags nicht nur ein weitbekanntes Zitat an, sondern geht mit dem Untertitel Kürzungsphänomene in lateinischen und deutschen Fleischpfanderzählungen des (Spät-)Mittelalters in die Erklärungsrichtung ‚abbreviatio als Verdichtung zur Zeitersparnis‘, was auf irritierende Weise auch dem Zeitgeist entspräche. Der Grundplot dieser Erzählungen dürfte allen durch William Shakespeares Kaufmann von Venedig geläufig sein. Der höchste Einsatz also, bei dem neben der offenkundig-vermeintlich ökonomischen Perspektive immer, wenn nicht sogar mehr noch ein moralischer Aspekt mitschwingt. Diese Verdichtung der Darstellung von Gier und Geiz fordert in mancher Hinsicht geradezu zur abbreviatio heraus, ein Aspekt, der durch die Autorin in seiner zielführenden Tendenz freigelegt wird. Dass die in den hier untersuchten Texten erfolgten Abbreviationen zwar zunächst Kürzungscharakter aufweisen, darüber hinaus jedoch auch konstruktiv angewandt werden, ist ein Aspekt des Abbreviatio-Phänomens, der offenbar immer wieder zu beobachten ist.

Die Publikation ist insbesondere aufgrund ihrer Vielfalt, oder besser ausgedrückt: ihrer nahezu universalen Gültigkeit von Interesse. Und so erscheint es dem Rezensenten dankenswert, dass das formale Feld des ‚rhetorisch-literarischen Prinzips‘ lediglich einen Schwerpunkt in einem weitaus größeren Gebiet einnimmt. Die hier versammelten Aufsätze werfen mitunter Fragen auf, bieten aber zumindest in den meisten Fällen die Möglichkeit, eigene Perspektiven zu erweitern und neue Blicke auf Vertrautes aufzunehmen. Das allein ist schon die Lektüre wert, und es ist sicherlich kein Buch, das einmal gelesen kaum mehr in die Hand genommen werden wird, sondern es wird immer wieder zur Beschäftigung mit der Thematik herausfordern.

Die Ausstattung des Bandes ist – wie vom Schwabe-Verlag gewohnt – sehr solide und damit auch eine Garantin dafür, dass die wiederholte Beschäftigung, das mehrfache In-die-Hand-Nehmen, keine bleibenden Schäden am Buch verursachen wird. Was dem Ganzen gut angestanden hätte, wäre ein der allgemeinen Orientierung zuträgliches Sachregister; immerhin ist ein Verzeichnis der Autoren und Textstellen angehängt. Ein souverän ausgearbeitetes Werk mithin, das neben der bloßen Informationsbasis vor allem auch ein hohes Maß an Anregungen in sich trägt.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Julia Frick / Oliver Grütter (Hg.): abbreviatio. Historische Perspektiven auf ein rhetorisch-poetisches Prinzip.
Schwabe Verlag, Basel 2021.
472 Seiten, 74,00 EUR.
ISBN-13: 9783796541117

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch