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Marlene Streeruwitz eröffnet die Joseph-Breitbach-Poetikdozentur der Stadt Koblenz und der Universität Koblenz-Landau (Campus Koblenz)

Von Günter HelmesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günter Helmes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Geschlecht. Zahl. Fall. ist lesenswert, weil aufklärend, anregend, aufsässig, anmaßend, anstößig und punktuell gar aufreizend abwegig. Das aus zwei Teilen bestehende Buch präsentiert ein ganzes Bündel von gesellschafts-, kultur- und sprachkritischen sowie literaturtheoretischen und -soziologischen Beobachtungen, Überlegungen und Behauptungen, im zweiten, gut 40 Seiten umfassenden Teil darüber hinaus zwei dramatische Texte / Szenen und einen erzählerischen Text aus der Werkstatt. 

Der erste, 90seitige Teil gibt die ursprünglich auf fünf Veranstaltungen konzipierte Vorlesung Geschlecht. Zahl. Fall. Person. Fall. Zeit. wieder. Mit dieser wurde am 10. und 16. Juni 2021, Corona bedingt per Streaming-Veranstaltung, die neu eingerichtete, „vorrangig Leistungen im Bereich der Gegenwartsdramatik und der Gegenwartslyrik“ auszeichnende Joseph-Breitbach-Poetikdozentur der Stadt Koblenz und der Universität Koblenz-Landau (Campus Koblenz) eröffnet.

Die Vorbemerkung

Die titellose Vorbemerkung der Autorin steckt die Grenzen ab, innerhalb derer sich das dann Vorgetragene bewegt. Erster Grenzstein: Literatur wird generell „als die ursprüngliche Wissenschaft vom Leben“ verstanden, als das – miteinander geteilte bzw. einander mitgeteilte – „Wissen“ und „Bewusstsein davon“, dass „so ganz und insgesamt und in jedem Augenblick das Leben gelebt werden muss.“ Zweiter Grenzstein: Die Corona-Pandemie, deren Gegenmaßnahmen zur „Verständigung […] mit sich selbst“ zwangen, und die zahlreichen Fragen, die damit einhergehen. Einige davon, die Literatur und Kultur direkt betreffen, lauten: 

[L]eben nun alle Personen im Wissen ihres eigenen Romans? Konnte ein Bewusstsein davon hergestellt werden? Ist aus einem solchen Bewusstsein ein literarisch-analytischer Blick auf sich selbst möglich? Was bedeutete das für die Literatur […] für die Kultur allgemein?

Die Vorlesung

Die insgesamt sieben Kapitel der Vorlesung – man könnte von einem radikaldemokratischen, Vielfalt, Gleichheit und Gerechtigkeit preisenden Manifest sprechen – sind zwischen März und Mai 2021 geschrieben worden.

Im ersten Kapitel Singular und Herrschaft entwickelt die Autorin den sich wie ein roter Faden durch die Vorlesung ziehenden, ebenso existentiell wie kulturell wie (gesellschafts-)politisch hoch bedeutsamen Gedanken, dass es wie bei Texten, so immer und überall darum geht, aus (historischer) Besonderheit, aus Faktischem und Konstellationen resultierende „Autonomien“ bzw. Einmaligkeiten gegen auf „Eindeutigkeiten“ und Ausschließlichkeiten bestehende Machtansprüche und Usurpationen, egal vom wem und aus welchem Lager, zu verteidigen. Sprachkritisch läuft das auf die Forderung hinaus, „die Abstrakta in einer Wendung gegen die Dominanzgewalt des Singulars dieser Worte in den Plural zu wenden.“ Denn: „Der Singular der Abstrakta stellt die Deutungsmacht von Herrschaft her. Dieser Singular ist Herrschaft.“ Indem „Singulare“ wie bspw. ein für allgemeinverbindlich erklärtes Liebeskonzept „Lebenswirklichkeit leugnende“, „absichtsvoll“ unerfüllbare „Totalitäten“ bzw. „Ziele“ herstellten, so die überzeugende These, provozierten sie „Geiselnahmen, die die Geiseln selbst ausführen und, in die Geiselhaft genommen, sie zwingen, sich selbst in Schach zu halten.“

In einem zweiten Schritt dann deutet Marlene Streeruwitz an, wie eine „reale Demokratie“ auszusehen hätte. „Es ginge um Lebenszufriedenheiten“, heißt es hier, um „Dialoge“, „Verständigung“, „Authentizität und Einfühlung“, um „pflegen. Sorgen. Hegen. Verpflegen. […] Wachsen und Werden fördern“ dann im programmatischen vierten Kapitel Der Kosmos der Pflege. Dabei konkretisiert sie ihren Grundgedanken u. a. an der heutigen gesellschaftlichen Realität in Österreich. „Herrschaft und Patriarchat“ – auch davon handelt das vierte Kapitel ausführlich, dort insbesondere unter sprachkritischem Aspekt, darüber hinaus das sechste Kapitel – seien wie anderenorts, so auch in Österreich gleichzusetzen, heißt es ironischerweise überraschend eindeutig, pauschalierend und damit letztlich auch selbst nach Macht und Einfluss strebend.

Im zweiten Kapitel mit dem mehrdeutigen Titel Theaterschauspiel. gibt die Autorin u. a. Einblicke in ihr Selbstverständnis als Dramatikerin. „Meine Stücke sind Dia-Shows in einer Abfolge von Bildern“, „Meine Theatertexte sollten als Chor mit Soli aufgeführt werden. Es bedarf keiner Regie mehr“. Demokratisches Theater sei der „Versuch […], die undemokratische Realität demokratisch zu durchdringen“: Sätze wie diese werden einer gängigen, „antidemokratisch[en]“ Theaterpraxis entgegengestellt, die eine „weitere[] unbewusste[] Trainingseinheit neoliberaler Selbstzurichtung“ darstelle und – Streeruwitz erzählt ausgiebig ‚aus dem Nähkästchen‘ – Ausdruck „privatfeudaler Regierung hegemonialer Männlichkeit“ sei.

Vor dem Hintergrund der sehr berechtigten Frage „Leben wir in realen Demokratien[?]“ geht es auf den weiteren Seiten dieses Kapitels dann nicht nur um diese „männliche[] Hegemonie“ und um „Geschlechtergerechtigkeit“, sondern bspw. auch – vieles gerät hier recht plakativ in einen Topf – um das Gesundheitssystem. Wenn die Autorin dafürhält, dass wir „in arisierten, andemokratisiert [sic!] ungerechten Verhältnissen“ leben, möchte man ihr spontan eigentlich gerne zustimmen, wären da im Argumentationsgang nicht erneut Eindeutigkeiten, Pauschalierungen und Enthistorisierungen, die sich ihrem eigenen kritischen Ansatz nach im Grunde genommen verbieten, und ein in diesem Zusammenhang irritierendes, vermutlich einer provokatorischen Absicht geschuldetes Wort wie „arisiert“.

Das anfangs mit einer fragwürdigen Auslegung eines Werbetextes eher enttäuschende dritte Kapitel Das Ende der Kultur und die Auslegungen. ist doch insofern lesenswert, als es im Fortgang zum einen die neue Qualität der „pandemisch-neoliberalen Zurichtung der Person“ herausstreicht. Zum anderen wird herausgearbeitet, was die Covid-19-Pandemie für die Autorin, ihr bisheriges Werk und ihr aktuelles und künftiges Schreiben bedeutet: „Und heute. Alles, was ich je geschrieben habe, war schon immer dieses Hinwegkommen über die aufgetragenen Sprachlosigkeiten.“

Das bereits angesprochene vierte Kapitel Der Kosmos der Pflege. enthält über bereits Gesagtes hinaus so kluge Sätze wie „Die Abhängigkeit des Kosmos der Pflege von der jeweiligen Herrschaft lässt sich in der Valenz der Angst messen. Angst ist das Medium der Herrschaft.“ Darüber hinaus geht es u. a. um die „zweite Frauenbewegung“, die „nur zu einer Geschlechterpolitik der Verstellung geführt“ habe, um eben diese „Sonderpolitik für Frauen“ in Österreich, um die Frage nach „weibliche[m] Schreiben“ als faktischem Ausdruck von Herrschaft und um die Frage, ob eine Sprache denkbar sei bzw. es jemals eine Sprache gegeben habe, „in der wir uns über das Richtige, das Moralische, das Ethische, das Zugewandte, das freundlich Gesellschaftliche in der Öffentlichkeit verständlich verständigen könnten.“

Auch hier spricht die Autorin allerdings wieder im doch verpönten Singular, und wenn maximalistisch unter „Verachtete[n]“ „jede Frau“ verstanden und Geschichte des 20. Jahrhunderts auf die Erzählung davon reduziert wird, „wie Männer ihre bisher in der Familie verborgen gehaltenen rassistischen Meinungen zum politischen Programm machten“, dann entsteht der Eindruck, die Autorin verwende ähnliche, zum Teil stigmatisiernde Vereindeutigungen wie jene, die sie kritisiert. 

Kapitel fünf Reigenversuch. handelt zunächst von den Festspielen in Salzburg und Bayreuth als Zentren „der Repräsentation von Macht“, von Kanonisierungsprozessen als abgesprochener „warenhafter Verwendung“ kultureller Objekte „zur Sicherung der Hegemonie“ und theatergeschichtlich von der „peymann-bernhard’schen Zusammenarbeit“ in Salzburg „im Theater als Verdrängungsinstitution“. Dann geht es um Schnitzler und dessen Reigen, in m. E. ausgesprochen kühner Selbstauslegung um den eigenen Text Reigenversuch. (s. u.), die in Österreich und dessen Geschichte besonders ausgeprägte „machiavellistische Ethik der Verstellung“ sowie um ‚ein Kessel Buntes‘ wie die Trump‘sche USA, die auf dauerhafter Lüge fußende „autoritäre[] Demokratie“, die Medialisierung der Welt, die „Kampfgemeinschaften“ des Fußballs, die dysfunktionalen Bildungssysteme sowie um die „Leib-Seele-Problematik der Schwangerschaft“. Sympathisieren wird man mit der Autorin sicherlich darin, dass „[e]rst die Gleichwertigkeit aller […] das demokratische Verantwortungssubjekt ermöglichen“ kann.

„Im besten Fall“, so hebt das sechste, vorwiegend theorieorientierte und zum Schluss auch noch einmal das Theater streifende Kapitel Roman. an, sei „der literarische Text die Blaupause für dieses Subjekt.“ Geschichtlich gesehen sei der Roman, ja sei Literatur schlechthin allerdings nichts anderes als „Selbstversicherung von Gruppen und darin Eroberung männlicher Sensibilitäten“ gewesen. Mit der Grammatik werde darüber entschieden, „[o]b ein Roman die jeweils vorliegenden Herrschafts- und Machtverhältnisse affirmiert oder negiert“. Die von ihr praktizierte „Ablehnung“ jener „grammatikalische[n] Geordnetheit“, die Texte „in die Medien herrschaftsordnender Intention“ einreihe und die einer „Ethik der Verstellung“ entspringe, bedeute „Ablehnung der Weltverhältnisse, so wie sie sind.“ Da nur Lyrik „den Selbstverständlichkeiten der Herrschaften […] entkommen“ könne, gelte es, die „Formmöglichkeiten des Lyrischen für den Roman zu beanspruchen.“

Das stark autobiographisch geprägte, vor allem aus den 1960er und 1970er Jahren als der Zeit des „herbartianisch-universalistisch-chauvinistischen Kosmos des Öffentlichen“ berichtende Schlusskapitel »Don’t tell me. I tell you« greift eine Zeile aus Nina Simons Mississippi Goddam (1964) auf. Dergestalt wird eine Parallele zwischen der „Verachtung“ der Schwarzen damals, der fortwährenden „Verachtung des Individuellen“ und der bis heute anhaltenden Diskriminierung der Frau z. B. in Österreich behauptet. In einem gewagten Parforceritt durch Bernard Bolzano, Friedrich Herbart, Immanuel Kant, Gottfried Wilhelm Leibniz und Ludwig Wittgenstein geht es einerseits um die aktuelle österreichische Kultur als Filiation des „neoabsolutistische[n] Selbstverständnis[ses] der Habsburgermonarchie.“ Andererseits geht es unter Hinweis bspw. auf die Wiener Moderne, den Prager Formalismus, die Klassik und die Romantik um die Form-Inhalt-Problematik, um Wissenschaftskritik, um die Verteidigung alles Individuellen und um den weiblichen „Kampf um Identität“. Widerständiges, auf Erkenntnis zielendes Schreiben sei so lange zu „selbsterklärender Selbstberechtigung gezwungen“, wie wir „noch im schein-bürgerlichen Trauerspiel der Demokratieverweigerung nach 1989“ lebten.

Aus der Werkstatt

Der in einem Krankenhaus spielende und allein aufgrund eines riesigen, mit einer Leiter zu erklimmenden Waschbeckens in der Bühnenmitte einer Groteske gleichende Text Le Lavabo. Oder. Der Wert des Lebens. liegt dem Untertitel nach in mehreren Textsorten vor. Hier wird der Text, der, darin an Émile Zolas Le Roman Expérimental erinnernd, als „Studie“ bezeichnet wird, in der Theaterversion wiedergegeben. Der laut Bühnenanweisung über einer zur Station führenden Doppelschwingtür platzierte Satz „Händewaschen rettet Leben“ und der Hinweis auf „ein Virus“, das „nur alte Leute“ befällt, könnte die Vermutung nahelegen, es handele sich um einen ‚Corona-Text‘. Doch ist der Text, mit dem die Autorin nach eigener Aussage „herausfinden“ wollte, „wie weit der Wert des Lebens, je einzeln interpretiert, vom absoluten Ideal entfernt ist“, laut Schlusszeile bereits im November 2019 entstanden.

Trotz aller textlichen Knappheit bietet der unterm Strich auf die Phänoebene beschränkte, weniger analytische und mehr zur Karikatur tendierende Text eine ganze Reihe von Themen. Spotlichtartig scheinen diese auf, um gleich danach von anderen abgelöst zu werden. Was sie eint, sind übergeordnete Fragen wie die nach Beziehungstypen, sogenannter Gesundheit und sogenannter Krankheit und dem jeweiligen Umgang damit, dem Verhältnis von Einzelnem und Gruppe oder nach Schuld und Sühne.

Im Reigenversuch., „Juni–Juli 2020“ entstanden und Arthur Schnitzlers Reigen fortschreibend, wird nach Ansicht der Autorin eine Vielzahl an Themen „abgehandelt“. Die Szene, der Behauptung nach „eine Notation für einen Aufsatz“ wie die hier verhandelte Vorlesung, spielt in der unmittelbaren Gegenwart der „Lockdowns“ in einem Hotelzimmer. Die Dialogpartner sind eine Schauspielerin und ein Graf, beide „nicht jung“, dafür aber im Unterschied zum Reigen mit Namen bedacht – Karl Bühl, ebenso cleverer- wie bezeichnenderweise dem elitären ‚Salzburger‘ Hugo von Hofmannsthal entlehnt, und Gertrud Harmer. Es herrscht eine „[n]ervöse Stimmung. Unsicherheit, was der oder die andere Person eigentlich will“, weil man sich offensichtlich eher zufällig nach langer Zeit wieder begegnet ist.

Die flüchtig angegangenen Gesprächsthemen wechseln, bis es auf Initiative von Karl zum Gertrud offensichtlich willkommenen Koitus kommt. Der wird wie bei Schnitzler nur durch Gedankenstriche angedeutet. Danach dann ist allerdings so gut wie nur noch von Viagra die Rede, hat Karl doch gerade ohne Gertruds Wissen damit und somit mit ihr experimentiert. Gertrud mit einer gewissen medizinischen Unkenntnis: „Heimlich Viagra nehmen. Das ist doch dann eine heimliche Erektion. Ist dir das nicht zu blöd. Aber nein. Das ist es euch nicht. […] Was bist du, und was ist dieses Mittel. Ich frage dich.“ Gertrud, für die Corona „DER Untergang“ ist, „[u]nser Untergang“, möchte „aufrecht untergehen“ und verlässt von daher Karl.

Für den kunst- und gehaltvoller als die dramatischen Texte wirkenden Erzähltext Fabian. Der Kanzler. bzw. für das darin entworfene, auf autoritären Charakter und „Tragödie“ eines „verborgene[n]“, „verlorene[n]“ Kindes hinauslaufende Lebensbild und Psychogramm hat der österreichische Altkanzler Sebastian Kurz Pate gestanden. Glaubt man der Autorin, enthält der Text nämlich – „ein Text der Forschung“ – „alles, was zur Politik“ von Kurz „zu sagen ist“.

Am Heiligen Abend 2020 auf dem Weg zum Freund aus Schul- und Jugendzeiten Ghökan, erinnert sich die stets um Kontrolle und Performance bemühte und nach Bestätigung und Dank gierende Figur Fabian zunächst an Kindheit und Jugend – „Die Schule. Das Trinken. Die Eltern. Das Geld. Die Verehrer. Die Verehrten.“ „Sie hatten alles voneinander gewusst. Alles.“ Fabians Gedanken gelten aber auch Franzi, einer selbsternannten Schriftstellerin mit lockerem Lebenswandel, von der er gerade kommt.

Befriedigt stellt er, der sich an Metternich, Napoleon und Erzherzog Johann misst, fest, dass es um seine Geheimnisse eigentlich ganz komfortabel bestellt ist. Doch genügt dies nicht, um das „Miasma an Wut“ zu bändigen, das ihn „ausfüllt“ und das sich dem zehrenden Gefühl verdankt, nur Geringschätzung, Anzweifelungen, Ungehorsam und Undankbarkeit zu begegnen. „Und alles hassenswert. Und alle. Jeden und jede. Die Welt gehörte in die Luft gesprengt.“

Als er Ghökan trifft, muss Fabian feststellen, dass dieser, der einst und vielleicht immer noch Geliebte, ihm nicht nur längst entglitten ist und ihn sogar zu dominieren versucht, sondern auch mit einem anderen Mann verheiratet ist. Das bringt Fabian dazu, in einer Art Bewusstseinsstrom einen Plan zu entwickeln, der ihn zum Voyeur machen und dabei zuschauen lassen soll, „wie auch der schöne Ghökan vom Leben enttäuscht in die Erschlaffung schlüpfte, wie sie das mit ihm machten. Er wurde erschlafft gemacht.“ Für einen Moment imaginiert sich Fabian sogar als Sadist: „Peinigen. Peinigen. Schon das Wort ließ Befriedigung heranfluten. Peinigen.“

Fabian, dem es Befriedigung verschafft, einem auf ihn wartenden ausländischen Taxifahrer gegenüber einen „Befehlston“ anschlagen zu können, verlässt Ghökan und lässt sich zu Franzi und nicht zu den Eltern und Freundin Julia fahren.

Schlussbemerkung

Marlene Streeruwitz‘ Poetikvorlesung beeindruckt, weil sie aus theoretischer wie historischer Perspektive zu zeigen versucht, dass Literatur, Sprache und Autorschaft per se eminent politisch-gesellschaftlich sind. Sie haben mit Herrschaft, Gewalt, Macht, Hegemonialstreben, Unterdrückung, Diskriminierung, Ungerechtigkeit, Normierung usw. usf. einerseits, mit Freiheit, Fürsorge, Austausch, Respekt, Gedeihen, Individualität und dergleichen mehr andererseits zu tun.

Angesichts der immer dürftigeren theoretischen und historischen Kenntnisse insbesondere jüngerer Publikumskreise angesichts von Kompetenz- statt Bildungsorientierung ließe sich allerdings darüber streiten, ob nicht der polemisch-provokante, einem Fachpublikum als Stilmittel vertraute Zugriff auf die (österreichische) Gegenwart, den Marlene Streeruwitz bspw. mit Vergleichen zum Nationalsozialismus und zum (vormaligen) Rassismus in den USA immer wieder wählt, für eine sich doch an die Vielen wendende Vorlesung weniger geeignet ist. Könnte das nicht entgegen aller auf Erhellung, auf Veränderung drängender und nur zu begrüßender Absicht dazu führen, dass mehrheitlich auch am Tag alle Katzen als grau wahrgenommen werden?

Titelbild

Marlene Streeruwitz: Geschlecht. Zahl. Fall. Vorlesungen 2021.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
160 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103971149

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