Die Auferstehung des Dietmar Dath aus den Ruinen der Pop-Literatur

Dietmar Daths Erstling von 1995 „Cordula killt dich! oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung“ ist in einer erweiterten Neuauflage wieder verfügbar

Von Manfred RothRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Roth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1995 erschien im damals neu gegründeten Verbrecher Verlag als erstes Buch der Roman eines 25-Jährigen namens Dietmar Dath, mit dem ausschweifenden Titel Cordula killt dich! oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung, in dem es um ein paar junge Leute geht, etwa den angehenden Schriftsteller Dietmar Dath und eine gewisse Musikerin namens Cordula Späth, die vermutlich versehentlich aus dem Fenster stürzt, und darum, dass Dath einen Roman unter anderem über Cordula Späth schreibt und über noch ein paar junge Leute mehr, Freunde und Bekannte von Dath, die mal sie selbst sind und mal jemand anderes. Auch die im Roman dargestellte Welt, mit den unzähligen Zitaten und Verweisen, verfremdeten Songtexten, Beschreibungen von MTV-Videos, Zeitungsausschnitten, Briefen, Ausschnitten aus theoretischen Texten, mit den ganz unterschiedlichen sprachlichen Registern von Comic über politische Theorie bis naturwissenschaftliche Erläuterung, erinnert mal an die wirkliche Welt der Entstehungszeit des Romans und manchmal scheint es doch eine ganz andere zu sein. Dieses Remaster von Daths Erstling wurde um ein Schlusskapitel ergänzt, in dem der Autor-Figur Dietmar Dath von den anderen Romanfiguren der Prozess gemacht wird. Der Rest wurde so belassen, heißt es in einer editorischen Notiz, lediglich 250 Zeichen seien hinzugefügt worden, um den Roman deutlicher in Daths erzählerischem Kosmos zu verankern.

Etwa zehn Jahre früher, 1983, saß ein junger Autor beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt und schnitt sich mit einer Rasierklinge die Stirn auf und machte aus seiner Lesung eine blutige Performance – die Fortführung des Punk auf dem Gebiet der Literatur gewissermaßen – und der Autor wurde zu einem der Hauptvertreter der Pop-Literatur in Deutschland in den 1980er-Jahren. Und nicht ganz zehn Jahre später, Anfang der 1990er-Jahre, trug der Sänger der Hardrock-Band Guns N‘ Roses bei einem Auftritt im Wembley-Stadion ein T-Shirt mit einem Aufdruck von Christus mit Dornenkrone und darunter der Schriftzug „Kill your Idols“, was damals einige Aufmerksamkeit erregte.

Beide popkulturellen Ereignisse stellen vielleicht einen möglichen Zugang für Codula killt Dich! bereit. Der T-Shirt-Slogan könnte auch Motto des Romans sein, der Klagenfurt-Teilnehmer, Rainald Goetz, jenes Idol, das es zu überwinden gilt und an dem sich Cordula killt Dich! abarbeitet.

Für Daths Erstling gilt das, was schon in einem der frühesten metanarrativen Texte, Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentlemen von 1759 gilt, nämlich, dass der Roman nicht durch den Fortgang der Handlung, sondern durch Abschweifungen voranschreitet: ‚progression through digression‘. Tatsächlich unterläuft bereits die selbst gewählte Gattungsbezeichnung die Leseerwartungen, denn ein Roman im herkömmlichen Sinne ist Cordula killt Dich! natürlich nicht. Im Untertitel heißt es außerdem nicht „Roman einer Auferstehung“, sondern es steht der bestimmte Artikel, „der“. Es geht hier also nicht in erster Linie darum, wie auf der Inhaltsebene die Romanfigur Cordula Späth aufersteht, auch wenn das im Roman laufend suggeriert wird, sondern um etwas viel Grundlegenderes: ohne Tod kann es keine Auferstehung geben, ohne Zerstörung kein Neubeginn.

Der Roman zertrümmert mit viel Furor (und manchmal auch furios) alles, was ihm in die Quere kommt, und vieles von dem, was dem bildungsbürgerlichen Leser lieb und teuer ist, von der Sinnhaftigkeit von Naturschilderungen in der Literatur bis zur Sehnsucht, die deutsche Sprache von allen Anglizismen möglichst freizuhalten. Dieser Gestus des Ein- und Abreißens kann beim Lesen durchaus anstrengend sein, zumal wenn sich der Roman immer wieder selbst bespiegelt, sich fast wie in einem Akt der Selbstkasteiung abwertet, um dann doch mit dem Selbstverständnis eines allmächtigen Erzählers wirklich alles und jeden als Romanstoff verarbeitet und anmerkt: „Lassen wir die Wahrheit hinter uns und erzählen statt dessen, was geschah.“ Dass für den Roman Wahrheit eben mehr ist als faktische Wirklichkeit, wird also früh deutlich. Mitnichten aber bricht er eine Lanze für eine wie auch immer geartete gefühlte Wahrheit auf Kosten von wissenschaftlichen Fakten. Spätestens im nachgetragenen Kapitel macht er dies noch einmal unmissverständlich klar, wenn er etwa zum Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021 oder den Vorstellungen von „Querduschern und Warmdenkern“ Stellung bezieht.

Dennoch, die Destabilisierung von vertrauter (Roman-)Wirklichkeit ist ein zentrales Anliegen und wird beispielsweise auch erreicht, indem an mehreren Stellen auf Tippfehler, etwa in Zeitungsinterviews, verwiesen wird. Da irritiert es erheblich, dass Cordula killt Dich! selbst schon gleich zu Beginn an der von Wörterbüchern induzierten schriftsprachlichen Wirklichkeit vorbeischrammt. Gleich in den dem Roman vorangestellte Motti finden sich zwei Tippfehler und man fragt sich tatsächlich einen Moment lang, ob das denn nun Absicht war, denn: „Manches hier drin ist ein Witz. Anderes aber hat nicht nur genaus so stattgefunden, sondern hätte auch (…) gar nicht anders stattfinden können.“ und auch: „This madness must stop. Wolverine in Todd McFarlane’s ‚Perseptions‘“. Im Grunde wird dadurch schon auf der Mikroebene eine Lesehaltung erzeugt, bei der die Aufmerksamkeit ständig von der Handlung und vom Inhalt abgezogen wird, jeder Tippfehler plötzlich signifikant sein könnte.

Irritation und das fortwährende Infragestellen des Status von Literatur und Wirklichkeit finden natürlich auch auf verschiedenen anderen Textebenen statt, sei es, indem erzählerische Passagen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, Dokumentarisches oder Pseudo-Dokumentarisches eingestreut wird oder auch, um ein extremes Beispiel zu nennen, indem Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung auf Ungarisch (vermutlich) zitiert wird.

Nicht nur die Dialektik der Aufklärung, Hegel und Kant finden sich im Roman, sondern auch Songtexte, Verweise auf Comichefte oder Beschreibungen der Spielabläufe in ID-Softwares 1993 erschienenem Ego-Shooter Doom. Während Autoren wie Robert Musil, Hermann Broch, Ezra Pound und James Joyce, Vertreter dessen, was gemeinhin als anspruchsvoll gilt, abgewatscht werden, bekennt sich Cordula killt Dich! zu Harlan Ellison und Stephen King, die auch heute noch von vielen als „Genre-Literatur“ wahrgenommen werden. Der ultimative Vatermord allerdings, gewissermaßen ein Befreiungsschlag von Pop-Literatur selbst, findet sich im Roman als die Autoren-Figur Dath auf Rainald Goetz trifft und feststellen muss, dass die Chemie zwischen den beiden so gar nicht stimmen will, und Dath danach zu wissen glaubt, „wie es ist, wenn man was über den Kopf kriegt, während man Walkman hört.“ Kill your idol eben, oder umgekehrt.

Dass das alles nur schwer ein homogenes Ganzes ergeben kann, findet sich auch in der Nachbemerkung zum Roman von 1995: „Nach meinem Dafürhalten bekommt man den ‚Matsch‘ in der Komposition sehr schnell, wenn man die unmittelbare, unmittelbar lästig gewordene Postmoderne verläßt oder da rausgeschmissen wird.“ Allerdings gibt es, zumindest von heute aus gesehen, immer wieder Passagen, in denen man zu erkennen meint, wie sich aus diesem „Matsch“, dieser Ursuppe aus Versatzstücken von Literatur, Wissenschaft, Pop, Trash und Wirklichkeit, der spätere Autor Dath herauszukristallisieren scheint wie der T1000 in James Camerons 1991 erschienenem Terminator 2. Etwa in der Verbindung von Unterhaltung und Anspruch, Perry Rhodan und Lenin, den Plädoyers dafür, Geistes- und Naturwissenschaften nicht zu trennen, in den aus- und abschweifenden Exkursen, zum Beispiel über das Universalgenie Buckminster Fuller, im Schreiben und Erschreiben eines anbrechenden digitalen Zeitalters, ganz allgemein in der Fähigkeit, Technik und Kultur in neuen und ganz überraschenden Kontexten zu denken.

Dietmar Daths Cordula killt Dich! erfindet Literatur vielleicht nicht unbedingt neu, auch wenn der Roman es manchmal zu versuchen scheint, und doch wurde hier Überkommenes aus dem Weg geräumt, damit einer der ideenreichsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren seine Stimme findet. Das angefügte letzte Kapitel aus dem Jahr 2021 liefert eine rückblickende Analyse des Romans, ist aber auch deswegen aufschlussreich, weil sich der Ton geändert hat und das Spiel mit Zitaten und Verweisen oft nicht mehr nur um ihrer selbst willen betrieben wird. Skurril bleibt das alles auch weiterhin, etwa indem sich die Autor-Figur Dath als eine Leguanart, als Wüstenteufel imaginiert. Allerdings wird deutlicher, was vielleicht unter den ständigen Vexierspielen in Cordula killt Dich! etwas untergeht: Im Gestus des Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders gesteht Dath (ob nun Figur, Erzähler, Autor oder auch alles in einem), dass er im Grunde schreibt, um Vergänglichkeit und Vergessen etwas entgegenzusetzen.

Titelbild

Dietmar Dath: Cordula killt dich! oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung.
Verbrecher Verlag, Berlin 2021.
360 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783957324917

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