In Westeros nichts Neues

Mit seiner Spurensuche nach dem Aufstieg, Sturz und Wiedergeburt der Fantasy im Bewegtbild verdeutlicht Sassan Niasseri in „A Lifetime Full of Fantasy“, dass Podcasts aufs Ohr, aber nicht ins Buch gehören

Von Martin JandaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Janda

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sassan Niasseri kennt sich als Leiter der Online-Redaktion des Kulturmagazins Rolling Stone mit dem Aufspüren und Wiedergeben von Geschichten aus dem Kulturbereich bestens aus. Seine Co-Moderatorschaft des zweiwöchentlichen Film-Podcasts Freiwillige Filmkontrolle weist ihn als ausgesprochenen Kenner der internationalen Filmlandschaft aus und die Startseite besagten Podcasts betitelt ihn als Liebhaber „nerdige[r] Betrachtungen von Sci-Fi, Horror und Fantasy“. Mit A Lifetime Full of Fantasy legt Niasseri nun sein erstes Buch vor, das sich laut Untertitel auf Aufstieg, Fall und Comeback des fantastischen Kinos konzentriert.

Das Buch steigt mit der Beobachtung ein, dass das Filmjahr 2001 trotz des gleichnamigen Films von Stanley Kubrick nicht wegweisend für die technisch fortschrittliche Science Fiction, sondern für die magische und bisweilen altertümlich wirkende Fantasy war. Denn in diesem Jahr wurden Verfilmungen der jeweils ersten Teile der beiden vielleicht bekanntesten Reihen der Fantasy-Literatur veröffentlicht: Der Herr der Ringe – Die Gefährten und Harry Potter und der Stein der Weisen. Diese beiden Filme wiesen der Fantasy den Weg zu neuer Größe zurück, die sie sich ab Ende der 1970er Jahre erarbeitet, jedoch bereits Ende der 1980er Jahre wieder verloren habe. Diesen drei Phasen des Erstarkens, Verschwindens und Wiedererstarkens der Bewegtbild-Fantasy möchte das Buch nachspüren.

Mit dieser dreiphasigen Entwicklung der Film-Fantasy wird eine wenngleich steile, so doch durchaus interessante Hypothese formuliert. Jedoch krankt das Buch an zentralen Aspekten, was sich bereits am irritierenden – und streng genommen falschen – Untertitel ablesen lässt. Denn zum einen handelt es sich bei den Begriffen des Fantastischen und der Fantasy nicht um deckungsgleiche – abhängig von der zugrundeliegenden Definition sogar um sich ausschließende – Begriffe, zum anderen behandelt das Buch nicht nur Fantasy im Kino, sondern auch in Fernseh- bzw. Streamingformaten.

Einer begrifflichen Eindeutigkeit und damit einer klar einzugrenzenden Materialmenge dient leider auch nicht die herangezogene Definition von Fantasy. Denn was Fantasy sei, wird lediglich an der unpräzisen Kategorisierung in High Fantasy und Low Fantasy festgemacht, deren Unterscheidungskriterium darin liegt, ob und in welchem Maße eine dargestellte magische Welt Bezüge zur außermedialen Welt der Rezipierenden aufweist: High Fantasy sei gekennzeichnet durch eine komplett fiktive erzählte Welt, während Low Fantasy eine mit fantastischen Elementen angereicherte, aber auf der außermedialen Realität basierende erzählte – und zumeist historisch vergangene – Welt darstelle (S. 14). Durch eine solch unsachgemäße und verkürzende Definition lässt sich eben auch die Fehlannahme erklären, dass die Boorman’sche Artusverfilmung Excalibur als Fantasy, oder präziser: Low Fantasy deklariert wird (ebd.). Es mag entschuldbar sein, im Alltag von Fantasyfilmen zu sprechen, wenn es sich um Verfilmungen von Sagen, Mythen und Hagiografien handelt, aber in einem vermeintlich wissenschaftlichen Buch ist ein solches Herangehen unzulässig. Zudem entsteht auf einem so wackligen theoretischen Definitionsfundament Erklärungsnot, weshalb Der Wüstenplanet der Fantasy zugerechnet, während Krieg der Sterne bzw. Star Wars eher mit Science Fiction assoziiert wird (S. 177) – oder warum die lose Peter Pan-Adaption Hook ebenfalls nicht als Fantasy betrachtet werden sollte (S. 196).

Zu dieser theoretischen gesellen sich auch methodische Schwächen. Zwar legt das Buch früh die Vorliebe einer empirischen Arbeitsweise zu Ungunsten einer kulturkritisch-hermeneutischen offen, deren nachteilhafte Auswüchse anhand eines gelungenen Beispiels einer lachhaften Überinterpretation der Autorenintention von Der Herr der Ringe – Die zwei Türme demonstriert wird (S. 11). In Anbetracht der filmhistorischen Fragestellung ist ein solcher Ansatz nicht grundsätzlich falsch, doch verläuft sich dieser Ansatz weitgehend in einer ermüdenden Aneinanderreihung von Produktionsnotizen und eingeschobenen Interviewpassagen mit Filmschaffenden. Zudem äußert sich eine weitere Schwäche in der Nachzeichnung der Filmgeschichte. Zwar beginnt das Buch die filmhistorische Betrachtung logischerweise am Anfang seines Beobachtungszeitraums, also im Jahre 1978 mit Ralph Bakshis Zeichentrick-Version von Der Herr der Ringe. Doch nach den knapp vier Seiten, auf denen sich auf diese ältere Tolkien-Adaption eingelassen wird, springt das Buch 23 Jahre in der Zeit voraus, um an Peter Jacksons Der Herr der Ringe-Trilogie anzuknüpfen und diese auf etwa 14 Seiten deutlich ausführlicher zu behandeln.

Ein solcher vergleichender Ansatz böte sich an, um anhand beobachtbarer Differenzen zwischen beiden Adaptionen einen Unterschied in einem für die Fragestellung relevanten Kriterium herauszuarbeiten. Da die Fragestellung von Aufstieg, Fall und Wiederkehr eines Genres vermeintlich die Frage des finanziellen Erfolgs der Vertreter dieses Genres ist, wäre in diesem Fall das relevante Kriterium das Einspielergebnis. Da aber sowohl Bakshis Der Herr der Ringe als auch Jacksons Version an den Kinokassen reüssierten, erübrigt sich jedoch diese Gegenüberstellung, da sich beide Adaptionen im Kriterium Einspielergebnis ausreichend ähnlich sind. Doch nutzt das Buch diesen hinfälligen Filmvergleich für ausufernde Ausführungen zum Produktionsablauf des neueren Herrn der Ringe, die sich bisweilen in Pathos verlieren (bspw. „Die Darsteller zerrissen sich für ihren Regisseur, sie kämpften, sie jubilierten und weinten“, S. 26), und für den Film betreffende kulturjournalistische Kapriolen (S. 30), um bei den Harry Potter-Verfilmungen zu landen, die jedoch nur als Zwischenhalt vor der Endstation neuerer Serien wie The Witcher und Carnival Row dient. So haben die Leser/innen nach den 74 Seiten des ersten Kapitels einiges über Filme und Serien erfahren, die nach der Jahrtausendwende veröffentlicht wurden, aber so gut wie nichts von der eingangs postulierten ersten Hochphase der Bewegtbild-Fantasy.

Immerhin kehrt das Buch für die folgenden Kapitel wieder zu eben jenen von ihm identifizierten Anfängen und der Phase des Aufstiegs der Fantasy zurück, sprich: zum Beginn der 1980er Jahre. Dennoch folgt es auch hier keiner chronologischen Linie, sondern versammelt in jedem Kapitel unter einem mehr oder weniger explizit formulierten Thema diverse Filme. So wird in Kapitel 2 das an ihren Fantasyvisionen großartige Scheitern dreier sehr bekannter Regisseure behandelt: Jim Hensons Der dunkle Kristall, David Lynchs Der Wüstenplanet und Ridley Scotts Legende. In Kapitel 6 nimmt das Buch Disneys Der Drachentöter und Taran und der Zauberkessel in den Fokus, um von ihnen aus zu den ebenfalls aus dem Hause Disney stammenden Science-Fiction-Filmen Das schwarze Loch und Tron abzuschweifen. Den Abgesang der Film-Fantasy vollzieht das Buch schließlich chronologisch, um von Die Reise ins Labyrinth über Highlander bis und mit Willow einen definitiven Schlusspunkt für diese erste Hochphase setzen zu können, und einen abschließenden Vorwärtssprung in der Zeit in die 2010er Jahre zu Game of Thrones zu machen.

Besagtes Fehlen eines roten Fadens in Form einer chronologischen Reihenfolge erschwert es, die historische Entwicklung der vom Buch behaupteten Phasen der Fantasy nachzuvollziehen. Aufgrund einer vermeintlichen oder tatsächlich gegebenen thematischen Ähnlichkeit von Filmen diese gemeinsam abzuhandeln, ist für die angestrebte filmgeschichtliche Arbeit jedoch nicht sonderlich tauglich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hypothese der drei Phasen der Fantasy niemals validiert wird. Zwar formuliert das Buch nicht explizit, dass von 1989 bis 2001 keinerlei Fantasyfilme oder -serien entstanden seien, doch die nahezu vollständige Ausblendung dieses Zeitraums – immerhin wird die wenig erfolgreiche Verfilmung von Dungeons & Dragons aus dem Jahr 2000 sehr kurz erwähnt – impliziert diese These. Es mag korrekt sein, dass sich in dieser Zeit für den Autor kein erinnerungswürdiges Werk hervorgetan hat, dass aber in diesen Jahren die Fantasy im Film- und Fernsehbereich überhaupt nicht oder lediglich erfolglos stattgefunden habe, ist schlichtweg falsch. Dabei hätte es sich angeboten, zumindest auf Fortsetzungen von Filmen hinzuweisen, die das Buch selbst thematisiert: So hat Highlander von 1992 bis 1998 eine durchaus langlebige Fortsetzung als Fernsehserie erhalten; Die unendliche Geschichte fand schließlich erst mit ihrem dritten Teil im Jahr 1994 ein Ende; auch die Artus-Sage wurde mit dem Fernsehfilm Merlin 1998 erneut aufgesetzt. Und dass 15 Jahre vor Jacksons Hobbit-Verfilmung und Benedict Cumberbatchs Smaug-Darstellung mit Sean Connery bereits ein anderer Brite einen Drachen sprach und seine Mimik in Dragonheart verlieh, wird ebenso völlig ignoriert.

Eine weitere Schwäche der Methodik ist, dass zu selten und zu oberflächlich über den Tellerrand geblickt wird. Dass sich die vermeintlichen Phasen der Fantasy nicht allein aus dem System Bewegtbild erklären lassen können, wird nur punktuell angerissen: Beispielsweise dass die Fantasy in den USA zeitweilig in einem schlechten Licht dastand, da Fantasy-Rollenspielen ein negativer Einfluss auf deren Spieler/innen bescheinigt wurde. So wurde der Selbstmord von James Dallas Egbert III im Jahr 1980 leider in der Presse fälschlicherweise, aber dafür umso reißerischer als Folge des Spielens von Dungeons & Dragons erklärt und abgewandelt sogar im Film Im Labyrinth der Monster thematisiert. Eine solch negative Darstellung eines Genres mag sich negativ auf potenziell geplante Filmprojekte des Genres ausgewirkt haben. Daher lässt sich die Nobilitierung des Genres durch die Feuilletons, wie sie im kulturjournalistischen Diskurs zu Jacksons Der Herr der Ringe zu erkennen vermocht wird (S. 30–32), durchaus als förderlich im gesellschaftlichen Ansehen eines Genres erachten. Der Erfolg eines Genres hängt offensichtlich nicht allein von der Qualität seiner Vertreter ab, sondern von Dynamiken, die in diesem Fall jenseits des Filmischen liegen.

Zu diesen Dynamiken gehört auch die Konkurrenz von anderen Unterhaltungsangeboten, die das Fantasy-Genre bedienen. Immerhin fällt die Einführung der Spielbuchreihen Choose Your Own Adventure, Fighting Fantasy und Einsamer Wolf sowie des Pen & Paper-Rollenspiels Das Schwarze Auge als deutsches Pendant zum etwa zehn Jahre früher erschienenen Dungeons & Dragons in die vom Buch postulierte erste Hochphase der filmischen Fantasy. Und in die postulierte Abklingphase der Fantasy fallen die Veröffentlichungen der höchst erfolgreichen Videospiele der Zelda-Reihe für das Nintendo Entertainment System sowie weiterer Fantasy-Spielereihen wie Gauntlet, Archon oder Final Fantasy, die teils heute noch neue Titel hervorbringen. Da solche Beobachtungen im Buch fehlen, bleibt den Leser/innen diese provokante Hypothese erspart: War und ist Fantasy als Präsentationsfläche von großem Heldentum und Abenteuern vielleicht eher für Spieler/innen und weniger für Zuschauer/innen geeignet?

Schließlich fördert nicht nur eine wertige Produktion den Erfolg eines Films oder einer Serie, sondern auch der Inhalt, der sich – wie das Buch selbst anerkennt – idealerweise zuvor literarisch an einem Publikum erfolgreich ausprobiert hat. Auch auf den deutlich größeren finanziellen Erfolg von literarischen Fantasy-Verfilmungen geht das Buch nur in einem Halbsatz ein (S. 150), ohne sich diesem aufdrängenden Gedanken zu stellen: Womöglich war ‚die‘ Film-Fantasy stets weitgehend irrelevant, lediglich der Rückgriff auf eine bereits erfolgreiche Erzählung, die zufälligerweise dem im Buch sehr weit gefassten Fantasy-Genre zugerechnet werden kann, macht diese Geschichte auch als Film oder Serie erfolgreich. Ein kursorischer Vergleich der Einspielergebnisse von adaptierten und originellen Geschichten erhärtet diesen Eindruck: Boormans Excalibur spielte etwa das dreifache seiner Kosten ein, Scotts auf keiner Vorlage basierender Film Legende machte Verlust.

So bleibt bis zum Ende des Buchs die Frage nach dem Kriterium für Erfolg und Misserfolg der Film-Fantasy, die den Begriffen „Aufstieg“, „Fall“ und „Comeback“ des Untertitels innewohnt, unbeantwortet. Offensichtlich handelt es sich nicht um das Kriterium Einspielergebnis, ebenso wenig scheint es die Quantität an Genre-Vertretern in den postulierten Phasen zu sein. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass der Erfolg und Misserfolg der Film-Fantasy auf der rein subjektiven Einschätzung des Autors Niasseri beruht. Tatsächlich beschreibt Niasseri in einem Beitrag für den Blog Filmgeblätter des Schüren-Verlags vom 29. September 2021, wie ihn als im Jahre 1975 Geborener die Kinobesuche während der vermeintlichen ersten Hochphase der Fantasy geprägt haben. Dieser Blogbeitrag liest sich weiter wie die Offenbarung eines Traumas, wenn Niasseri davon berichtet, wie zunächst die Verweigerung der Zeitschrift Cinema, auf der Titelseite ihres 1986er-Jahrbuchs die sonst übliche Abbildung eines Fantasystreifens zu verwenden, Unheil ankündigte, welches Niasseri schließlich aufgrund des subjektiv wahrgenommenen Fehlens eindringlicher Fantasyfilme in den folgenden Jahren tatsächlich ereilte und das Ende seiner Kindheit markierte. Im selben Blogbeitrag bezeichnet Niasseri sein Buch als eine literarische Aufarbeitung dieser ‚magischen‘ Kindheit und der folgenden Jugend- und Erwachsenenjahre, womit sich schließlich nicht nur der Haupttitel erklären lässt: Die im Buch postulierten Phasen lassen sich offenbar primär auf den subjektiven Eindruck, den die Filme während spezifischer Lebensabschnitte des Autors hinterlassen haben, zurückführen.

Es lässt sich abschließend sagen, dass Niasseri die Leidenschaft für Fantasy-Filme und -serien anzumerken und das Buch durchaus als kompetente kulturjournalistische Recherchearbeit zu bezeichnen ist – wenngleich Kenner/innen des Genres sehr viel des Präsentierten bereits bekannt sein dürfte. Doch das aus dem Fehlen eines roten Fadens resultierende planlose Manövrieren zwischen den Filmjahren und die nicht klar kommunizierte persönliche Prämisse des Autors führen schließlich zu einem ermüdenden Referat aus Produktionsnotizen, Szenenbeschreibungen, Interviewfetzen und rar gesäten eigenen Gedanken, das weniger für ein filmwissenschaftliches Publikum geeignet ist. Vielmehr erzeugen Inhalt des Buchs und literarischer Stil den Eindruck eines verschriftlichten popkulturellen Podcasts: Es wird viel geredet, wobei das Reden bloß sekundär dem Austausch von neuen Informationen, dafür primär dem Versichern der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fan-Community dient. Weshalb hierfür die Wahl ausgerechnet auf das mehr Aufmerksamkeit abverlangende Medium Buch statt auf leichter nebenher konsumierbare Hör-Medien gefallen ist, bleibt schließlich unklar.

Titelbild

Sassan Niasseri: A Lifetime Full of Fantasy. Das Phantastische Kino: Aufstieg, Fall und Comeback.
Schüren Verlag, Marburg 2021.
258 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783741003967

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