Vorbemerkungen zum Themenschwerpunkt der Februar-Ausgabe von literaturkritik.de

Der Themenschwerpunkt „Literatur, Medizin und Psychopathologie“ der Februar-Ausgabe von literaturkritik.de hat zwei verschiedene, doch auch zusammenhängende Anlässe. Mit der Geschichte von Krankheiten in der Literatur sowie der Zusammenhänge von Literatur, Medizin, Psychiatrie und Psychoanalyse haben sich die Publikationen in unserer Zeitschrift und in ihrem Verlag LiteraturWissenschaft.de schon seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer wieder befasst.

In der Juli-Ausgabe 1999 erschien hundert Jahre nach Sigmund Freuds Traumdeutung der erste umfassende Schwerpunkt über die Zusammenhänge von Literatur und Psychoanalyse, zwei Jahre später, im Oktober 2001, ein weiterer, im März 2003 einer über „Psychoanalyse und Medizin“ (auch in der Literatur). Der bislang letzte von weiteren Themenschwerpunkten zur Psychoanalyse erschien im Januar vorigen Jahres – mit umfassenden Hinweisen zu früheren Artikeln.

Die März-Ausgabe 2005 widmete sich der „Medizin- und Kulturgeschichte“, die März-Ausgabe 2017 der „Literatur, Krankheit und Medizin“. Die vielen Schwerpunkte zu dem Themenfeld waren nicht zuletzt angeregt von den Forschungsschwerpunkten des Literaturwissenschaftlers Walter Müller-Seidel und seiner SchülerInnen. Vor und nach seinem Tod im Jahr 2010 haben wir einige seiner Aufsätze zu dem Themenfeld in literaturkritik.de erneut veröffentlicht. Er hatte seit 1968 viele Aufsätze dazu publiziert und seit Beginn des 21. Jahrhunderts verschiedene Pläne für eine Buchpublikation über Literatur und Medizin ausgearbeitet, diese aber dann zugunsten seiner letzten Monographie über Friedrich Schiller und die Politik (2009 im Verlag C.H.Beck erschienen) nicht mehr ausgeführt. In unserem Verlag LiteraturWissenschaft.de ist jetzt auf der Basis dieser Pläne eine Sammlung seiner Publikationen und Manuskripte mit einem der von ihm anvisierten Titeln erschienen: Literatur und Medizin in Deutschland. Zur Geschichte des humanen Denkens im wissenschaftlichen Zeitalter (1795-1945).

Einer der beiden Aufsätze, die Müller-Seidel für den einleitenden Teil des Buches vorgesehen hatte und dort jetzt auch stehen, war unter dem Titel „Psychiatrie im erzählten Text. Zur Problematik von Diagnosen in Literatur und Literaturwissenschaft“ zuerst 1984 in einem von dem renommierten, im August 2021 gestorbenen Psychiater Hanns Hippius herausgegebenen Aufsatz-Band erschienen. 2018 wurde der Aufsatz in dem eben in einer zweiten, erweiterten Auflage erschienenen Band IV des für das Themenfeld einschlägigen Handbuchs Medizin in der Literatur der Neuzeit (siehe dazu unsere 2019 erschienene Rezension von Michael Braun) nachgedruckt. Herausgeber der Bände ist der Wissenschafts- und Medizinhistoriker Dietrich von Engelhardt, der in seinem Vorwort zu Band IV auch auf die Kooperation zwischen Literaturwissenschaft und Medizin eingeht.

An einer solchen Kooperation war Walter Müller-Seidel engagiert beteiligt. Das posthume Erscheinen seines umfangreichen Buch-Projekts ist der eine Anlass, in dankbarer Erinnerung an den Literaturwissenschaftler die von ihm früher mit angeregten Themenschwerpunkte in dieser Ausgabe von literaturkritik.de fortzusetzen. Der andere Anlass ist die derzeit wieder eskalierende Corona-Pandemie. Sie hat seit zwei Jahren auch in der Literatur sowie in der Literatur- und Kulturwissenschaft vielfältige Spuren hinterlassen – und damit ebenfalls in literaturkritik.de (siehe in dieser Ausgabe die den Themenschwerpunkt abschließenden Hinweise „Corona in der Literatur“ zu unseren bisherigen Beiträgen dazu). Zusammenhänge mit dem Buch-Projekt von Müller-Seidel werden unter anderem offensichtlich, wenn der Literaturwissenschaftler in seinem Aufsatz über Wilhelm Diltheys Rehabilitierung des kranken Friedrich Hölderlin Dilthey mit den Sätzen zitiert: „Die großen Epidemien haben im Laufe der Geschichte gewechselt: Aussatz, Pest, Cholera sind durchaus verschiedene Krankheiten. […] Die Gegenwart bringt andere ansteckende Krankheiten hervor.“

Unseren Leserinnen und Lesern wünscht im Namen der Redaktionen an den Universitäten in Mainz, Duisburg-Essen und Marburg ein gesundes Winterende mit anregenden Lektüren nicht nur über Krankheit

Thomas Anz